Mehr Fortschritt wagen – unter diesen Titel haben SPD, Grüne und FDP ihre Pläne für die kommenden vier Jahre vorgestellt. Das Wort „Betriebsrat“ kommt vier Mal vor im Dokument, der Mitbestimmung ist etwas mehr als eine halbe Seite gewidmet.
Tipp:
Hier gehts zum Koalitionsvertrag im Wortlaut.
Was steht aber nun drin? Es fallen gleich mehrere Passagen ins Auge, die für Betriebsräte und Arbeitnehmer interessant sind.
Behinderung einer BR-Wahl wird Offizialdelikt
Die Gründung von Betriebsräten und die Behinderung von BR-Arbeit soll ein „Offizialdelikt“ werden. Was das heißt? Offizialdelikte sind Straftaten, die von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen (also selbsttätig) verfolgt werden müssen. Damit soll unter anderem „die missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts“ verhindert werden – Missbrauch und Vermeidung von Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer sollen also explizit verhindert werden.
Ein gutes Signal für Betriebsräte, denn theoretisch, so legt es § 119 BetrVG fest, wird die Behinderung der Betriebsratsarbeit mit Freiheitsstrafe schon heute von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet. Als „zahnloser Tiger wird die Regelung häufig verspottet“.
Auch Betriebsratswahlen sollen online abgehalten werden können.
Mitbestimmung: Betriebsräte werden digital
Betriebsräte könnten „digitaler“ werden, indem sie selbst entscheiden, ob sie analog oder digital arbeiten wollen. Auch Betriebsratswahlen sollen online abgehalten werden können – dies zumindest als Pilotprojekt. Wohlgemerkt, bis jetzt sind das nur Ankündigungen.
All das waren bei der Einführung des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes so noch nicht vorgesehen. Zwar wurde mit § 30 BetrVG die dauerhafte Möglichkeit von virtuellen Sitzungen des Betriebsrats geschaffen – Sitzungen in Präsenz haben derzeit aber weiter Vorrang.
Digitale Betriebsversammlungen sind derzeit wieder möglich, befristet bis März 2022 nach § 129 BetrVG. Online-Wahlen gab es bislang noch nicht.
Unternehmensweite Mitbestimmung
Die Ampelkoalition will die Aushebelung der Unternehmensmitbestimmung erschweren.
Auch durch eine Umwandlung in eine SE-Gesellschaft soll die Arbeitnehmermitbestimmung im Aufsichtsrat nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) nicht verhindert werden können. Außerdem soll die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen werden.
Digitaler Zugang für Gewerkschaften
Gewerkschaften sollen – entsprechend ihren analogen Rechten – einen digitalen Zugang in die Betriebe erhalten. Laut Art. 9 GG müssen Gewerkschaften Zugang zum Betrieb und zu Beschäftigen haben, um über ihre Arbeit informieren und Mitglieder anwerben zu können. Dies fällt derzeit wegen Home-Office schwer. Viele Informationen werden zudem digital verbreitet.
Abweichungen von der Tageshöchstarbeitszeit auf vorübergehend 10 Stunden wären möglich.
Flexible Arbeitszeitmodelle
Bei den Plänen zur Arbeitszeit mehren sich kritische Stimmen. Laut der Ampel soll die Einführung flexiblerer Arbeitszeitmodelle durch Tarifverträge ermöglicht werden. Auch soll es u.U. möglich sein, von den geltenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes zur täglichen Höchstarbeitszeit „im Rahmen von Tarifverträgen“ abzuweichen. Abweichungen von der Tageshöchstarbeitszeit auf vorübergehend 10 Stunden wären möglich, auch wenn der Grundsatz des Acht-Stunden Tages bestehen bleiben soll.
Weitere Regelungsunkte sind die Arbeitszeiterfassung im Hinblick auf das Urteil des EuGH sowie die Vertrauensarbeitszeit.
Es soll einen „Erörterungsanspruch“ geben.
Kein Recht auf Home-Office, aber …
Ein gesetzliches Recht auf Home-Office ist nicht geplant. Aber: Es soll einen „Erörterungsanspruch“ geben. Dem Wunsch der Beschäftigten sollen Arbeitgeber nur dann widersprechen können, wenn dem betriebliche Belange entgegenstehen – eine Ablehnung darf nicht sachfremd oder willkürlich sein. Raum für tarifliche und betriebliche Regelungen soll dabei bestehen bleiben. Die Arbeit im Home-Office als eine eigenständige Form des mobilen Arbeitens soll zudem klar von der Telearbeit unterschieden werden. Mobile Arbeit soll innerhalb der gesamten Europäischen Union unproblematisch möglich sein.
Inklusion
Den Plänen zufolge soll Inklusion generell vorangetrieben werden. Angebote von Werkstätten für behinderte Menschen sollen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ausgerichtet werden; Inklusionsunternehmen sollen durch eine steuerliche Privilegierung gestärkt werden. Es ist geplant, eine vierte Stufe der Ausgleichsabgabe für jene einführen, die trotz Beschäftigungspflicht keinen Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Und: Der klassische Schwerbehindertenausweis wird auf einen digitalen Teilhabeausweis umgestellt.
Die Möglichkeit der Befristung mit Sachgrund soll auf sechs Jahre begrenzt werden.
Befristete Arbeitsverträge
Schon die Vorgängerregierung ist beim Thema Befristung gescheitert. Den jetzigen Plänen zufolge soll die Möglichkeit der Befristung mit Sachgrund auf sechs Jahre begrenzt werden. Zudem soll die Möglichkeit der Haushaltsbefristung für den öffentlichen Dienst abgeschafft werden.
Mobbing-Report und BEM
Die Bundesregierung will das betriebliche Eingliederungsmanagement stärken. Und „Insbesondere der psychischen Gesundheit widmen wir uns intensiv und erarbeiten einen Mobbing-Report“. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sollen bei Prävention und Umsetzung des Arbeitsschutzes unterstützt werden.
Aus- und Weiterbildung
Berufliche Aus- und Weiterbildung in Teilzeit soll gefördert werden (Bildungs(teil)zeit); und ein an das Kurzarbeitergeld angelehntes Qualifizierungsgeld geschaffen werden. Digitale Angebote und Möglichkeiten sollen einfach zugänglich sein und übersichtlich gestaltet werden.
Der gesetzliche Mindestlohn soll auf 12 Euro angehoben werden.
Mindestlohn und „gender pay gap“
Der gesetzliche Mindestlohn soll durch eine einmalige Anpassung auf 12 Euro pro Stunde angehoben, die Midi-Job-Grenze von 1.300 € auf 1.600 € pro Monat und die Minijob-Grenze auf 520 € pro Monat erhöht werden. Auch zum „gender pay gap“, der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, findet man Antworten im Koalitionsvertrag: Beschäftigte sollen ihre Rechte nicht mehr selbst geltend machen müssen, sondern sich dafür auch an Verbände wenden können (Änderung der Prozessstandschaft).
Tarifflucht verhindern
Was tun gegen die Tarifflucht? Die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes soll an die Einhaltung eines Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden werden. Betriebsausgliederungen zum Zwecke der Tarifflucht „bei Identität des bisherigen Eigentümers” sollen durch Fortgeltung des Tarifvertrags verhindert werden. Unangetastet soll § 613a BGB bleiben (Rechte und Pflichten beim Betriebsübergang).
(Betriebliche) Altersversorgung
Das Rentenalter soll unverändert bleiben, so die Pläne. Die betriebliche Altersversorgung soll ein elementarer Bestandteil bleiben; sie soll durch die Möglichkeit von Anlageoptionen mit höheren Renditen attraktiver gemacht werden.
Kirchliches Arbeitsrecht – Schuss mit Sonderrechten?
Es wird eine „Angleichung“ des kirchlichen und des staatlichen Arbeitsrechts angestrebt. Aber: „verkündigungsnahe Tätigkeiten sind ausgenommen“.
Viele der Pläne klingen nach gutem Willen – sehr konkret ist es noch nicht.
Die wichtigste Frage: Was davon wird umgesetzt?
An vielen Stellen, so scheint es, soll das Arbeitsrecht etwas arbeitnehmerfreundlicher werden. Aber: Was von den Plänen wirklich umgesetzt werden wird, bleibt abzuwarten. Die vorige Regierung hat ein paar ihrer Pläne bis zuletzt nicht realisiert, wie z.B. Regulierung sachgrundlos befristeter Jobs. Auch eine Reform des Arbeitszeitgesetzes blieb auf der Strecke.
Viele der Pläne klingen nach heutigem Stand nach gutem Willen – sehr konkret ist es an einigen Stellen noch nicht. Wann wirklich Verbindlichkeiten geschaffen werden – das bleibt spannend! (CB)