Azubi betreut in der Berufsschulzeit Mutter

  • Guten Tag zusammen,

    wir haben gerade eine für uns nicht alltägliche Fragestellung, die wir für uns nicht beantworten können. Daher hoffen wir auf eure Unterstützung.

    Folgender Sachverhalt:

    Wir haben einen Azubi mit Migrationshintergrund. Dessen Mutter spricht kein bis wenig Deutsch. Diese Mutter hatte jetzt einen Unfall. Damit eine Verständigung zwischen behandelnden Arzt und Mutter möglich ist, ist der Azubi mit zum behandelnden Arzt gefahren. Dieser hat dem Azubi auch ein Attest ausgestellt, dessen Inhalt ich bis jetzt noch nicht kenne (ich hoffe das ändert sich noch). Dieser Attest wurde wohl von der Berufsschule akzeptiert. So weit ist noch alles klar. Jetzt möchte der AG, dass der Azubi für den Tag Freizeitausgleich oder Urlaub nimmt.

    Ist es so, dass wenn der Azubi von der Berufsschule für die Betreuung der Mutter freigestellt wird, dass dann der Tag als "Arbeitstag" zu werten ist und somit die normalen Regelungen für Fehlen während der Arbeitszeit gelten? :/

    Ich bedanke mich für eure Antworten im Voraus!

  • Der AG muss den Azubi für die Teilnahme am Berufsschulunterricht, unter Fortzahlung des Entgelts, freistellen.

    Vielleicht denkt er sich: "keine Teilnahme am Unterricht, keine bezahlte Freistellung."

    Vermutlich hat der Azubi nur ein Attest in der Berufsschule abgegeben und nicht beim AG. Das sollte er dringend nachholen, dann sollte es kein Problem geben. Wenn er für diesen Tag eine AU beim AG abgibt, muss er keinen Urlaub oder Freizeitausgleich nehmen.

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

  • Wenn er für diesen Tag eine AU beim AG abgibt, muss er keinen Urlaub oder Freizeitausgleich nehmen.

    das wäre aber "Betrug", weil der AZUBI ja gar nicht krank war, sondern seine Mutter.


    Wenn der AZUBI nicht krank ist und nicht in der Berufsschule war, dann hätte er sich beim AG melden müssen, weil sonst ist das "unentschuldigtes Fehlen"


    Meiner Auffassung nach hat der AG grundsätzlich Recht, wenn er einen Tag Urlaub oder Freizeitausgleich einfordert (in diesem Fall)

    Die Mutter ist nicht pflegebedürftig und der Sohn hat lediglich als "Übersetzer" gedient.


    Der AG verhält sich sogar kulant, wenn er sich auf diese arbeitnehmerfreundliche Lösung einlässt.

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


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  • Ist es so, dass wenn der Azubi von der Berufsschule für die Betreuung der Mutter freigestellt wird, dass dann der Tag als "Arbeitstag" zu werten ist und somit die normalen Regelungen für Fehlen während der Arbeitszeit gelten?

    Sorry, aber hier krankt es schon an der Fragestellung: die Berufsschule kann den Azubi nicht freistellen. Freistellen kann ihn nur der AG, da er ihn bezahlt. Die Berufsschule kann seine Gründe für eine Fehlen akzeptieren und ihn nicht als unentschuldigt fehlend führen. Mehr aber auch nicht. (Wird er dann auf seinem Zeugnis sehen, dass die Zeiten sehr wohl als fehlend erfasst sind!)


    Wie Randolf schon richtig schreibt, verhält der AG sich hier kulant, wenn er dem Azubi hier keinen Strick draus dreht, dass er ohne Rücksprache mit dem AG einfach "geschwänzt" hat, sondern ihm eine pragmatische Lösung anbietet. Als BR könnte man hier versuchen zu vermitteln (der Azubi holt den Schulstoff in seiner Freizeit nach, der AG verzichtet auf die Anrechnung von Urlaub oder Überstunden), aber juristisch sehe ich den AG hier völlig im Recht. Dass die Mutter die Sprache nicht spricht mag ein reales Problem sein, aber warum sollte der AG dafür die Zeche zahlen? Dafür fehlt jegliche Rechtsgrundlage...

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • ist der Azubi mit zum behandelnden Arzt gefahren. Dieser hat dem Azubi auch ein Attest ausgestellt

    Ich wollte lediglich darauf hinaus, dass der Azubi dieses Attest beim AG hätte abgeben müssen und nicht (nur) in der Berufsschule.

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  • Das Attest bescheinigt (attestiert) doch nur, dass er auch wirklich da war. Schön zu wissen. Aber es ändert ja nichts daran, dass der AG nicht die Zeche dafür zahlen muss, dass die Mutter Begleitung braucht. Meint, die Vorlage des Attest ändert nichts an der Rechtslage. Es mag der Glaubwürdigkeit dienen (aber die war, so habe ich das verstanden gar nicht das eigentliche Problem), mehr aber auch nicht.

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  • Das Attest bescheinigt (attestiert) doch nur, dass er auch wirklich da war.

    Dieser hat dem Azubi auch ein Attest ausgestellt, dessen Inhalt ich bis jetzt noch nicht kenne

    Oho, die Glaskugel frisch poliert? :D

    Nein, Du hast ja Recht. Ich hab die Mutter irgendwie als im Haushalt lebende, betreuungspflichtige Person gewertet (was sie aber nur aufgrund einer Sprachbarriere natürlich nicht zwangsläufig ist). Auch kann ich natürlich nicht einfach davon ausgehen, dass es (wie in unserem TV) eine Regelung zum § 616 BGB gibt, welche die bezahlte Freistellung im Falle einer Erkrankung einer im Haushalt lebende, betreuungspflichtige Person, vorsieht.

    ...man (ich) sollte halt nicht von sich auf andere schließen :rolleyes:

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    Hanlons Rasiermesser

  • die Glaskugel frisch poliert?

    Wie jetzt? Glas? Nix da. Unter Kristall geht da gar nix!

    (Aber ja, Du hast Recht, ich habe da etwas postuliert (rein aus den verstandenen Umständen), was so gar nicht gesagt ist...)



    .man (ich) sollte halt nicht von sich auf andere schließen

    Das Problem, aus meiner Sicht: Selbst wenn es eine solche Regelung gibt/gäbe, glaube ich nicht, dass die Tatsache alleine, dass die Mutter kein Deutsch spricht, sie zu einer betreuungspflichtigen Person macht. (Hast Du ja auch schon angedeutet.)


    Das könnte bei einem Taubstummen, bei dem die Kommunikation nur über Gebärden möglich ist, anders bewertet werden, aber wenn es nur um Deutsch geht - ich fürchte nein.

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  • wenn es nur um Deutsch geht - ich fürchte nein.

    Da bin ich ganz bei Dir!

    ...allerdings bin ich auch nicht davon ausgegangen, dass die fehlenden Deutschkenntnisse der Grund für den Arztbesuch waren ;)

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    Hanlons Rasiermesser

  • dass die fehlenden Deutschkenntnisse der Grund für den Arztbesuch waren

    Für den Azubi, so wie ich das verstanden habe, schon...


    Im Übrigen, selbst wenn die Mutter tatsächlich so erkrankt wäre, dass sie sich alleine gar nicht mehr zum Arzt hätte begeben können, eine Betreuung also faktisch notwendig war, ist der Azubi damit aber auch gleich betreuungspflichtig? (Ernst gemeinte Frage, da ich keine Ahnung habe, wie das juristisch definiert ist. Will sagen: die Notwendigkeit von Betreuung ist das Eine (und sicher zwingende Voraussetzung für eine Betreuungspflicht), aber die Pflicht der Betreuung ergibt sich doch eigentlich aus einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis. Und das sehe ich zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern nicht grundsätzlich gegeben, oder doch?

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  • Und das sehe ich zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern nicht grundsätzlich gegeben, oder doch?

    Das ist sicher immer eine Einzelfallentscheidung.

    Lebt der Azubi alleine mit seiner pflegebedürftigen Mutter in einem Haushalt, so ist er sicher auch die betreuende Person.

    Lebt der Azubi noch im Haushalt seiner Eltern wäre es der Vater/Ehemann und wenn die Mutter nur erkältet ist, gibt es natürlich keine betreuende Person (was bei weitem am wahrscheinlichsten ist, womit Du aller Wahrscheinlichkeit nach wohl in allen Punkten Recht hast :D)

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    Hanlons Rasiermesser

  • Wäre § 616 BGB nicht in so einem Fall in Betracht zu ziehen und eben doch kein Urlaub zu nehmen? Wenn Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto sind dann diese ggf. dazu heranzuziehen? Das alles natürlich nur wenn dazu keine TV BV Regelungen

    bestehen.

  • Wäre § 616 BGB nicht in so einem Fall in Betracht zu ziehen und eben doch kein Urlaub zu nehmen?

    wohl kaum, der "Grund liegt nicht in seiner Person".


    er ist seiner Mutter gegenüber nicht verpflichtet, wie z.B. bei Kindern oder wenn er als Betreuungsperson eingetragen wäre.

    Seine Mutter braucht ja nicht zwingend ihn, sie braucht lediglich einen Übersetzer und das kann auch jede andere befähigte Person sein, z.B. auch ein "Profi" oder sonstiger Verwandter / Nachbar etc.


    Hier ist die persönliche "Befindlichkeit" dass die Mutter dem Sohn vertraut die treibene Kraft und für den Sohn, dass er die Mutter unterstützen will.


    was würde den dann als nächstes unter §616 fallen?

    Fahrdienste für Eltern die keinen Führerschein haben und zum Arzt müssen, da sieht auch jeder ein, das man ein Taxi nehmen kann.

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    Einmal editiert, zuletzt von Randolf ()

  • Wäre § 616 BGB nicht in so einem Fall in Betracht zu ziehen

    Aus meiner Sicht ganz klar nein.


    ...durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. (Hervorhebung durch den Zitierenden)


    Der Grund für seine Abwesenheit liegt nun mal eindeutig nicht in seiner Person. Und damit er sich die Gründe einer anderen Person zurechnen darf, dazu braucht es deutlich mehr als nur mangelnde Sprachkenntnisse eines Angehörigen.

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  • Dass der AG hier FA oder Urlaub anbietet, finde ich recht kulant. An der Stelle des Azubis würde ich diese Kulanz annehmen. Ob die Mutter die Sprache des Landes beherrscht, in dem sie lebt, ist jedenfalls keine Frage, die den AG zu interessieren hat. Der Azubi hatte offensichtlich gegenüber seinem AG nicht einmal soviel Pflichtgefühl, um telefonisch Rücksprache zu nehmen oder die Firma zu informieren. Notarztbehandlungen, die den ganzen Tag dauern, finde ich auch eher außergewöhnlich, und eine Klinik, die vor Ort keine Dolmetscher oder entsprechendes Personal hat, dürfte auch die Ausnahme sein. Als AG würde ich mir hier die Frage stellen, ob der Azubi zukünftig auch bei behördlichen Terminen seiner Mutter gleich einen ganzen Tag unentschuldigt fehlen wird.

  • Auch wenn die Frage nicht mehr ganz tagesaktuell ist... ;)


    Kulanz definiere ich als die Fähigkeit, auch mal 5 gerade sein zu lassen, bzw. die Kanonenkugeln nicht an Spatzen zu vergeuden. Im geschilderten Fall geht um einen Unfall, also ein plötzliches und unvorhersehbares Ereignis. Daher würde ich dem Azubi auch nachsehen, dass er in diesem Fall zuerst mal an seine Mutter denkt und sie unterstützt, z.B. mit dolmetschen und nicht alle arbeitsrechtlichen Verpflichtungen unverzüglich und vollständig einhält.


    Gemessen am möglichen Programm von Anschiss bis Abmahnung hat sich der AG in der Tat kulant verhalten. Er hätte aber auch sagen können: "Für die Firma warst du an dem Tag sowieso nicht arbeitspflichtig und dass dir aufgrund des Unfalls deine Mutter wichtiger als die Berufsschule war, hat die Schule eingesehen und ich tue es auch. Besorg dir halt Aufschriebe und lerne den Stoff nach. Und wenn nochmal sowas sein sollte, ruf bitte auch auf der Arbeit an."


    Damit ´verlassen wir aber den sicheren Bereich der gesetzlichen Regelungen und begeben uns auf das Gebiet der Menschenführung... ;)

    Für einen Betriebsrat gilt: Lobt dich der Gegner, ist das bedenklich. Schimpft er, dann bist du in der Regel auf dem richtigen Weg. (August Bebel)

  • Damit ´verlassen wir aber den sicheren Bereich der gesetzlichen Regelungen und begeben uns auf das Gebiet der Menschenführung...

    ich begebe mich auf das Gebiet: junge Menschen an das reale Arbeitsleben heranführen


    Der AG vermittelt dem AZUBI

    "das war so nicht korrekt, aber ich akzeptiere das Du in der Situation andere Prioritäten gesetzt hast und biete Dir an, die Sache kulant zu behandeln. Suche Dir aus ob Du Urlaub oder Freizeitausgleich nimmst, Das wäre auch der Weg gewesen, wenn Du dich vorher gemeldet hättest. Außerdem kann ich das nicht bei Dir durchgehen lassen und die anderen AZUBI bzw. AN dürfen das nicht - Gleichbehandlungsgrundsatz"

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  • Randolf, genau das meine ich mit Menschenführung. Ich möchte jetzt nicht so tun, als wäre Diplomatie eine meiner Stärken :whistling: , aber so wie du es schilderst, wird das Gespräch wahrscheinlich abgelaufen sein. Der AG hat es vielleicht gut gemeint, aber im Endeffekt wendet sich der Azubi an den BR und fragt nach, ob der AG das überhaupt darf - und akzeptiert die Entscheidung wahrscheinlich zähneknirschend mit der Faust in der Tasche.


    Hätte das Gespräch nach meinem Wortlaut stattgefunden, dächte er vielleicht "manchmal kann die olle Kartoffel ja sogar nett sein" und ist vielleicht auch mal nett, wenn er mal einen Handschlag tun soll, der nicht im Ausbildungsvertrag geregelt ist und die anderen Azubis sind sicher intelligent genug, die Ausnahmesituation zu erkennen und daraus nicht abzuleiten dass sie jetzt kommen und gehen dürfen wie sie wollen.

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  • Endeffekt wendet sich der Azubi an den BR und fragt nach, ob der AG das überhaupt darf

    und an dem Punkt sollte der BR dem AZUBI den "Sachstand" deutlich machen, weil wenn er in dem Moment von irgendeinem Vorgesetzten oder Respektsperson auch noch "bemuttert" wird und "Puderzucker in ... " dann fühlt sich der AZUBI bestätigt und merkt gar nicht das er selber das "Problem" verursacht hat.


    Die "olle Kartoffel" war ja auch nett, das hat er nur noch nicht bemerkt und dann muss man seine Aufmerksamkeit "neu fokussieren" ;)

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