Es war der Paukenschlag im Juli 2024: Joe Biden gibt seinen Rückzug als Kandidat für die kommende Präsidentschaftswahl in den USA bekannt. Die einen feiern den 81-Jährigen aufgrund seiner „Weitsicht“, andere kritisieren, dass der Schritt viel zu spät kam.
Kroos und Müller mit perfektem Zeitpunkt
Wenngleich die gesellschaftliche Bedeutung nicht ansatzweise mit der eines US-Präsidentschaftskandidaten vergleichbar ist, haben die beiden Fußballnationalspieler Toni Kroos und Thomas Müller das „Abdanken“ ziemlich elegant hinbekommen. Kroos hatte bereits im Vorfeld der Europameisterschaft seinen kompletten Rückzug vom Profifußball bekannt gegeben. Ihm wehte während des Turniers eine Sympathiewelle entgegen, die bis zu seinem vielumjubelten Comeback im DFB-Trikot noch undenkbar gewesen wäre. Und auch Thomas Müller wählte den Zeitpunkt seines Abschieds mit Bedacht – ein paar Tage nach dem Ausscheiden gegen Spanien, wobei er noch mindestens diese Saison für seinen Verein, den FC Bayern, auf Torejagd gehen wird. So unterschiedlich beide Rücktritte waren, so passend scheinen sie. Mit etwas Abstand hat später auch Manuel Neuer seinen Abschied aus dem Tor der Nationalmannschaft bekannt gegeben. Und da stellt sich für uns unweigerlich die Frage, wie Interessenvertreter eigentlich herausfinden, ob es an der Zeit ist, „Servus“ zu sagen.
Es gibt immer persönliche Gründe privater Natur, die einem die Entscheidung abnehmen.
Thomas Hubert, Betriebsratsvorsitzender im ifb
„Es gibt immer persönliche Gründe privater Natur, die einem die Entscheidung abnehmen“, sagt Thomas Hubert. Der Diplom-Psychologe, seit 1994 beim ifb, seit 2000 im Betriebsrat und aktuell Betriebsratsvorsitzender, spricht vor allem von Unwägbarkeiten wie Krankheiten oder Schicksalsschlägen, die ein weiteres Engagement im Ehrenamt nicht mehr zulassen könnten. Dann sollten Betriebsräte schnell die Reißleine ziehen. Der 63-Jährige weiter: „Manchmal machen einem untragbare Ereignisse oder nicht zufriedenstellend regelbare Konflikte im Unternehmen den Rücktritt leicht.“ Sollte dem nicht so sein, gibt Thomas Hubert – falls jemand mit Abschiedsgedanken spielt – den Tipp, in regelmäßigen Abständen die individuellen Umstände und die damit in Verbindung stehenden Vor- und Nachteile zu reflektieren.
Im Detail könnten das folgende Fragen sein:
- Welchen Sinn sehe ich grundsätzlich in der Arbeit, welchen in der Aufgabe als Betriebsrat?
- Wie sieht meine eigene Perspektive im Unternehmen und generell im Berufsleben aus?
- Wenn ich freigestellt bin:
- Gibt es meinen „regulären“ Arbeitsplatz überhaupt noch?
- Haben sich Arbeitsinhalte bzw. nötige Qualifikationen dort geändert?
- Wie steht es um meine (ehemaligen) sozialen Kontakte dort?
- Wenn ich das Amt übergeben will: Was mache ich mit der mir dann mehr zur Verfügung stehenden Arbeitszeit?
- Welche Rolle spielt mein Alter?
- Stehe ich in der letzten Phase des aktiven Berufslebens und werde altersbedingt aus dem Amt ausscheiden? Will ich das direkt aus in der Rolle als BRV oder vorher mein Amt übergeben?
- Ist für meine BR-Kollegen mein Alter ein Thema, und wenn ja, welches?
- Habe ich noch die Motivation und das Engagement, die Interessen der Mitarbeiter wirklich gut zu vertreten?
- Wichtig: Wie ist die Rückmeldung der Kollegen in persönlichen Gesprächen?
Steht die eigene Betriebsratsampel nach der Selbstbefragung auf grün, sollten die Bedürfnisse des Gremiums in den Mittelpunkt gerückt werden: Was stehen im Betriebsrat für Themen und Herausforderungen an? Und: Was und wen braucht es hier für eine gute Betriebsratsarbeit? „Ich frage mich an der Stelle immer, wie sehr ich und meine persönlichen Erfahrungen wirklich gebraucht werden“, sagt Thomas Hubert dazu.
Die Frage nach dem Zeitpunkt
Kommen Betriebsräte in diesem Prozess zu dem Schluss, ihr Amt niederlegen zu wollen, stellt sich irgendwann unweigerlich die Frage nach dem Zeitpunkt. Am geeignetsten für Übergaben sind selbstverständlich die regulären Betriebsratswahlen, die nächstes Mal im Frühjahr 2026 stattfinden. Mit etwas Weitsicht lassen sich Themen bis dahin gewissenhaft abarbeiten und übergeben. Und dann wäre da noch die Nachfrageregelung, auf die man angesichts einer demokratischen Wahl ohnehin nur bedingten Einfluss hat. Ein wenig anders ist es, wenn Betriebsratsvorsitzende von ihrem Amt zurücktreten möchten. „Da würde ich schauen, wer als thematischer und funktioneller Nachfolger aufgebaut werden kann und auch Lust darauf hat“, sagt Thomas Hubert.
Rücktritte gemeinsam im Gremium auffangen
Aber auch kurzfristige Rücktritte lassen sich im Gremium gemeinsam auffangen und regeln. Positiv wäre, wenn der Ausscheidende hinterher für einen gewissen Zeitraum als eine Art Berater zur Verfügung steht. Zum Vergleich: Auch der Bundestrainer dürfte die Telefonnummern von Toni Kroos, Manuel Neuer und Thomas Müller sicherlich nicht gelöscht haben. (tis)