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Ausradiert und abgeschafft

Fieses Vorgehen beim Wellpappe-Aus in Gelsenkirchen

Was den Mitarbeitern des Gelsenkirchener Wellpappe-Werks in den letzten Wochen widerfahren ist, klingt wie ein Alptraum – und ist es auch. Völlig überraschend wurde am 31. Oktober Insolvenz angemeldet. Geht es noch schlimmer? Leider ja, denn die Information an die Arbeitnehmer erfolgte nicht persönlich sondern per Brief, der Betriebsrat war nicht eingeweiht, es gab kein Gehalt und allen wurde der Zugang zum Werk verweigert. Betroffen sind 96 Beschäftigte.

Stand:  7.12.2016
Lesezeit:  02:00 min
Ausradiert und abgeschafft | © AdobeStock | PheelingsMedia

Belegschaft und Betriebsrat fielen aus allen Wolken: Per Bote wurden Sie über das Werks-Aus informiert. Kein persönliches Wort, nur die lapidare Begründung, dass aufgrund der „hoffnungslos veralteten" Anlagen im Werk keine Aufträge mehr an Gelsenkirchen vergeben würden, es keine Investitionsmittel zur Modernisierung gebe. Daher habe man Insolvenz anmelden müssen.

Zutritt verweigert

Viele Mitarbeiter, die eigentlich den Brückentag vor dem 01.11. genießen wollten, versammelten sich vor dem Werkstor. Dort der nächste Hammer, denn ein Sicherheitsdienst bewachte das Werk und verhinderte den Zutritt. Auch auf das Oktobergehalt warteten die Kollegen vergeblich. Der Schock über die Nachricht, keine weiteren Informationen, kein Zutritt, kein Geld. Geht man so mit altgedienten und motivierten Kollegen um? Ganz sicher: Nein!

Die Palm-Gruppe, zu der das Gelsenkirchener Werk gehört, hatte hingegen wenig Skrupel: Der Standort wurde umgehend von der Internetpräsenz gelöscht. Ausradiert und abgeschafft, geringer kann man seine Beschäftigten wohl nicht behandeln. Besonders perfide mutet es zudem an, dass Konzernchef Wolfgang Palm am gleichen Tag die Belegschaft eines anderen Werkes über die Schließung informierte, dies für die betroffenen Beschäftigten in Gelsenkirchen wohl aber nicht für nötig hielt.

Wolfgang Palm

Wie sozial sind Sie wirklich, Herr Palm?

In einem Interview gegenüber dem Handelsblatt äußerte Wolfgang Palm noch im Jahr 2010: „Offenheit, Gradlinigkeit, Berechenbarkeit, Zuverlässigkeit und Fairness sind die Grundsätze unserer Unternehmenspolitik". Er betonte die „soziale Einstellung" und „Verbundenheit gegenüber den Beschäftigten". Belohnt wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz, verliehen für besondere Leistungen. Nichts als schöner Schein?

Das sehen offenbar viele so, denn eine Petition zur Aberkennung des Bundesverdienstkreuzes von Wellpappe Chef Wolfgang Palm  fand innerhalb kurzer Zeit bereits rund 1.300 Unterzeichner (Stand: 08.12.2016). In einem Unterstützer-Kommentar von Rainer Schiffkowski, Leiter des Referates Wirtschaftsförderung der Stadt Gelsenkirchen, liest man beispielsweise: „Ich habe bislang noch nie ein solch strategisch kleinteilig vorbereitetes Agieren wider die Menschlichkeit und unter Verletzung von Ethik, Moral und sozialer Verantwortung erleben müssen. (...) Ich gebe meiner Fassungslosigkeit für dieses höchst unanständige Verhalten des Herrn Dr. Palm Ausdruck."

Unterstützung durch ver.di

Auch ver.di verurteilte das Vorgehen der Palm-Gruppe und die angemeldete Insolvenz für das Wellpappewerk Gelsenkirchen scharf. „Dieses verantwortungslose Verhalten stellt einen unglaublichen Vorgang dar", erklärte der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. „Die Palm-Gruppe ist der zweitgrößte Wellpappekonzern in Deutschland, der zuletzt durch millionenschwere Zukäufe seine Marktposition ausgebaut hat. Der Konzern verfügt über genügend Mittel, um ein Werk mit 96 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anständig zu behandeln und mit der Interessenvertretung nach Wegen zum Erhalt der Arbeitsplätze zu suchen. Hier liegt ein klarer Fall vor, ein Werk bewusst in die Insolvenz geführt zu haben." Ver.di stehe an der Seite Beschäftigten und ihrer Familien und werde alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um für den Erhalt der Arbeitsplätze zu kämpfen.

Kleiner Teilerfolg: Zutritt zum Werk

Im Kampf gegen die Palm-Gruppe hat es indes einen ersten kleinen juristischen Erfolg gegeben: Vor dem Arbeitsgericht Gelsenkirchen stritten die Parteien um den Zutritt des Betriebsrats zum Werk. Der Betriebsrat obsiegte mit seinem Antrag auf Einstweilige Verfügung und erhielt wieder Zugang zum Betriebsratsbüro. Auch eine Betriebsversammlung konnte so Mitte November durchgesetzt werden.

Auch finanziell gab es für die Beschäftigten einen kleinen Lichtblick: Der vorläufige Insolvenzverwalter Rolf Weidmann und die Bundesagentur für Arbeit vereinbarten in Verhandlungen mit der Gelsenkirchener Stadtverwaltung die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes für Oktober, bei Bedarf auch für November und Dezember. „Wir hoffen, dass so die schlimmsten finanziellen Sorgen der Belegschaft gemildert werden können", erklärte Oberbürgermeister Frank Baranowski.

Und wie geht es weiter?

Inzwischen hat der Betriebsrat Strafantrag wegen „Herbeiführung einer Insolvenz" gestellt. Parallel dazu geht das Insolvenzverfahren weiter. Sollten die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorliegen, wird in der Regel der vorläufige Insolvenzverwalter zum Insolvenzverwalter ernannt.

Für die Beschäftigten heißt das leider, abzuwarten und im schlimmsten Fall auf die Abwicklung zu warten. Es zeichnet sich laut ver.di ab, dass es zumindest eine Transfergesellschaft geben wird.

Wir werden über die Entwicklungen bei Wellpappe berichten.

Dietrich Manstetten

Dieses Vorgehen darf nicht salonfähig werden!

Wir sprachen mit dem Rechtsanwalt Dietrich Manstetten, der den Wellpappe-Betriebsrat vor dem Arbeitsgericht Gelsenkirchen vertritt.

Ein Fall wie dieser hat auch für Dietrich Manstetten neue Dimensionen. „Eine Insolvenz kommt nicht über Nacht", erläutert er. „Früher gab es eine Art gesellschaftlichen Kodex, ein solches Verhalten gegenüber den Beschäftigten war verpönt und anrüchig. Heute nutzt man immer gezielter das ´Nicht-Arbeitsrecht´, frei nach dem Motto: Einfach machen!".

Ein Beispiel hierfür sei auch das Gerichtsverfahren um den Zutritt des Betriebsrats zum Werk. Denn dass dem Betriebsrat dieses Recht zusteht, sei eindeutig, der Betriebsrat hat das Hausrecht im Betriebsratsbüro. „Deshalb war es für mich auch eine Selbstverständlichkeit, dass wir das Verfahren gewinnen. Aber sich um das Recht einfach nicht mehr zu kümmern, das hat heutzutage schon Methode."

Betriebe würden aufgespalten oder geschlossen und damit erstmal Fakten geschaffen, ohne Rücksicht auf das geltende Recht. „Meine Sorge ist, dass so was salonfähig wird. Das darf nicht passieren. Schon heute gehört etwa die Bekämpfung von Betriebsräten leider zum professionellen Handwerkszeug."

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