Günstigkeitsprinzip soll ausgehebelt werden.

  • Guten Abend,

    der BR der Firma Fleissig hat von Arbeitsverträgen erfahren in denen eine Klausel das Günstigkeitsprinzip aushebelt.

    Dort steht sinngemäß, der AV gilt auch dann wenn durch eine BV etwas besseres geregelt wird. Daher der AN mit einem derartigen AV bekommt das was in seinem Vertrag steht, auch wenn eine BV etwas besser regelt. Die anderen MA mit älteren Verträgen das was jeweils besser ist, AV oder BV.

    Ich versuche eine derartige Klausel rechtlich einzuordnen.

    1. Ich weis das eine derartige Klausel im AV stehen darf.

    2. Ist so eine Klausel rechtsgültig?

    3. Verstößt dieses gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

    4. Eine BV gilt unmittelbar und zwingend ...., siehe BetrVG §77 (4). Verstößt eine derartige Klausel gegen das BetrVG?

    Wie geht Ihr damit um?

    Vielen Dank für eure Antworten.

  • Servus Ergo,

    Das Günstigkeitsprinzip ist hier erstmal gar nicht betroffen, denn eine BV steht über dem AV. D.h. BV gilt, was im AV steht ist egal. ES SEI DENN im AV wäre was günstger geregelt als in der BV. (aber darum geht es ja nicht).

    Der AG kann also in den AV schreiben was er will, eine für den AN günstigere BV gilt und ist unabdingbar.

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

  • Hallo,

    bereits aus § 77 Abs. 4 BetrVG geht doch klar hervor, daß BVen Vorrang vor Arbeitsverträgen haben.

    Der BR muß vom AG die Einhaltung der BV verlangen und ggfs. einklagen. Der BR kann vom AG "die Unterlassung entgegenstehender Handlungen verlangen" und dies im Beschlußverfahren durchsetzen (Fitting, § 77 Rn 227).

  • Zitat von Paragraphenreiter:

    Servus Ergo,

    Das Günstigkeitsprinzip ist hier erstmal gar nicht betroffen, denn eine BV steht über dem AV. D.h. BV gilt, was im AV steht ist egal. ES SEI DENN im AV wäre was günstger geregelt als in der BV. (aber darum geht es ja nicht).

    Der AG kann also in den AV schreiben was er will, eine für den AN günstigere BV gilt und ist unabdingbar.

    Na, hier aber mal Vorsicht mit den Aussagen;)

  • Hallo zusammen,

    unter bestimmten Umständen kann man auch auf Rechte aus einer BV verzichten.

    Allerdings ist es hier zwingend, das der BR diesem Verzicht zustimmt. Allerdings muss diese Zustimmung für jeden einzelnen Verzicht erklärt werden. Hier soll der BR überprüfen können, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist und ob es dafür einen entsprechenden Ausgleich gibt.

    Fitting §77 RN132.

    Eine einseitige Umgehung der BV durch Arbeitsvertrag ist, wie meine Vorschreiber schon gesagt haben, nicht möglich.

    LG

    Markus

    "Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind" Aristide Briand

  • Um es mal klassisch zu formulieren:

    Drum sei ich, gewährt mir die Bitte,
    in eurem Bunde der Dritte...

    MrSonnenschein
    Was ich damit sagen will, ich kann mir im Moment auch keine Formulierung vorstellen, mit der der AG pauschal Rechte aus einer BV in einem AV aushebelt.

    Woran denkst du, dass du hier zur Vorsicht mahnst?

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Hallo zusammen,

    es hat ein wenig gedauert bis ich den Originaltext zur Verfügung hatte.

    In einem AV steht folgendes:

    Öffnungsklausel für Betriebsvereinbarungen

    Arbeitgeber und Mitarbeiter sind sich darüber einig, dass mit dem Betriebsrat bereits abgeschlossene und noch abzuschließende Betriebsvereinbarungen den Regelungen dieses Vertrages und anderen einzelvertraglichen Absprachen auch dann vorgehen, wenn die vertragliche Regelung im Einzelfall günstiger ist.

    Zitat von Ohadle

    sinngemäß reicht eigentlich nicht - da bräuchte man schon den genauen Wortlaut.

    Ich verstehe es so, daß eine BV in jedem Fall vor einem AV gilt.

    Daher das Günstigkeitsprinzip ausgehebelt werden soll.

    Ich versuche das mit §77 Abs(4) BetrVG zusammen zubringen.

    Eine BV steht in der Rechtsrangfolge über einem AV.

    Daher bitte ich noch einmal um eure Meinung.

    1. Gilt der AV hier vor der BV?

    2. Ich halte die Klausel nicht nur für unwirksam, sondern für rechtswidrig. Das Günstigkeitsprinzip ist eine im Arbeitsrecht anerkannte rechtsnorm. Und diese Klausel verstößt damit gegen geltendes Recht.

    3. Wie würdet ihr mit Formulararbeitsverträgen umgehen die diesen Text enthalten?

    Vielen Dank

  • Zitat von Ergo_101

    Öffnungsklausel für BetriebsvereinbarungenArbeitgeber und Mitarbeiter sind sich darüber einig, dass mit dem Betriebsrat bereits abgeschlossene und noch abzuschließende Betriebsvereinbarungen den Regelungen dieses Vertrages und anderen einzelvertraglichen Absprachen auch dann vorgehen, wenn die vertragliche Regelung im Einzelfall günstiger

    Hallo Ergo,

    dieser Fall ist ja genau das Gegenteil von dem, was du im Eingangspost geschrieben hast. Betriebsvereinbarungen sollen nach dieser Formulierung günstigere Bedingungen aus dem Arbeitsvertrag verdrängen.

    Ich bin mir relativ sicher, dass ich da vor kurzem etwas zu dem Thema gesehen habe, nur leider finde ich das nicht mehr, so kann ich nur das sagen, was derzeit mein Rechtsempfinden ist. (Vermutungsmodus)

    Ich schätze das so ein, dass solch eine Formulierung in einem Arbeitsvertrag durch die AGB-Prüfung rasseln würde. Die Formulierung ist m.E. intransparent. Wie soll ein künftiger MA wissen, welche BV´en das es bereits schon gibt, die evtl. schlechtere Bedingungen haben als die, die er gerade im Arbeitsvertrag ausgehandelt hat. Ebenso kann er nicht überblicken, was künftig auf ihn zukommt. Daher denke ich, dass so eine Verinbarung eher nichtig ist. (Vermutungsmodus aus)

    LG

    Markus

    Nachtrag: hab mich jetzt wieder erinnert, wie ich suchen muss und einen Artikel gefunden. Scheinbar ist sich da das BAG selbst nicht darüber einig, wann ein Arbeitsvertrag "betriebsvereinbarungsoffen" ist und wann nicht. Es hat nämlich schon in beide Richtungen geurteilt. Wobei das neuere Urteil scheinbar davon ausgeht, dass es nicht zwingend so ist. Urteilsbesprechung. Ich bleibe aber der Meinung, dass es nicht generell machbar ist pauschal alle Bedingungen des AV durch eine BV zu ersetzen. Hier müsste im AV schon genau stehen welche Bedingungen durch eine BV verschlechtert werden können. (z.B. Arbeitszeit, Betriebsrente, usw.)

    "Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind" Aristide Briand

  • Ausnahmsweise kann eine Betriebsvereinbarung den Arbeitnehmer schlechter stellen, wenn der Arbeitsvertrag ausdrücklich eine Regelung enthält, die eine Abweichung "nach unten" zulässt. Hierfür genügt jedoch nicht der allgemeine Hinweis auf anzuwendende Betriebsvereinbarungen, da dies gemäß § 2 Nr. 10 Nachweisgesetz als allgemeiner Hinweis auf die Gesetzeslage verstanden wird. Andersherum kann auch in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden, dass der Inhalt der Arbeitsverträge der Beschäftigten - gegebenenfalls nach Sachgruppen zulässig differenziert - Vorrang haben soll. Dies kommt in der Praxis nur selten vor, da Arbeitgeber und Betriebsrat durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen zumeist eine Vereinheitlichung und bessere Übersichtlichkeit der Arbeitsbedingungen erreichen wollen.

    Quelle: Hans Böckler Stiftung

  • Zitat von Moritz:

    Um es mal klassisch zu formulieren:

    Drum sei ich, gewährt mir die Bitte,
    in eurem Bunde der Dritte...

    MrSonnenschein
    Was ich damit sagen will, ich kann mir im Moment auch keine Formulierung vorstellen, mit der der AG pauschal Rechte aus einer BV in einem AV aushebelt.

    Woran denkst du, dass du hier zur Vorsicht mahnst?

    Ich denke daran, dass wir dieses Thema Arbeitsvertrag - BV und Günstigkeitsprinzip vor ein paar Monaten mit RA besprochen hatten. Und da gibt es Rechtsprechung, die dieses in Punkten anders sieht.

    Ich versuche diese zu suchen und verweise dann.

    Dauert aber ein wenig.

    MrSonnenschein

  • Na MR Sonnenschein da sind wir ja mal gespannt ;)

    aber Du wirst keine gesetzlich gültige Regelung finden indem AN durch einen AV von einer BV ausgeschlossen werden können.

    Sollte Euer RA Euch dies erzählt haben dann habt ihr es vielleicht falsch verstanden oder den falschen RA gewählt;)

  • Zitat von schwede12

    aber Du wirst keine gesetzlich gültige Regelung finden indem AN durch einen AV von einer BV ausgeschlossen werden können

    Ich möchte nur mal darauf hinweisen, dass dies (nicht mehr) das Thema ist. Mittlerweile geht es um die Frage ob man vertraglich regeln kann, dass alle Betriebsvereinbarungen, die sind oder noch kommen, die Regelungen des Arbeitsvertrages verdrängen können, auch wenn sie ungünstiger sind. Nicht umgedreht, wie im EP dargestellt.

    "Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind" Aristide Briand

  • Zitat von schwede12:

    Na MR Sonnenschein da sind wir ja mal gespannt ;)

    aber Du wirst keine gesetzlich gültige Regelung finden indem AN durch einen AV von einer BV ausgeschlossen werden können.

    Sollte Euer RA Euch dies erzählt haben dann habt ihr es vielleicht falsch verstanden oder den falschen RA gewählt;)

    Das habe ich auch nicht behauptet. Aber kann ein AN über eine BV schlechter gestellt werden, sprich das Günstigkeitsprinzip zählt nicht?

    Und darauf wollte ich hinaus.

  • Hallo zusammen,

    und vielen Dank für eure Zeit die Ihr in mein Problem investiert.

    Zitat von whoepfner

    diese Formulierung ist zumindest solange unwirksam, solange es eine für den AN günstigere BV gibt.

    Verstehe ich, entsprechend dem Günstigkeitsprinzip findet eine für den AN günstigere BV anwendung.

    Zitat von whoepfner

    Eine Ausnahme gibt es nur dann, wenn die BV selbst eine ausdrückliche Öffnungsklausel für einzelvertragliche Abweichungen zuungunsten der AN zuläßt.

    Verständlich, die Anwendung eines für den AN ungünstigeren AV muss in der BV ausdrücklich genehmigt sein.

    An dieser Stelle muss ich meine unpräzise Fragestellung entschuldigen und diese noch einmal mit einem Zitat von Markus 1973 präzisieren.

    Zitat von Markus 1973 ED

    Betriebsvereinbarungen sollen nach dieser Formulierung günstigere Bedingungen aus dem Arbeitsvertrag verdrängen.

    Nach meiner Meinung wird versucht eine aus einem Arbeitsvertrag günstigere Bedingung mit einer BV zu verdrängen.

    Zitat von Markus 1973 ED

    Die Formulierung ist m.E. intransparent. Wie soll ein künftiger MA wissen, welche BV´en das es bereits schon gibt, die evtl. schlechtere Bedingungen haben als die, die er gerade im Arbeitsvertrag ausgehandelt hat.

    Das ist der "Hebel" nach dem ich gesucht habe. Daraus kann ich Argumente und eine Vorgehensweise ableiten.

    Zitat von schwede12

    Ausnahmsweise kann eine Betriebsvereinbarung den Arbeitnehmer schlechter stellen, wenn der Arbeitsvertrag ausdrücklich eine Regelung enthält, die eine Abweichung "nach unten" zulässt.

    :?: :?: :?: Das bezweifle ich! Die Logik daraus währe das eine BV ohne Zustimmung des AN dessen Arbeitsvertraglich definierte Bedingungen verschlechtern kann. Um genau das zu vermeiden ist doch das Günstigkeitsprinzip erdacht worden.

    Könntest du mir eine Quelle nennen?

    Vielen Dank