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Die Verweigerung der Durchführung von Corona-Schnelltests führt nicht automatisch zur Kündigung

Die Weigerung eines Arbeitnehmers, der vom Arbeitgeber angeordneten Corona-Testpflicht nachzukommen, stellt einen schuldhaften Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten dar. Einer Kündigung aufgrund der Verweigerung der Durchführung von Corona-Schnelltests muss allerdings grundsätzlich eine Abmahnung vorausgehen.

Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 24.11.2021 – 27 Ca 208/21

Stand:  18.1.2022
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Das ist passiert:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung. Die Arbeitgeberin hatte die Kündigung ausgesprochen, weil der Arbeitnehmer sich weigerte, vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie bereitgestellte Schnelltests durchzuführen. 

Die Arbeitgeberin ist Dienstleister im Bereich der Personenbeförderung. Der Arbeitnehmer war als Fahrer beschäftigt. Ab April 2021 übernahm die Arbeitgeberin in Hamburg Nachtfahrten des öffentlichen Personennahverkehrs und gab per Pressemitteilung bekannt, dass neben anderen Infektionsschutzmaßnahmen „[…] die Fahrer […] regelmäßig auf Corona-Infektionen getestet [werden]“.

Laut dem Arbeitsvertrag hatte der Arbeitnehmer die Vorgaben des sogenannten Fahrer-Handbuchs „strengstens“ zu befolgen. Dieses wurde um die betriebliche Testpflicht ergänzt. Zudem teilte die Arbeitgeberin den Fahrern mit, dass sie Corona-Selbsttest „für dich zu Hause“ anbiete. Darüber hinaus sollten die Arbeitnehmer an ihrem ersten Arbeitstag vor Schichtbeginn ein Test vor Ort unter Aufsicht durchführen, um sicherzustellen, dass die Testung problemfrei und korrekt erfolgt. Der Arbeitnehmer lehnte es an drei Tagen hintereinander ab, vor Fahrtbeginn den bereitgestellten Corona-Schnelltest vor Ort durchzuführen. Er verweigerte auch die Mitnahme von Testkits, um sich regelmäßig zu Hause selbst zu testen. Die Arbeitgeberin schickte ihn an jedem dieser Tage wieder nach Hause, stellte ihn unbezahlt frei und kündigte dem Arbeitnehmer zum 15.07.2021.

Der Arbeitnehmer geht unter anderem davon aus, dass weder eine gesetzliche noch eine kollektivrechtliche Verpflichtung für Arbeitnehmer zur Teilnahme an Corona-Tests ohne Rücksicht auf das Vorhandensein etwaiger Symptome bestanden habe und die Anordnung der Testpflicht durch die Arbeitgeberin auch nicht von ihrem Weisungsrecht gedeckt sei. Die Anordnung einer verdachtsunabhängigen Testpflicht sei unrechtmäßig, da hierbei die Rechte des Arbeitnehmers, insbesondere sein Recht auf körperliche Unversehrtheit und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, übermäßig verletzt würden.

Das entschied das Gericht:

Die verhaltensbedingte Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt und daher ist das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet.

Eine verhaltensbedingte Kündigung ist in zwei Stufen zu prüfen. Zunächst ist festzustellen, ob ein Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten vorliegt, der grundsätzlich geeignet ist, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund zu rechtfertigen. Im zweiten Schritt ist zu prüfen, ob das auch im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen so ist. Eine Kündigung scheidet aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen seitens des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Einer Abmahnung bedarf es nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur dann nicht, wenn bereits vorab erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist.

Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Anordnung der Arbeitgeberin gegenüber ihren Fahrern, die von ihr bereitgestellten Corona-Schnelltests (auch erstmalig vor Ort auf dem Betriebsgelände der Arbeitgeberin) durchzuführen, rechtmäßig war. Der Arbeitnehmer hätte daher durch die Ablehnung der Tests schuldhaft gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Nach Auffassung der Kammer wäre allerdings vor Ausspruch einer Kündigung der Ausspruch einer Abmahnung als milderes Mittel geeignet und ausreichend gewesen, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Das Gericht konnte auch im Rahmen einer durchgeführten Beweisaufnahme nicht mit Sicherheit feststellen, dass der Arbeitnehmer vor der Kündigung wirksam abgemahnt worden war. Die Sachverhaltsdarstellung der Arbeitgeberin hinsichtlich einer angeblich mündlich erfolgten Abmahnung weiche von den Zeugenaussagen ab. So erklärte laut Gericht beispielsweise die vor Ort zuständige „Driver Managerin“ als Zeugin ohne zu zögern auf Nachfrage, dass sie dem Arbeitnehmer nicht angedroht habe, dass dieser im Wiederholungsfall mit einer Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen müsse. Sie habe lediglich gesagt, dass er ohne die Durchführung des Selbsttests nicht fahren werde. Nach Ansicht des Gerichts war die Arbeitgeberin, die insoweit die Beweislast trägt, somit nicht berechtigt, das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist sogleich zu kündigen.

Praxishinweis

Obwohl es für die Entscheidung nicht darauf ankam, ist das Gericht auf die Argumente des Arbeitnehmers eingegangen und hat seine Rechtsansicht zur Rechtmäßigkeit der angeordneten Tests ins Urteil aufgenommen. Gerade nach der zwischenzeitlichen Einführung der 3G-Regel am Arbeitsplatz (vgl. § 28b IfSG, am 24.11.2021 in Kraft getreten und vorerst befristet bis 19.03.2022 – Stand: 14.01.2022) werden sich die Diskussionen zur betrieblichen Testpflicht häufen. Die Argumentation des Gerichtes dürfte daher für alle hilfreich sein, die sich im eigenen Betrieb mit den widerstreitenden Interessen und Ansichten zu einer Testpflicht konfrontiert sehen. All denen sei die Entscheidung ans Herz gelegt.

Hier nur einige Stichpunkte:

Das Gericht ging davon aus, dass die Anordnung der Arbeitgeberin, einen solchen Test erstmalig vor Ort auf dem Betriebsgelände durchzuführen, rechtmäßig und vom Weisungsrecht nach § 106 der Gewerbeordnung gedeckt war. Die dafür notwendige Ermessensausübung setzt voraus, dass die wesentlichen Umstände des Falles miteinander abgewogen und in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden. Das hätte die Arbeitgeberin getan.

Das Gericht stufte die Intensität des Eingriffs in die körperliche Integrität des Testanwenders bei dem von der Arbeitgeberin gewählten Verfahren als äußerst gering ein. Es handelt sich um Schnelltests, die vom Anwender selbst durchgeführt werden können und nur einen Abstrich im vorderen Nasenbereich erfordern.

Auch in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das sich hieraus ergebene Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers sei durch die Anordnung der Arbeitgeberin nicht übermäßig eingegriffen worden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt grundsätzlich vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter des Arbeitnehmers. Der Schutz ist umso intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen. Der (mittelbare) Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers durch die Tests zu Hause waren von ausgesprochen niedriger Intensität.

Aber auch der vor Ort bei der Arbeitgeberin durchzuführende erste Test vermochte keine durchgreifenden, grundsätzlichen Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers zu begründen. Zum einen handelt es sich hierbei um ein einmaliges Vorkommnis. Zum anderen ist die Datenmenge zwar nicht gänzlich unerheblich, doch überschaubar.

Den wenig intensiven Eingriffen in die Rechte des Arbeitnehmers stünden laut Gericht schließlich gewichtige(re) Interessen der Arbeitgeberin entgegen, insbesondere der Schutz ihrer Kunden und ihrer Mitarbeiter vor dem Infektionsrisiko mit ggf. schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen. Die Weisung der Arbeitgeberin sei damit verhältnismäßig gewesen. (ss)