Kann ich - während einer unwideruflichen Freistellung - einen Betriebsrat (mit)gründen?

  • Hallo zusammen,


    ich bin jetzt noch 9 Monate von meinem Arbeitgeber - einem familiengeführten Beratungsunternehmen - freigestellt. Wir haben rund 150 Mitarbeiter, können also einen Betriebsrat wählen (lassen). Es gibt noch keinen.


    Meine Frage: kann ich mich da während meiner bezahlten Freistellung einbringen? Ich bin doch noch angestellt, also vermutlich ja?


    Danke & Gruß

    Basti

    • Hilfreichste Antwort

    Nicht nur das: Du darfst auch zusammen mit 2 Kolleg/innen zur Wahl zur Wahlvorstandes aufrufen, im Wahlvorstand Mitglied sein und sogar während deiner Betriebszugehörigkeit noch als BR kandidieren, unabhängig davon ob du Arbeitsleistung erbringst.

    Für einen Betriebsrat gilt: Lobt dich der Gegner, ist das bedenklich. Schimpft er, dann bist du in der Regel auf dem richtigen Weg. (August Bebel)

  • Hallo,


    das hier

    sogar während deiner Betriebszugehörigkeit noch als BR kandidieren, unabhängig davon ob du Arbeitsleistung erbringst.

    ist leider falsch. Mit der unwiderruflichen Freistellung vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses verliert ein AN seine Wählbarkeit für den BR. Eine Kandidatur ist nicht mehr möglich, eine bestehende BR-Mitgliedschaft endet am ersten Tag der Freistellung. BAG vom 16.4.2003 - 7 ABR 53/02

  • Mit der unwiderruflichen Freistellung vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses verliert ein AN seine Wählbarkeit für den BR. Eine Kandidatur ist nicht mehr möglich, eine bestehende BR-Mitgliedschaft endet am ersten Tag der Freistellung. BAG vom 16.4.2003 - 7 ABR 53/02

    das LAG Hessen hat 2020 genau das Gegenteil entschieden.


    Die Mitgleidschaft und die Wählbarkeit erlischt erst mit dem Erlöschen des Arbeitsverhältnisses


    https://www.haufe.de/personal/…eistellung_76_538596.html

    Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit, denn Macht ohne Verantwortung ist wie ein Feuer außer Kontrolle.


    Einmal editiert, zuletzt von Randolf ()

  • das LAG Hessen hat 2020 genau das Gegenteil entschieden.

    vollkommen richtig. In dem von albarracin angeführten BAG-Urteil geht es um die Freistellungsphase bei Altersteilzeit.

    Dieses Urteil des LAG Hessen wird zwar durchaus kontrovers diskutiert, da auch viele der Meinung sind eine unwiderrufliche Freistellung sei mit der Freistellungsphase bei Altersteilzeit gleichzusetzen, ich persönlich teile aber hier die Auffassung des LAG.

    Eine für mich überzeugende Begründung liefert hier auch das AG Nürnberg:

    Zitat

    ARBEITSGERICHT NÜRNBERG - 13 BV 113/14 - Datum: 16.12.2014

    Nur für den Fall der Altersteilzeit in Form des Blockmodells hat das Bundesarbeitsgericht als Ausnahmefall entschieden, dass das aktive Wahlrecht mit Beginn der Freistellungsphase endet, wenn der Arbeitnehmer danach nicht in den Betrieb zurückkehrt.
    Folglich sei er dann auch nicht wählbar (BAG 16.04.2003 – 7 ABR 53/02). Lindemann gibt deshalb zu bedenken, ob unwiderruflich bis zum Kündigungstermin freigestellte Arbeitnehmer nicht mit Altersteilzeitlern in der Freistellungsphase gleich zu behandeln sind, da auch Erstere nicht in den Betrieb zurückkehren werden (Lindemann, NZA 2002, 365). Dieser Meinung schließt sich die Kammer nicht an. Sie vertritt die Auffassung, dass es sich bei dem Fall der sich in Altersteilzeit befindlichen Mitarbeiter in der Freistellungsphase um einen Ausnahmefall handelt, für den ein Abweichen von den oben genannten Grundsätzen gerechtfertigt sein kann, der aber mit den vorliegenden gekündigten Mitarbeitern nicht vergleichbar ist.
    Bei der Altersteilzeit steht in der Regel ein bis zwei Jahre vor der Freistellungsphase vertraglich fest, wann der einzelne Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausscheidet. Ein solcher Fall ist mit einer Freistellungsvereinbarung nicht zu vergleichen. Regelmäßig ist der Inhalt einer Freistellungsvereinbarung erst durch Auslegung zu ermitteln (vgl.
    zum Beispiel BAG 17.10.2012 – 10 AZR 809/11). Zum Teil wird in der Freistellungsvereinbarung lediglich der Verzicht auf das Angebot der Arbeitsleistung im Rahmen des Annahmeverzugs des Arbeitgebers gesehen (BAG 15.05.2013 – 5 AZR 130/12).
    Im Übrigen bleiben alle Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis bestehen. Auch eine unwiderrufliche Freistellung kann selbstverständlich von den Arbeitsvertragsparteien jederzeit wieder aufgehoben werden. Nebenpflichten und Rücksichtnahmepflichten aus dem Arbeitsverhältnis bestehen fort. Wollte man allein das Kriterium „nicht geplante Rückkehr in den Betrieb“ als entscheidend heranziehen, so müssten auch Fälle gleich behandelt werden, in denen gekündigte Arbeitnehmer ihren gesamten Resturlaub bis zum Schluss des Arbeitsverhältnisses nehmen oder zum Ende des Arbeitsverhältnisses eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation in Anspruch nehmen bzw. absehbar bis zum Ablauf der Kündigungsfrist arbeitsunfähig bleiben. Auch in diesen Fällen ist von vornherein absehbar, dass der gekündigte Arbeitnehmer nicht mehr in den Betrieb zurückkehren wird. Der Antragstellervertreter hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Gleichstellung der Freigestellten mit den Altersteilzeitlern der Regelung in § 38 BetrVG, der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern, widersprechen würde. Denn auch diese freigestellten Betriebsratsmitglieder sind von ihrer Pflicht zur Arbeitsleistung befreit und üben bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ihr Betriebsratsamt aus, selbst wenn absehbar ist, dass sie bis zum Ende ihres Arbeitsverhältnisses keine Arbeitsleistung mehr erbringen werden.


    Letztendlich bleibt aber auch hier ein wichtiger Satz:

    "Regelmäßig ist der Inhalt einer Freistellungsvereinbarung erst durch Auslegung zu ermitteln"

    D.h. die Antwort auf Deine Frage ist mal wieder ein eindeutiges "es kommt darauf an..."

    Sowohl der Ledertaschenmann, als auch albaracin könnten Recht haben, um das genau sagen zu können müsste man Deine Freistellungsvereinbarung vermutlich gerichtlich prüfen und feststellen lassen, ob Deine Freistellung der Freistellungsphase einer Altersteilzeit gleichzusetzen ist, oder eben nicht.


    Ich persönlich würde mich in diesem Fall definitiv für die Gründung eines Betriebsrats engagieren und mich bei Bedarf auf das von Randolf angeführte LAG-Urteil berufen. Dieses ist aktuell und kann durchaus als eindeutig betrachtet werden und sollte jemand mit dem von albaracin angeführten BAG-Urteil um die Ecke kommen, würde ich klarstellen, dass dieses nicht anwendbar ist, da es sich nur auf die Freistellungsphase bei Altersteilzeit bezieht und dies bei mir nicht zutrifft.

    Für meinen Geschmack wäre ich damit argumentativ gut genug aufgestellt, um es bei Bedarf auch auf einen Prozess ankommen zu lassen.

    „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“

    Hanlons Rasiermesser

  • Danke für die Erklärungen. Ich glaube so werde ich es tun. Ich werde mich bis zum Ende des Urlaub (Mitte August) mal näher in die Thematik einlesen. Das ist ja irgendwie alles nicht so leicht. Bei den letzten beiden Versuchen der Gründung hat man (hörensagen, war da nicht dabei), die Leute "weggeekelt". Das geht bei mir und meinem Kollegen schlecht. :)

  • Das geht bei mir und meinem Kollegen schlecht.

    Da magst du Recht haben. Ihr seid ja quasi schon weg...


    Aber ihr könnt den Stein ins Rollen bringen. Nur - was wenn ihn nach euch niemand am Rollen hält? Ihr braucht schon Mitstreiter mit dem nötigen Arsch in der Hose. Sonst wird das allenfalls eine Randbemerkung in der Firmengeschichte!

    Wer fragt ist ein Narr - für fünf Minuten. Wer nicht fragt bleibt ein Narr - sein Leben lang!

  • Da magst du Recht haben. Ihr seid ja quasi schon weg...


    Aber ihr könnt den Stein ins Rollen bringen. Nur - was wenn ihn nach euch niemand am Rollen hält? Ihr braucht schon Mitstreiter mit dem nötigen Arsch in der Hose. Sonst wird das allenfalls eine Randbemerkung in der Firmengeschichte!

    Danke. Du hast recht. Ich muss da auch wen suchen.