In Deutschland verdient etwa jeder vierte Beschäftigte nur geringfügig mehr als den Mindestlohn. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die auf Anfrage der Linksfraktion für Oktober 2022 veröffentlicht wurden, erhielten 6,4 Prozent der Beschäftigten genau den Mindestlohn von damals 12 Euro pro Stunde. Auszubildende waren in diesen Zahlen nicht berücksichtigt. Im Jahr 2024 liegt der Mindestlohn aktuell bei 12,41 Euro und soll im Januar 2025 auf 12,82 Euro steigen.
Wann wurde der Mindestlohn eingeführt?
Mit dem Mindestlohngesetz (MiLoG) wurde in Deutschland zum 1. Januar 2015 eine allgemeine gesetzliche Lohnuntergrenze eingeführt, die nicht unterschritten werden darf. Das Gesetz legt fest, wer Anspruch auf den Mindestlohn hat und zu welchen Zeiten dieser gezahlt werden muss. Außerdem wird geregelt, wie die Höhe des Mindestlohns bestimmt und wie die Einhaltung des Gesetzes durchgesetzt und kontrolliert wird.
Wer ist für die Empfehlung der Mindestlohnhöhe verantwortlich?
Die Mindestlohnkommission, von der Bundesregierung eingerichtet, wird gemäß § 4 Abs. 2 MiLoG alle fünf Jahre neu berufen. Sie tagt mindestens dreimal jährlich und hält ihre Ergebnisse protokollarisch fest. Die Kommission besteht aus einem Vorsitzenden, sechs stimmberechtigten Mitgliedern aus dem Kreis der Sozialpartner und zwei beratenden, nicht stimmberechtigten Wissenschaftlern. Beschlüsse werden in den Sitzungen gefasst, wenn mindestens die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder anwesend ist. Und - das kennen wir aus der Betriebsratsarbeit: die Tätigkeit der Mitglieder ist ehrenamtlich.
Was steckt hinter der EU-Richtlinie zum Mindestlohn?
Im Oktober 2022 wurde die EU-Mindestlohnrichtlinie verabschiedet, die die Bezahlung von Millionen Beschäftigten in den EU-Mitgliedstaaten verbessern soll. Die Umsetzung dieser Richtlinie ist bis zum 15. November 2024 terminiert, wobei die Bundesregierung sie in nationales Recht überführen muss. Die Richtlinie schreibt vor, wie gesetzliche Mindestlöhne festgelegt, aktualisiert und durchgesetzt werden sollen. Als Referenzgrößen für einen angemessenen Mindestlohn nennt die Richtlinie unter anderem mindestens 60 Prozent des Medianlohns oder 50 Prozent des Durchschnittslohns im jeweiligen Land.
In der EU haben bisher nur Portugal, Slowenien und Frankreich die Schwelle von 60 Prozent des Medianlohns erreicht oder überschritten. In Deutschland wurde der Mindestlohn zum Jahreswechsel 2024 lediglich um nominal 3,4 Prozent auf 12,41 Euro erhöht. Bereits 2023 wäre nach den Vorgaben der EU ein Mindestlohn von 13,61 Euro nötig gewesen, um das 60-Prozent-Kriterium zu erfüllen, und im laufenden Jahr wären es rund 14 Euro, so Berechnungen von Forschern auf Basis aktueller Eurostaat-Daten.
Info zu Stichwörtern:
- Der Medianlohn gibt den mittleren Wert der Lohnverteilung an und ist weniger anfällig für Ausreißer.
- Der Durchschnittslohn gibt den Durchschnitt aller Löhne an, kann aber durch extreme Werte verzerrt werden.
Kein gesetzlicher Mindestlohn existiert in Österreich, den nordischen Ländern und Italien. In diesen Staaten besteht aber eine sehr hohe Tarifbindung, die auch vom Staat stark unterstützt wird. Faktisch ziehen dort also Tarifverträge eine allgemeine Untergrenze für den Lohn. Parallel zu den Kriterien für gesetzliche Mindestlöhne fordert die EU-Richtlinie von Staaten, in denen für weniger als 80 Prozent der Arbeitnehmer Tarifbindung besteht, dass gehandelt werden muss. Das betrifft auch Deutschland, wo lediglich rund die Hälfte der Beschäftigten mit Tarifbindung arbeiten.
Die Zeit drängt!
Das heißt: Laut Artikel 4 Absatz 2 der Mindestlohnrichtlinie muss jeder Mitgliedstaat, in dem weniger als 80 Prozent der Arbeitnehmer tarifvertraglich abgedeckt sind, einen Rahmen für Tarifverhandlungen schaffen. Dies kann durch ein Gesetz oder eine Vereinbarung mit den Sozialpartnern geschehen. Zudem muss der Mitgliedstaat einen Aktionsplan erstellen, der nach Anhörung der Sozialpartner oder im Einvernehmen mit ihnen entwickelt wird. Der Plan soll klare Terminvorgaben und konkrete Maßnahmen enthalten, um die Tarifabdeckung schrittweise zu erhöhen und dabei die Autonomie der Sozialpartner zu respektieren.
Wie sieht eigentlich die Tarifabdeckung in Deutschland aus?
Laut einer Studie der Hans Böckler Stiftung waren im Jahr 2022 gerade mal 51 % der Beschäftigten von einem Tarifvertrag geschützt. Dabei gibt es ein starkes Ost-West-Gefälle und Unterschiede zwischen den Wirtschaftszweigen. Nach einer Auswertung des Statistischen Bundesamts liegt in traditionell stark gewerkschaftlich vertretenen Bereichen die Tarifbindung seit Jahren sehr hoch: Im öffentlichen Dienst bei 98 %, im Bergbau bei 79 % und bei den Finanz- und Versicherungsdienstleistungen bei 67 %. Dagegen spielt die Tarifbindung z.B. im Bereich Information und Kommunikation mit nur 16 % eine geringe Rolle. Was noch erschwerend hinzu kommt: Sie ist seit Jahren rückläufig.
Arbeitgeber, die den Mindestlohn unterschreiten, müssen mit erheblichen Konsequenzen rechnen.
Haben Sie als Betriebsrat geprüft, ob Ihr Arbeitgeber den Mindestlohn zahlt?
Arbeitgeber, die den Mindestlohn unterschreiten, müssen mit erheblichen Konsequenzen rechnen. Verstöße gegen den Mindestlohn können mit Bußgeldern von bis zu 500.000 Euro geahndet werden. Zudem können Arbeitgeber von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Darüber hinaus droht bei Verstößen gegen § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Hierbei geht es nicht nur um die Nichtzahlung des Mindestlohns, sondern auch um das Nichtabführen der zugehörigen Sozialbeiträge für die Beschäftigten. Übrigens können auch Verstöße gegen Pflichten zur Sicherstellung der Einhaltung des Mindestlohns, wie die Verpflichtung zur Aufzeichnung der Arbeitszeit mit Bußgeldern bis zu 30.000 Euro geahndet werden.
Übrigens: Ausgenommen vom Mindestlohn sind z.B. Auszubildende nach dem Berufsbildungsgesetz, Jugendliche unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Ausbildung und ehrenamtlich tätige Personen. Der Grund: Sie gelten nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Mindestlohngesetzes.
Was können Sie als Betriebsrat noch tun?
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG haben Sie als Betriebsrat bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung mitzubestimmen, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung, Anwendung und Änderung von Entlohnungsmethoden. Die praktische Bedeutung dieses Mitbestimmungsrechts hängt vor allem davon ab, ob der Arbeitgeber tarifgebunden ist oder nicht. Bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber hat das Mitbestimmungsrecht eine sehr große Bedeutung. Bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber ist es dagegen stark eingeschränkt.
Allerdings haben Sie auf Verlangen an den Arbeitgeber die Einsicht in die Gehaltslisten und können so z.B. mit Hilfe des Mindestlohnrechners der BMAS die Gehälter Ihrer Arbeitskollegen im Niedriglohnsektor überprüfen. Bei Verstößen sprechen Sie am besten zuerst Ihren Arbeitgeber an.
Fragen zum Mindestlohn?
Die Mindestlohn-Hotline des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales kann als allgemeine Anlaufstelle bei Fragen zum Thema Mindestlohn unterstützen. Das Angebot richtet sich an alle Bürger, Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Kontakt zur Mindestlohn-Hotline des BMAS:
Tel. 030 60280028 (Montag bis Donnerstag, jeweils 8:00 - 20:00 Uhr)
Email: info@bmas.bund.de
Fazit: Mit Spannung verfolgen wir die Debatten der Regierung zur Erhöhung des Mindestlohns. Viel Zeit bleibt bis November nicht mehr. Bisher hat die deutsche Mindestlohnkommission in ihrer jüngsten Entscheidung – entgegen dem Votum der Gewerkschaften – die Vorgaben der EU ignoriert und angekündigt, auch künftig nur die im Mindestlohngesetz genannten Kriterien zu berücksichtigen. Das sollte sich vielleicht bis November ändern.
Es ist sowieso höchste Zeit, die Mitbestimmung in den Unternehmen zu stärken. Studien des WSI zeigen, dass in Betrieben mit Tarifvertrag und Betriebsrat so gut wie nie gegen das Mindestlohngesetz verstoßen wird. (sw)