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Anspruch auf Gefährdungsbeurteilung

1. Arbeitnehmer haben nach § 5 Abs. 1 ArbSchG in Verbindung mit § 618 Abs. 1 BGB Anspruch auf eine Beurteilung der mit ihrer Beschäftigung verbundenen Gefährdung.

2. § 5 Abs. 1 ArbSchG räumt dem Arbeitgeber bei dieser Beurteilung einen Spielraum ein. Der Betriebsrat hat bei dessen Ausfüllung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen. Der einzelne Arbeitnehmer kann deshalb nicht verlangen, dass die Gefährdungsbeurteilung nach bestimmten von ihm vorgegebenen Kriterien durchgeführt wird.

(Leitsätze des Gerichts)

 

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.08.2008 – 9 AZR 1117/06

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Redaktion
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Der Fall

Der Kläger arbeitet bei der beklagten Arbeitgeberin als Gießereigehilfe. Er ist dort im Bereich der Sandaufbereitung mit Putz- und Reinigungsarbeiten betraut. Seine Aufgabe besteht darin, den Fußboden mehrerer Kellerräume mit einem Staubsauger, einer Schaufel und einer Schubkarre von Sand zu reinigen. Als persönliche Schutzausrüstung stehen ihm ein Schutzhelm, eine Staubmaske, Ohrenschützer und Sicherheitsschuhe zur Verfügung.
Im August 2004 beurteilte ein Sicherheitsingenieur die Sicherheit und den Gesundheitsschutz des Arbeitsbereichs des Klägers. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt krankheitsbedingt nicht anwesend. Er hält die Feststellungen des Sicherheitsingenieurs für unzureichend und verlangt deswegen eine erneute Gefährdungsbeurteilung, die insbesondere die Gefährdungspotenziale Lärm, Staub, Hitze, Arbeitshemmnisse und Hindernisse, unklare Aufgabenstellungen, mangelnde Bewegungsspielräume und Vorgesetztenverhalten sowie die hieraus resultierenden psychischen Belastungen umfasst. Die von dem Sicherheitsingenieur getroffenen Feststellungen entsprächen nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen an eine Gefährdungsbeurteilung nach 5 ArbSchG.

Urlaub bei langandauernder Krankheit

1. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/ 88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nicht entgegensteht, nach denen ein Arbeitnehmer im Krankheitsurlaub nicht berechtigt ist, während eines Zeitraums, der in die Zeit des Krankheitsurlaubs fällt, bezahlten Jahresurlaub zu nehmen.

2. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums auch dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses fortgedauert hat, weshalb er seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte.

3. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen für nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums und/ oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben bzw. im Krankheitsurlaub war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte. Für die Berechnung der entsprechenden finanziellen Vergütung ist das gewöhnliche Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers, das während der dem bezahlten Jahresurlaub entsprechenden Ruhezeit weiterzuzahlen ist, maßgebend.

(Leitsätze des Gerichts)

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 20.01.2009 – C-350/06 und C-520/06

Zur Rechtsprechung

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht stellt in seiner Entscheidung zunächst fest, dass jeder Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch darauf hat, dass die mit seiner Arbeitstätigkeit verbundenen Gefährdungen von seinem Arbeitgeber beurteilt werden. Anspruchsgrundlage sei hierfür § 618 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) in Verbindung mit § 5 Abs. 1 ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz). Die in § 5 Abs. 1 Arb- SchG geregelte Gefährdungsbeurteilung diene dem Schutz des einzelnen Arbeitnehmers und begründe eine arbeitsvertragliche Verpflichtung des Arbeitgebers. Unerheblich sei, dass die Gefährdungsbeurteilung nicht in erster Linie dazu diene, unmittelbare Gesundheitsgefahren zu verhüten. Die Ermittlung der Gefährdungen im Vorfeld durch die Gefährdungsbeurteilung sei „zentrales Element des technischen Arbeitsschutzes“. Mit der Gefährdungsbeurteilung fange „der Schutz der Gesundheit als der körperlichen und geistig-psychischen Integrität des Arbeitnehmers an“. Der Anspruch sei allerdings nicht auf die Berücksichtigung bestimmter Beurteilungskriterien und -methoden gerichtet. § 5 Abs. 1 ArbSchG belasse dem Arbeitgeber einen Beurteilungsspielraum, in welcher Weise die Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird. Bei der Ausfüllung dieses Beurteilungsspielraums habe der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen. Der arbeitsvertragliche Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers sei daher allein auf die fehlerfreie Ermessensausübung gerichtet. Bei dieser Ausgangslage wies das Bundesarbeitsgericht die Klage mit der Begründung ab, dass der Kläger mit seinem Klageantrag zu viel verlangt habe. Die geforderte Berücksichtigung bestimmter Gefährdungspotenziale sei mit dem gesetzlich eingeräumten Regelungsspielraum der Betriebsparteien bei der betrieblichen Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung unvereinbar. Verlangt werden könne lediglich, dass der Arbeitgeber sein Initiativrecht ausübt, um mit dem Betriebsrat die erforderliche Einigung über die Art und Weise der Durchführung des Gesundheitsschutzes zu erzielen.

Bedeutung für die Praxis

Mit dem vorliegenden Urteil hat das Bundesarbeitsgericht erstmals einen Individualanspruch auf Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung anerkannt. Das hört sich zunächst einmal gut an. Die Entscheidung zeigt allerdings sehr deutlich, dass dieser Anspruch in vielen Fällen nur begrenzt weiterhelfen wird.
Der Kläger hat den Prozess letztendlich verloren, weil er bestimmte Gefährdungspotenziale (z.B. psychische Belastungen) durch das Führungsverhalten der Vorgesetzten berücksichtigt sehen wollte. Es ging ihm also nicht nur darum, dass irgendwie Gefährdungen ermittelt werden, sondern auch um die Art und Weise, wie die Gefährdungsbeurteilung erfolgt. Diese für einen effektiven Arbeits- und Gesundheitsschutz entscheidenden Weichenstellungen lassen sich nach dem vorliegenden Urteil nicht mit einem Individualanspruch verfolgen. Das Bundesarbeitsgericht stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Beurteilungskriterien und Methoden der Gefährdungsbeurteilung durch kollektive Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat geregelt werden müssen. Rechtsgrundlage hierfür ist das Mitbestimmungsrecht bei Regelungen zum betrieblichen Gesundheitsschutz nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Der Arbeitgeber kann daher keine wirksamen Regelungen treffen, ohne sich zuvor mit dem Betriebsrat verständigt zu haben, was die Anrufung der Einigungsstelle beinhalten kann. Die Entscheidung verdeutlicht die weitreichende Verantwortung des Betriebsrats für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten. Durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung „Gefährdungsbeurteilung“ auf Grundlage von § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG kann erreicht werden, dass Gefährdungen realistisch ermittelt und wirksame Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit getroffen werden. Die vom Kläger angesprochenen und naheliegenden Aspekte der Gefährdungsbeurteilung (z.B. Lärm, Hitze, psychische Belastungen durch das Führungsverhalten) hätten im Rahmen einer Betriebsvereinbarung berücksichtigt werden können – und müssen, um den offensichtlich extrem gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen des Klägers zu begegnen.

Dr. Ulrich Faber, Rechtsanwalt in Bochum www.judix.de

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