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Die älteste Interessenvertretung im deutschen Profifußball

Hendrik Lüttmer, Betriebsratsvorsitzender beim FC St. Pauli, im Interview

Im Profifußball geht es um Millionen! Das gilt allerdings nur für die auf dem Rasen. Oft wird übersehen, dass im Hintergrund Hunderte von Menschen dafür arbeiten, dass das Leder auch wirklich rollt. Und genau die dürfen im Schatten der medialen Aufmerksamkeit nicht vergessen werden, meint FC St. Pauli-Betriebsratsvorsitzender Hendrik Lüttmer. Wie gelingt die Betriebsratsarbeit im deutschen Profifußball?

Stand:  15.11.2022
Lesezeit:  04:15 min
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FC St. Pauli - älteste Interessenvertretung im deutschen Profifußball  | © FCSP

Hendrik, Anfang 2003 wurde beim FC St. Pauli als erstem deutschen Profiverein ein Betriebsrat gegründet. Wie kam es dazu?
Hendrik Lüttmer:
Ganz klar, der Jahrtausendwechsel bekam uns nicht so gut. Nach dem Abstieg in die dritte Liga stand der Verein kurz vorm Exitus. Vielen ist noch das Retterspiel gegen den FC Bayern bekannt. Parallel dazu ist der Partizipationswille auf St. Pauli stark ausgeprägt. Es musste also nur jemand den ersten Stein werfen, wobei die Rahmenbedingungen das stark unterstützt haben – im negativen Sinn.

Wir sind jedenfalls ein hochmotivierter Haufen.

Und wie dürfen wir uns den Betriebsrat eines Proficlubs vorstellen?
Hendrik Lüttmer:
Wir sind ein Elfer-Gremium, relativ klassisch aufgestellt. Von der Verwaltung über das Eventmanagement bis hin zum Sport ist nahezu jeder wichtige Fachbereich vertreten. Mit knapp 50 Prozent haben wir einen hohen Frauenanteil. Noch sind wir etwas in der Findungsphase, einerseits durch die Sommerpause, andererseits mussten die neu gewählten Kollegen erst noch durch die Schulungen. Die Liste an Themen haben wir aus dem alten Gremium übernommen. Digital sind wir gut aufgestellt, aber das ist der Verein generell. Wir sind jedenfalls ein hochmotivierter Haufen.

Um was kümmert Ihr Euch als Betriebsrat alles?
Hendrik Lüttmer:
Fußball ist ein Eventbereich! Kerngeschäft ist natürlich, was auf dem Rasen passiert. Aber drumherum muss viel stattfinden. Ein Verein ist mehr als der Profibereich, auch wenn hier natürlich das meiste Geld durchfließt. Manchmal wird vergessen, dass zwischen 20 und 1.000 Leute arbeiten, damit der Spielbetrieb läuft. Kurz und bündig: Wir sind für alle Mitarbeitenden zuständig. Denn auch der Sportbereich bei den meisten Profivereinen umfasst nicht nur die Topspieler plus Trainerteam, sondern einen großen Nachwuchs- und Verwaltungsapparat mit sehr vielen Menschen – vom Nachwuchstrainer, Zeugwart bis zum Fahrer. Hier schauen wir genau, gerade hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, den Arbeitszeiten und den Entlohnungssystemen.

Mitsprache bei einem Fußballverein: Entscheidet Ihr bei Spielertransfers mit? 
Hendrik Lüttmer:
Fußball ist ein sehr spezieller Bereich, was das Vertragswesen angeht. Spieler und Berater haben sich hier gewissermaßen eine eigene Welt geschaffen, wobei das Arbeitsrecht selbstverständlich greift. Wir akzeptieren aber, dass es Grenzen gibt. Und deshalb mischen wir uns nicht in Transfergeschäfte ein. Wenn jedoch ein Profi auf uns zukommt, weil er Probleme hat, ist er herzlich eingeladen.

Das Grundverständnis ist vorhanden, dass ein Betriebsrat absolut wichtig ist.

Klingt nach einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Verein und Betriebsrat.
Hendrik Lüttmer:
Ich glaube, dass man als Verein ein großes Selbstverständnis hat, was wiederum das Hinterfragen von Strukturen erschwert. Emotionale Befindlichkeiten sind schon sehr groß, auch wenn es von der Funktionalität ein ganz normales Unternehmen ist. Aber das Grundverständnis ist vorhanden, dass ein Betriebsrat absolut wichtig ist. Wie kleinteilig dieser mitarbeitet, darüber gibt es Diskussionen und mal Streitigkeiten wie überall. Der Fußball hat da keine Sonderstellung, nur mehr medialen Glanz.

Es könnte Teil der Lizenzierung sein, eine Arbeitnehmervertretung zu haben.

Von den 36 Vereinen in der zweiten und ersten Liga haben nur sechs Vereine einen Betriebsrat. Warum tun sich Proficlubs mit einer Interessenvertretung derart schwer?
Hendrik Lüttmer:
(überlegt) Gute Frage. Zunächst hat es lange gedauert, diesen aus dem Vereinswesen gewachsenen Strukturen einen Unternehmenscharakter zu geben. Zudem – und da kann ich nicht nur für uns sprechen – ist es die emotionale Bindung zum Arbeitgeber, was nicht selten zu fehlender Kritikfähigkeit führt. Man könnte die Frage auch andersrum stellen …

… wie würde diese Frage lauten?
Hendrik Lüttmer:
Warum ist es nicht verpflichtend? Die Deutsche Fußball Liga gibt wahnsinnig viel vor, beispielsweise was die Nachwuchsleistungszentren oder Nachhaltigkeitskriterien angeht. Es könnte Teil der Lizenzierung sein, eine Arbeitnehmendenvertretung zu haben.

Im Vergleich zu anderen Unternehmen, worauf müsst Ihr ein besonderes Augenmerk legen?
Hendrik Lüttmer:
Wir haben dieselben Schwerpunkte wie viele Unternehmen. Arbeitszeit ist ein großes Thema, wobei wir das EuGH-Urteil zur Erfassung schon frühzeitig umgesetzt haben. In Sachen Home-Office stehen wir kurz vor einer Einigung. Generell ist der Verein sehr schnell gewachsen und die Strukturen sind wahnsinnig heterogen: Sport, Event, Organisation, Handel. Es gibt vier, fünf Unternehmenstypen mit unterschiedlichem Aufbau. Darüber ein Dach zu errichten, ist sehr schwierig. Da arbeiten Verein und Betriebsrat tagtäglich daran.

Arbeitsrecht ist nicht durch Auf- oder Abstieg zu regeln.

Wie sehr ist man als „normaler“ Mitarbeiter vom sportlichen Erfolg abhängig?
Hendrik Lüttmer:
Ein Aspekt, der wichtig ist: Arbeitsrecht ist nicht durch Auf- oder Abstieg zu regeln! Befristungen und Laufzeiten gibt es nicht im Hop-On-, Hop-Off-Verfahren. Dem müssen sich auch Bundesligavereine unterordnen. Die Verwaltung eines Unternehmens geht nicht den Bach runter, wenn die Haupteinnahmequelle geringer wird. Das muss schon ein längerer Prozess sein, bevor über Personal gesprochen wird. Und die Millionen, die durch TV-Gelder in die Vereine fließen, kommen ja nicht sofort der Belegschaft zugute, da sollte im Umkehrfall auch nicht gleich an Abbau gedacht werden. Es geht immer um Perspektive und Sicherheit, die Mitarbeitenden sollten nach einer Niederlage keine Angst um den Job haben.

Betriebsräte müssen mitunter auch mal hart für ihre Anliegen kämpfen. Ist es schwer, wenn man gleichzeitig Fan des Vereins ist?
Hendrik Lüttmer:
Ja, nein, vielleicht! Ich bin schon lange dabei, da ist es nicht mehr so schwierig. Außerdem komme ich aus einer Fanszene, die sehr kritisch mit den Begebenheiten umgeht. Für jemanden, der oder die neu als Fan in den Verein kommt, ist das schon komplizierter. Die Emotionalität kann Hemmnis in alle Richtungen sein, das kann man nicht wegdiskutieren.

Uns ist wichtig, dass alle wirklich alle bedeutet. Egal welche Vereinbarung getroffen wird, sie gilt erstmal für jeden.

Auf welche Erfolge in Deiner Amtszeit bist Du besonders stolz?
Hendrik Lüttmer:
Die Organisation der Kurzarbeit haben wir gut hinbekommen. Und wir ernten jetzt das, für was wir in den vier Jahren zuvor hart gekämpft haben. Stück für Stück haben wir ein Bewusstsein geschaffen, dass unser Mitspracherecht völlig selbstverständlich ist. Es ist also kein Strukturkampf mehr. Außerdem ist uns sehr wichtig, dass alle wirklich alle bedeutet. Egal welche Vereinbarung getroffen wird, sie gilt erstmal für jeden, insbesondere auch für Teilzeitkräfte, von denen es im Fußball sehr viele gibt. Ausnahmen müssen aktiv begründet werden.

Umgekehrt: Wo gibt es Nachholbedarf?
Hendrik Lüttmer:
Wir möchten dem Verwaltungsbereich noch mehr Substanz geben. Soll heißen, die Mitarbeitenden in Vermarktung-Marketing-Handel etc. mehr in den Fokus rücken, ohne sich von der Schnelllebigkeit des Fußballs täuschen zu lassen. Und natürlich die Arbeitsbedingungen im Nachwuchsbereich, da gibt es arbeitsrechtlich bundesweit noch sehr, sehr viel Verbesserungspotenzial.

Im Fußball geht es um Millionenbeträge: Ist Deiner Meinung nach die Bezahlung von Spielern noch gerechtfertigt?
Hendrik Lüttmer:
Da finde ich jeden Eventbereich mittlerweile absurd, wenn man sich zum Beispiel die Eintrittsgelder für Konzerte ansieht. Im Fußball ist das Problem, dass ein Teil der Gelder fließt, obwohl dieses gar nicht von Mitarbeitenden erwirtschaftet wird. Von den Fernsehverträgen etwa könnten prozentuale Anteile in andere Strukturen fließen. Mich würde es freuen, wenn den Mannschaften die Absurdität bewusst und ihnen klar ist, wer all das ermöglicht. Letztlich sind die Gehälter außerhalb unseres Einflusses. Wir fokussieren uns auf das, was wir beeinflussen können. (tis)

BRV Hendrik Lüttmer | © FCSP

Zur Person

Hendrik Lüttmer hat bereits die Betriebsratsgründung beim FC St. Pauli im Jahr 2003 miterlebt. Er arbeitet seit 2001 inklusive einiger Aus- und Wiedereingliederungen von Firmenteilen im Merchandising, zuletzt als Leiter der Marketing-Abteilung. Seit 2015 gehört er dem Betriebsrat des FC St. Pauli und der Tochtergesellschaften an, ab 2018 als Betriebsratsvorsitzender. Aufgrund der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Problemen (drohender Spielabbruch, Kurzarbeit etc.) ist er gemeinsam mit seiner Stellvertreterin seit 2020 freigestellt. Mit seinem Gremium ist er für knapp 500 Mitarbeiter und etwa 120 Übungsleiter verantwortlich

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