Liebe Nutzer,

für ein optimales und schnelleres Benutzererlebnis wird als Alternative zum von Ihnen verwendeten Internet Explorer der Browser Microsoft Edge empfohlen. Microsoft stellt den Support für den Internet Explorer aus Sicherheitsgründen zum 15. Juni 2022 ein. Für weitere Informationen können Sie sich auf der Seite von -> Microsoft informieren.

Liebe Grüße,
Ihr ifb-Team

Anspruch auf Gefährdungsbeurteilung

1. Arbeitnehmer haben nach § 5 Abs. 1 ArbSchG in Verbindung mit § 618 Abs. 1 BGB Anspruch auf eine Beurteilung der mit ihrer Beschäftigung verbundenen Gefährdung.

2. § 5 Abs. 1 ArbSchG räumt dem Arbeitgeber bei dieser Beurteilung einen Spielraum ein. Der Betriebsrat hat bei dessen Ausfüllung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen. Der einzelne Arbeitnehmer kann deshalb nicht verlangen, dass die Gefährdungsbeurteilung nach bestimmten von ihm vorgegebenen Kriterien durchgeführt wird.

(Leitsätze des Gerichts)

 

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.08.2008 – 9 AZR 1117/06

Teilen: 

Kostenlose ifb-Newsletter

Abonnieren Sie unsere Newsletter

Bleiben Sie auf dem Laufenden mit unseren Newslettern für Betriebsräte, SBV und JAV.
Jetzt abonnieren

Der Fall

Der Kläger arbeitet bei der beklagten Arbeitgeberin als Gießereigehilfe. Er ist dort im Bereich der Sandaufbereitung mit Putz- und Reinigungsarbeiten betraut. Seine Aufgabe besteht darin, den Fußboden mehrerer Kellerräume mit einem Staubsauger, einer Schaufel und einer Schubkarre von Sand zu reinigen. Als persönliche Schutzausrüstung stehen ihm ein Schutzhelm, eine Staubmaske, Ohrenschützer und Sicherheitsschuhe zur Verfügung.
Im August 2004 beurteilte ein Sicherheitsingenieur die Sicherheit und den Gesundheitsschutz des Arbeitsbereichs des Klägers. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt krankheitsbedingt nicht anwesend. Er hält die Feststellungen des Sicherheitsingenieurs für unzureichend und verlangt deswegen eine erneute Gefährdungsbeurteilung, die insbesondere die Gefährdungspotenziale Lärm, Staub, Hitze, Arbeitshemmnisse und Hindernisse, unklare Aufgabenstellungen, mangelnde Bewegungsspielräume und Vorgesetztenverhalten sowie die hieraus resultierenden psychischen Belastungen umfasst. Die von dem Sicherheitsingenieur getroffenen Feststellungen entsprächen nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen an eine Gefährdungsbeurteilung nach 5 ArbSchG.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht stellt in seiner Entscheidung zunächst fest, dass jeder Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch darauf hat, dass die mit seiner Arbeitstätigkeit verbundenen Gefährdungen von seinem Arbeitgeber beurteilt werden. Anspruchsgrundlage sei hierfür § 618 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) in Verbindung mit § 5 Abs. 1 ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz). Die in § 5 Abs. 1 Arb- SchG geregelte Gefährdungsbeurteilung diene dem Schutz des einzelnen Arbeitnehmers und begründe eine arbeitsvertragliche Verpflichtung des Arbeitgebers. Unerheblich sei, dass die Gefährdungsbeurteilung nicht in erster Linie dazu diene, unmittelbare Gesundheitsgefahren zu verhüten. Die Ermittlung der Gefährdungen im Vorfeld durch die Gefährdungsbeurteilung sei „zentrales Element des technischen Arbeitsschutzes“. Mit der Gefährdungsbeurteilung fange „der Schutz der Gesundheit als der körperlichen und geistig-psychischen Integrität des Arbeitnehmers an“. Der Anspruch sei allerdings nicht auf die Berücksichtigung bestimmter Beurteilungskriterien und -methoden gerichtet. § 5 Abs. 1 ArbSchG belasse dem Arbeitgeber einen Beurteilungsspielraum, in welcher Weise die Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird. Bei der Ausfüllung dieses Beurteilungsspielraums habe der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen. Der arbeitsvertragliche Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers sei daher allein auf die fehlerfreie Ermessensausübung gerichtet. Bei dieser Ausgangslage wies das Bundesarbeitsgericht die Klage mit der Begründung ab, dass der Kläger mit seinem Klageantrag zu viel verlangt habe. Die geforderte Berücksichtigung bestimmter Gefährdungspotenziale sei mit dem gesetzlich eingeräumten Regelungsspielraum der Betriebsparteien bei der betrieblichen Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung unvereinbar. Verlangt werden könne lediglich, dass der Arbeitgeber sein Initiativrecht ausübt, um mit dem Betriebsrat die erforderliche Einigung über die Art und Weise der Durchführung des Gesundheitsschutzes zu erzielen.

Bedeutung für die Praxis

Mit dem vorliegenden Urteil hat das Bundesarbeitsgericht erstmals einen Individualanspruch auf Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung anerkannt. Das hört sich zunächst einmal gut an. Die Entscheidung zeigt allerdings sehr deutlich, dass dieser Anspruch in vielen Fällen nur begrenzt weiterhelfen wird.
Der Kläger hat den Prozess letztendlich verloren, weil er bestimmte Gefährdungspotenziale (z.B. psychische Belastungen) durch das Führungsverhalten der Vorgesetzten berücksichtigt sehen wollte. Es ging ihm also nicht nur darum, dass irgendwie Gefährdungen ermittelt werden, sondern auch um die Art und Weise, wie die Gefährdungsbeurteilung erfolgt. Diese für einen effektiven Arbeits- und Gesundheitsschutz entscheidenden Weichenstellungen lassen sich nach dem vorliegenden Urteil nicht mit einem Individualanspruch verfolgen. Das Bundesarbeitsgericht stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Beurteilungskriterien und Methoden der Gefährdungsbeurteilung durch kollektive Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat geregelt werden müssen. Rechtsgrundlage hierfür ist das Mitbestimmungsrecht bei Regelungen zum betrieblichen Gesundheitsschutz nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Der Arbeitgeber kann daher keine wirksamen Regelungen treffen, ohne sich zuvor mit dem Betriebsrat verständigt zu haben, was die Anrufung der Einigungsstelle beinhalten kann. Die Entscheidung verdeutlicht die weitreichende Verantwortung des Betriebsrats für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten. Durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung „Gefährdungsbeurteilung“ auf Grundlage von § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG kann erreicht werden, dass Gefährdungen realistisch ermittelt und wirksame Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit getroffen werden. Die vom Kläger angesprochenen und naheliegenden Aspekte der Gefährdungsbeurteilung (z.B. Lärm, Hitze, psychische Belastungen durch das Führungsverhalten) hätten im Rahmen einer Betriebsvereinbarung berücksichtigt werden können – und müssen, um den offensichtlich extrem gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen des Klägers zu begegnen.

Dr. Ulrich Faber, Rechtsanwalt in Bochum www.judix.de

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Seminarvorschlag