Aufgabenübertragung gegen den Willen des MA

  • Hallo zusammen,


    zu mir: Ich bin seit der letzten BR-Wahl im Betriebsrat als stellvertretender Vorsitzender aktiv.


    Zum Fall:

    Bei uns wurde ein extrem langjähriger MA mit festem Aufgabengebiet angesprochen, ein bis zwei Tage die Woche, Tätigkeiten eines ausgetretenen MA, in einer völlig anderen Abteilung zu übernehmen. Dies lehnt er aber vollständig ab.

    Nun ist die Frage in wie weit der AG ihn dazu zwingen kann?

    Das Problem: Er hat keinen schriftlichen Arbeitsvertrag, nur seine sehr, sehr lange Betriebszugehörigkeit und eine Stellenbeschreibung seiner aktuellen Stelle.


    Wie ist eure Einschätzung dazu?

    Mir fehlen hier gerade die Ansätze.

  • Nun, einen AV hat er immer, wenn auch keinen schriftlichen, und der Inhalt dieses AV könnte sich durch die bisherige langjährig gleichbleibende Tätigkeit (die in einer Stellenbeschreibung beschrieben ist) evtl. konkretisiert haben. Mangels schriftlicher Versetzungsklausel wäre davon u.U. nur schwer abzuweichen. Du siehst, "könnte", "evtl." und "u.U." - angesichts dieser Unwägbarkeiten gilt die generelle Empfehlung, als AN einer als rechtswidrig empfundenen Versetzungsanweisung erst einmal Folge zu leisten, während man gleichzeitig den Rechtsweg dagegen beschreiten kann, sicherlich doppelt und dreifach.


    Nun ist es ja durchaus auch sehr möglich, dass hier eine Versetzung in betriebsverfassungsrechtlichen Sinne vorliegt und der BR schon vorab intervenieren bzw dies verhindern kann. Beschreibe uns doch mal die bisherigen und die neuen Arbeitsumstände.

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

    Einmal editiert, zuletzt von Fried ()

  • Der MA arbeitet bisher in der Arbeitsvorbereitung der Fertigung. Nun soll er 1-2 Tage in der Woche noch die Aufgaben eines Technischen Einkäufers im Einkauf übernehmen. Dies würde auch einen Standortwechsel für ebendiese Tage bedeuten.


    Seine bisherige Tätigkeit grenzt an die eines Technischen Einkäufers an, da er auch jetzt schon Fragen für den Einkauf beantwortet oder in die Make or Buy Entscheidungen miteinbezogen ist. Das sind aber bisher nur Nebentätigkeiten.

  • Nun soll er 1-2 Tage in der Woche noch die Aufgaben eines Technischen Einkäufers im Einkauf übernehmen.

    Bekommt er dafür auch das höhere Gehalt? M.E. sollte ein technischen Einkäufer höher eingestuft sein als einer in der Arbeitsvorbereitung. Und hat der MA überhaupt die entsprechende Qualifikation?

  • "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

  • Hallo Talzahn,


    da wundere ich mich schon ein bißchen, daß ihr nicht sofort auf den § 95 BetrVG sowie die dazugehörige Fachkommentierung gekommen seid.

    Und diese Äußerung

    Er hat keinen schriftlichen Arbeitsvertrag, nur seine sehr, sehr lange Betriebszugehörigkeit und eine Stellenbeschreibung seiner aktuellen Stelle.

    deutet darauf hin, daß Ihr noch nicht einmal eine vernünftige Situationsbeschreibung gemacht habt und deswegen gar nicht wisst, ob eine Versetzung überhaupt möglich ist oder ob nicht evtl. der AG nur mit einer Änderungskündigung seinen Willen durchsetzen kann. Und ausreichende arbeitsrechtliche Grundkenntnisse scheinen auch zu fehlen. Denn eine

    Stellenbeschreibung seiner aktuellen Stelle

    könnte sehr wohl arbeitsvertraglicher Bestandteil geworden sein.


    Auch ist aus Deinem Posting nicht erkennbar, warum eigentlich der AN die neue Aufgabe ablehnt.

    Kann es etwa sein, daß der AN sich den Anforderungen nicht gewachsen fühlt, weil er fürchtet, daß ihm wichtige Qualifikationen fehlen? Hat sich der AG irgendwie zu evtl. notwendigen Qualifikationsmaßnahmen geäußert ? (evtl. mitbestimmungspflichtig gem. § 97 Abs. 2 BetrVG)


    Und angesichts dieser Äußerung

    Nun ist die Frage in wie weit der AG ihn dazu zwingen kann?

    frage ich mich schon, was Ihr als Gremium überhaupt wollt.

    Wollt Ihr den AN schützen und beraten oder wollt Ihr Erfüllungsgehilfe des AG sein?


    Also macht erst mal eine vollständige Erfassung des Sachverhalts und der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen und stelle danach dann konkrete Fragen.

  • Hallo Wolfgang,


    Dir ist aber schon bewusst, dass der Thradstarter geschrieben hat, dass er erst ein Jahr als sBRV aktiv ist? Ich glaube, dass es letztes Jahr nicht so einfach war, entsprechende Seminare zu besuchen, um sein bisheriges Wissen zu vertiefen. Von daher finde ich deinen vorwurfsvollen Unterton nicht angemessen.


    Auch ich könnte momentan nicht aus dem Stehgreif und ohne Kommentierung sagen, ob sich der Arbeitsvertrag konkretisiert hat, oder ob der AG aufgrund des §106 GewO und der vertraglich nicht festgelegten Tätigkeit die Art der Aufgabe selbst bestimmen kann.


    Es sind nicht alles so alte Hasen wie du.


    LG

    Markus

    "Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind" Aristide Briand

  • Völlig unabhängig vom individuellen Arbeitsvertrag bleibt das eine Versetzung mit Mitbestimmung. Die restlichen Kollegen des Einkaufs werden dabei ggf. benachteiligt, weil es letztendlich ein Stellenabbau ist, wenn ein ausgeschiedener MA nur durch zwei Tage fachfremde Kraft ersetzt werden soll. Die restliche Arbeit bleibt dann ja den anderen überlassen. Ich sehe da schon eine Chance (keine Erfolgsgarantie) des Widerspruchs.

  • Hallo Markus,


    nicht so schnell aus der Hüfte schießen. Der Threadstarter hat ohne weitere Einschränkung geschrieben:

    seit der letzten BR-Wahl

    Und die letzte turnusmäßige Wahl war im Frühjahr 2018 - ist also schon 2,5 Jahre her.

    Und da auch von einem komplett neuen Gremium nicht die Rede war, stellt sich schon die Frage, wie es mit den Kompetenzen der übrigen BRM aussieht. Deswegen schrieb ich auch bewußt von

    ihr


    Ihr


    Gremium

    Und auch von blutigen Anfängern kann man mE erwarten, daß sie mal ein Buch aufschlagen, sich zumindest mal die Überschriften der §§ anschauen und dann auch mal was nachlesen.

  • Um zur Sache zurückzukehren: Es gibt imho zwei Ansatzpunkte.

    • Für den BR eine mögliche Ablehnung der Versetzung nach § 99 BetrVG.
    • Für den die AN die mögliche Annahme der Versetzung nur unter Vorbehalt der gerichtlichen Überprüfung unter Einreichung einer Klage vor dem ArbG.

    Einwände? Weitere Vorschläge?

    "Wenn Arbeit etwas schönes und erfreuliches wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen." (Paul Lafargue)

    Einmal editiert, zuletzt von Fried ()

  • Danke für die Hilfe.

    Die Unterstützung hat mir sehr geholfen das Thema besser zu verstehen und die Ansätze habe ich jetzt auch nachrecherchiert um die Lücke bei mir zu schließen.


    Ich kann schon verstehen das einige hier mit den Augen rollen und nicht verstehen das wir nicht selber auf diese Antworten kommen konnten.

    Jetzt im Nachhinein verstehe ich das auch.


    Nur fällt einem Gremium das Rechtsverständnis nicht einfach in den Schoss, man muss sich das erarbeiten bzw. beibringen lassen. Aber genau das ist bei uns nie wirklich passiert.

    Zum Beispiel hat unser BR nie Beschlüsse gefasst, ich habe etliche Protokolle durchsucht, bis zu den 1980ern und habe nie einen einzigen Beschluss gefunden. Erst dieses Jahr haben wir damit angefangen, dies "einzuführen", nachdem ich Schulungen und Erklärungen dazu gegeben habe.


    Bei diesen Grundlagen muss ich gerade ansetzen. Unser Gremium ist auf die "Arbeit" im Betriebsrat überhaupt nicht vorbereitet und lebt das auch nicht. Der Vorsitzende ist zwar ein lieber und engagierter Mensch aber leider nicht wirklich eine Hilfe was die Umsetzung von korrekter BR-Arbeit angeht.


    Wir haben haben kaum "Macht" weil wir überhaupt nicht korrekt arbeiten und sind auf Gedeih und Verderb dem AG ausgeliefert. Leider ist das Gremium schon ziemlich alt und kennt es nicht anders. Dem Unternehmen ging es in der Vergangeheit einfach zu gut, daher gab es keine Probleme deswegen.


    Es läuft so viel falsch ich könnte heulen, im Moment sind wir nur Spielball des AG und können uns für die MA gar nicht wirkungsvoll einsetzen. Ich versuche aber mein Bestes um das zu ändern.


    Sorry für den Rant, es musste aber einfach mal raus.

  • es musste aber einfach mal raus.

    Versteh ich. Und deine Schilderung erklärt einiges...



    Wir haben ... kaum "Macht"

    Ich weiß, du hast es bewusst in "" gesetzt, aber es geht nicht um Macht. Es geht um Möglichkeiten und Mitbestimmung. Die "Macht" dazu gibt euch das BetrVG, ihr müsst sie nur ergreifen! ;)


    Der Vorsitzende ist zwar ein lieber und engagierter Mensch aber leider nicht wirklich eine Hilfe was die Umsetzung von korrekter BR-Arbeit angeht.

    Auf der einen Seite ist gut gemeint zwar oft genug das Gegenteil von gut gemacht, auf der anderen Seite ist mir (persönlich!!!) ein empathischer Betriebsrat wichtiger als ein paragraphensicherer Prinzipienreiter. Manchmal braucht es allerdings auch letzteren um Dinge durchsetzen zu können...


    nachdem ich Schulungen und Erklärungen dazu gegeben habe.

    Dürfen wir das so verstehen, dass zumindest du mal auf einer Schulung warst?


    Dem Unternehmen ging es in der Vergangeheit einfach zu gut, daher gab es keine Probleme deswegen.

    Das ist leider oft so. So lange es dem Unternehmen gut geht, interessiert es kaum jemanden. Und wenn der Sachverstand mal notwendig wird (um Dinge für die AN sinnvoll zu regeln, weil es vielleicht nicht mehr so gut läuft), ist er leider nicht vorhanden.


    Ein altes lateinisches Sprichwort lautet "Si vis pacem para bellum" zu deutsch: Wenn du Frieden will, bereite dich auf den Krieg vor. Meint hier: jetzt, wo es dem Unternehmen gut geht, müssen die Weichen gestellt werden, damit der BR handlungsfähig ist, wenn es wirklich gebraucht wird.


    Dazu müsst ihr ja nicht von einem Extrem (monatlicher Kaffeeplausch mit Keksvernichtung) in das andere Extrem (wöchentliche Sitzung und den AG mit allem "überziehen" was möglich ist) verfallen.


    Erst einmal ordentliche Einladungen, Beschlüsse und Protokolle zu formulieren ist doch schon mal ein Anfang.


    Und dann möchte ich euch das hier noch ans Herz legen:

    eine vernünftige Situationsbeschreibung

    Was damit gemeint ist, ist folgendes: egal worüber ihr redet, macht euch erst einmal Gedanken, warum reden wir darüber? Welche Rechte haben wir hier? (Information, Mitsprache oder gar Mitbestimmung?) Und wo ist die Rechtsgrundlage? (Sprich in welchen §§ finden sich die Handlungsmöglichkeiten.) Das ist am Anfang ziemlich zeitraubend. Und ihr werdet Fehler machen und Dinge übersehen. Aber es wird mit der Zeit besser. Versprochen!


    Und dann könnt ihr nach und nach die Dinge auch beim AG einfordern. Und wenn es nur die Information und das Gespräch ist. Muss ja nicht immer gleich die totale Opposition und Konfrontation sein.


    Viel Erfolg dabei! (Und immer daran denken, das haben schon dümmere gelernt! ;) )

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Danke für die Zusprüche.


    Du schreibst mir aus der Seele, ich kann deine Aussagen nur genauso unterschreiben.


    Das mit der Macht war vielleicht falsch ausgedrückt, ich meinte eher die Selbstermächtigung des BR indem die Gesetzesgrundlagen bekannt sind und er eben seine Rechte und Pflichten kennt und wahrnimmt.

    Du hast es aber schon sehr gut zusammengefasst.