Einführung eines Entgeltsystems

  • Hallo zusammen,


    ich würde gerne an eurer Erfahrung teilnehmen.


    Nehmen wir einmal an die Firma Fleißig möchte ein neues Entgeltsystem erarbeiten.

    Die Gehaltsstruktur in der Fa. ist über Jahrzehnte gewachsen und folgt keinem erkennbaren Muster.

    Leider ist die Fa. Fleißig nicht tarifgebunden. Es gibt auch keine BV die regelnd eingreift.


    Die Lohn und Gehaltsliste zeigt das es MA gibt die für Ihre Tätigkeit zu viel, andere zu wenig erhalten.


    Der BR möchte mit einem Entgeltsystem drei Ziele erreichen:

    • Lohngerechtigkeit
    • Transparenz
    • Annäherung an den IGM Tarif


    Der BR hat einen Teil der erforderlichen Schulungen absolviert und möchte jetzt anfangen.

    „Das kribbelt in den Fingern!“


    Bei der Umsetzung möchte der BR sich so weit es geht an ERA orientieren.


    Die nächsten Schritte sollen sein:

    • Einen „Fahrplan“ erstellen
    • Die weiteren erforderlichen Schulungen planen
    • Rechtlichen Grundlagen klären


    Wir sind davon überzeugt das uns unterwegs jedes Fettnäpfchen begegnen wird. Einige können wir hoffentlich mit einem großen Schritt überqueren. Vielleicht kann diese Dialog andere frühzeitig aufzeigen.


    Hat jemand von euch schon einmal ein Entgeltsystem etabliert?

  • Hat jemand von euch schon einmal ein Entgeltsystem etabliert?

    Ja.


    Soweit zur klaren Antwort auf die geschlossene Frage ;)


    Der BR möchte mit einem Entgeltsystem drei Ziele erreichen:


    Lohngerechtigkeit
    Transparenz
    Annäherung an den IGM Tarif

    Das sind hehre und nachvollziehbare Ziele. Nur erreichen werdet ihr sie kaum.


    Die Ausgangssituation ist in etwa wie bei uns auch. Ein über Jahrzehnte gewachsener Wildwuchs. Den mit einem Mal glatt zu ziehen wird sich euer AG nicht leisten können (und wollen!).


    Wir haben das Entgeltsystem (trotz vorangegangener Schulungen) mit einem Sachverständigen entwickelt. Und das erste, was er unserem AG klar gemacht hat: Ein System einzuführen kostet Geld. Denn niemand wird es akzeptieren, wenn er weniger erhält. D.h. der einzige Weg der Anpassung geht nach oben.

    Aber natürlich kann (und will) der AG nicht alle auf das Maximalgehalt anheben. Also werden so etwas wie Gehaltsbänder definiert (die eine gewisse Breite haben) und die Jobs in Gruppen eingeteilt, die wiederum den Gehaltsbändern zusortiert werden.

    Das funktioniert für ca. 70 - 80 % der AN (Schätz-/Erfahrungswert).

    Einige werden sich dann unterhalb des Bandes wiederfinden. Hier müsst ihr dann entscheiden, ob ihr sie sofort komplett anpasst (was schon das gesamte Gehaltsbudget eines Jahres auffressen könnte(!)), oder einen Fahrplan baut, wie ihr die Kollegen in das Band führt. Aber natürlich findet es kein Kollege gerecht, wenn er feststellt, dass er jetzt schon weniger Geld bekommt als alle anderen und das auch noch über 2-3 Jahre (länger darf das auf gar keinen Fall dauern!) so bleiben soll. Sie werden die Lohngerechtigkeit also schon mal in Frage stellen.

    Aber es werden auch AN oben über das Band hinausschießen. Auch für die gilt: wegnehmen könnt ihr ihnen nichts. Aber wie bekommt man die ins Band? Üblicherweise indem entweder die Gehaltserhöhungen solange verrechnet werden, bis das Gehalt im Band liegt (d.h. die Kollegen erhalten das Maximalgehalt plus eine Zulage und in dem Maße in dem das Maximalgehalt steigt, wird die Zulage abgeschmolzen, was aber am Ende des Tages heißt, dass die Kollegen über möglicherweise mehrere Jahre keine Gehaltserhöhung mehr erhalten werden. Alternativ bleibt die Zulage fix und nur das Maximalgehalt wird erhöht (auch da bekommen die Kollegen dann weniger als alle anderen)). Egal mal wie, auch diese Kollegen werden nicht davon überzeugt sein, dass ihr das mit der Lohngerechtigkeit hinbekommen habt.


    Transparenz: ja, Gehaltsbänder gehören veröffentlicht, keine Frage. Ob ihr euch aber einen Gefallen tut, wenn ihr die Gehaltsbänder direkt veröffentlicht (vor allem, wenn nicht alle auf einmal in das Band gehoben werden), darüber solltet ihr nachdenken.


    Annäherung an den Tarif: Wenn das euer Ziel ist, solltet ihr vielleicht über euren Organisationsgrad nachdenken und den Schritt richtig machen, nicht?


    Die Einführung des gesamten Systems hat sich bei uns über Jahre gezogen. Anfangs wollte der AG gar kein Geld in die Hand nehmen, er wollte ja nur ein transparentes und damit gerechtes System, sprich alle irgendwo einsortieren, fertig. (O-Ton unseres Sachverständigen: Wenn das ihr Ziel ist, wollen sie nur eine Legalisierung ihres Wildwuchses. Transparent und gerecht ist daran nix.)


    Die Definition der Gehaltsbänder war tatsächlich gar nicht so schwer. Viel schwerer war es Jobgruppen zu definieren und alle AN einzugruppieren. Denn der Grundsatz war: Eine Jobgruppe - ein Gehaltsband. Es können mehrere Jobgruppen das gleiche Gehaltsband haben (bei ähnlicher/gleicher Wertigkeit), aber eine Jobgruppe geht nicht über mehrere Gehaltsbänder. Es sei denn, sie beinhalten Unterscheidungen. (Plakativ: Juniorschlumpf, Schlumpf, Seniorschlumpf, Oberschlumpf - alles Schlümpfe, aber alle Juniorschlümpfe in einem Band, alle Schlümpfe in einem Band usw.) Wenn die Bänder geschickt gewählt sind, haben sie eine gewisse Überschneidung, d.h. um im Beispiel zu bleiben: Wer als Juniorschlumpf am oberen Ende des Bandes ist, kann zum Schlumpf befördert werden ohne direkt mehr Geld zu bekommen, findet sich dort aber im unteren Bereich des Bandes wieder, halt also neue Entwicklungsmöglichkeiten.


    Puh, dafür, dass ich deine Frage eigentlich nur mit Ja beantworten wollte, ist das jetzt doch wieder viel Text geworden... Ich hoffe es hilft wenigstens.


    Ach ja, und die Kontaktdaten für den Sachverständigen kann ich Dir auch gerne per PN schicken.

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Hallo Moritz,


    stimmt, das war ein langes und ausführliches JA!


    Herzlichen Dank dafür. Das bringt mich weiter.

    Wir werden unsere Hausaufgaben ausdehnen müssen, Stichwort Gehaltsbänder.


    Das sind hehre und nachvollziehbare Ziele. Nur erreichen werdet ihr sie kaum.


    Einfach wird das nicht, aber andere haben so etwas auch geschafft.

    Du weist doch was Bob der Baumeister sagt :)



    Jetzt drängt sich mir eine Frage auf.

    Ich weis das ein anderes Entgeltsystem mehr kostet als das alte (der Wildwuchs).


    Wie habt ihr das eurem AG verkauft?

    Mit welchen Argumenten?

    Hattet ihr eine Art Finanzierungsvorschlag?


    Ihr seit doch bestimmt nicht mit der Tür ins Haus gefallen.

    Die Aussage eures Sachverständigen kam bestimmt in einem Kontext der sich um die Kosten gedreht hat.


    Vielen Dank:thumbup:

  • Ich weis das ein anderes Entgeltsystem mehr kostet als das alte (der Wildwuchs).

    So pauschal würde ich das gar nicht sagen. Aber es braucht eine gewissen Anfangsinvestition. Im laufenden Betrieb ist es dann gar nicht mehr teurer.


    Wie habt ihr das eurem AG verkauft?

    Mit welchen Argumenten?

    Hattet ihr eine Art Finanzierungsvorschlag?

    Unser Glück war: wir wollten zwar schon lange ein System, aber der AG nicht. Und dann kam unsere ausländische Konzernmutter mit einem neuen Eingruppierungs-System um die Ecke, das sie auch in Deutschland umgesetzt sehen wollten. Und da konnten wir ganz einfach sagen: klar, aber dann regeln wir bitte die Gehälter gleich mit.

    Nee, das wollen wir nicht, wir wollen nur die Eingruppierung.

    Haben wir verstanden. Aber das ist mitbestimmungspflichtig. Und da bekommt ihr ein OK von uns nur, wenn wir das andere gleich mit regeln...


    Die Aussage eures Sachverständigen kam bestimmt in einem Kontext der sich um die Kosten gedreht hat.

    Die oben zitierte nicht direkt. Aber ja, ganz am Anfang hat der AG davon geträumt, das kostenneutral zu machen. Und das war der Punkt wo unser Sachverständiger direkt gesagt hat (mehr oder weniger wörtlich): ok, wird heute ein kurzer Tag. Wenn das ihr Ziel ist, können wir hier aufhören und lassen alles so wie es ist. Beim zusammenpacken hat er dem wirklich verdutzt dreinschauenden AG erklärt, dass und warum Kostenneutralität nicht geht.


    Daraufhin hat der AG "die Hosen runtergelassen" und erklärt, dass er doch bloß alle AN eingruppieren wollte und die Gruppen und die Bänder einfach an den existierenden Gehältern orientieren wollte. Daraufhin kam obige Aussage zur Legalisierung des Wildwuchses. Er brauchte exakt 30 Sekunden um dem AG die beiden Kollegen zu präsentieren, die so gar nicht in das System passten. (Ja, der Gute hatte seine Hausaufgaben gemacht!)

    Nein, nein, die natürlich nicht, die müsse man...

    Ja, richtig, die muss man... aber warum nur die? Macht es doch gleich richtig, denn sonst... und dann hat er kurz und plakativ dargestellt, wann es das nächste Mal nicht passt und wohin das führt.

    Und schon war der AG überzeugt, nein, so geht das auf gar keinen Fall. Aber da müssen wir dann doch nochmal drüber nachdenken.


    Und wie ich schon mal geschrieben habe: das war ein Prozess über mehrere Jahre. Und irgendwann hatte der AG echten Druck hier was zu machen. Und hat sich auch selber damit beschäftigt. Und alle mit Ahnung hatten ihm das gleiche gesagt: Kostenneutral geht nicht. Aber das Geld lohnt sich. Zum einen, weil du einen AN immer sagen kannst: schau, so sieht es aus. Bis dahin kannst du dich noch entwickeln. Willst du noch mehr Geld musst du auch mehr Verantwortung übernehmen und dich da oder dorthin entwickeln.

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

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