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Nur fünf Mal taucht das Wort „Betriebsrat" in den 177 Seiten des Koalitionspapiers von Union und SPD auf. Nach viel frischem Wind für Arbeitnehmer und ihren Interessenvertretern klingt das erstmal nicht. Trotzdem zeigten sich Gewerkschafter und Arbeitnehmervertreter im Großen und Ganzen zufrieden. Was plant die Große Koalition im Arbeitsrecht? Wir haben das Ergebnis unter die Lupe genommen.
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Die für Betriebsräte fast beste Neuigkeit: Die Gründung und Wahl von Betriebsräten soll erleichtert werden. Hierzu soll das vereinfachte Wahlverfahren für Betriebe mit 5 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern Pflicht werden. Bisher ist das nur bis zu einer Größe von 50 Arbeitnehmern so. Betriebe mit 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern sollen künftig die Wahl zwischen vereinfachtem und normalem Wahlverfahren haben.
Allerdings betrifft diese Neuerung eben nur einen Teil der Betriebe. Außerdem, ganz ehrlich, wer schon einmal das vereinfachte Wahlverfahren durchlaufen hat der weiß: der Vorteil liegt im Wesentlichen bei verkürzten Fristen. Weniger komplex ist die Wahl dadurch nicht, insbesondere was die formalen Schritte der Wahl betrifft.
Trotzdem könnte diese Änderung vielleicht in Zukunft dazu führen, dass in mehr kleineren und mittleren Unternehmen erstmals ein Betriebsrat gewählt wird.
Außerdem soll „das Initiativrecht der Betriebsräte für Weiterbildung" gestärkt werden. Weiterbildung stärken klingt natürlich erstmal gut. Aber was genau sich dahinter verbirgt, liegt noch etwas im Nebel.
Wirft man einen Blick in die Beteiligungsrechte des §§ 96 bis 98 BetrVG, findet man zurzeit im Wesentlichen Informations- und Vorschlagsrechte des Betriebsrats. Inwieweit diese Rechte gestärkt werden und ob es vielleicht sogar ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht geben wird, beantwortet der Koalitionsvertrag nicht.
Stattdessen heißt es: „Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und Betriebsrat haben über Maßnahmen der Berufsbildung zu beraten. Können sich beide nicht verständigen, kann jede Seite einen Moderator anrufen mit dem Ziel, eine Einigung zu erreichen. Ein Einigungszwang besteht nicht." Wie das in der Praxis aussieht und wer „Moderatoren" sein sollen, bleibt abzuwarten. Der Ansatz, eine „zeitgemäße betriebliche Weiterbildung" zu fördern, ist jedenfalls erst einmal gut.
Die Befristung von Arbeitsverträgen bringt Betroffene und Arbeitsrechtler schon seit vielen Jahren zum Verzweifeln. Endlich kommt Bewegung in das Thema! Die Unterscheidung von Befristungen mit und ohne Sachgrund bleibt aber bestehen, deshalb ist es kein lauter Paukenschlag, aber trotzdem gut. So sehen die Pläne aus:
Neue Obergrenzen für Befristungen ohne Sachgrund
Die wohl gravierendsten Veränderungen betrifft die sachgrundlose Befristung (§ 14 Abs. 2 TzBfG).
Die große Koalition plant eine gesetzliche Obergrenze für den Anteil der Arbeitnehmer mit sachgrundlos befristetem Vertrag, abhängig von der Unternehmensgröße. Bei mehr als 75 Mitarbeitern sollen in Zukunft nur noch maximal 2,5 % der Verträge sachgrundlos befristet werden dürfen.
In der Praxis sind das bei Unternehmen mit 100 Mitarbeitern künftig nicht mehr als 2; und bei 1000 Mitarbeitern nicht mehr als 25 Befristungen ohne Sachgrund.
Und was, wenn der Arbeitgeber diese Quote überschreitet? Dann hat jeder Mitarbeiter Glück, dessen Einstellung später erfolgt: Sein Arbeitsverhältnis gilt automatisch als unbefristet.
Außerdem, auch das ist gut, soll die Dauer der Befristung von bisher 24 Monaten auf 18 Monate begrenzt werden. Bis zu dieser Gesamtdauer soll nur noch eine einmalige (statt derzeit eine dreimalige) Verlängerung der Befristung mit Sachgrund möglich sein.
Das Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit war der SPD unter der Federführung von Andrea Nahles schon vorher ein Anliegen, verhindert hatte das bislang die Union. Jetzt gibt es einen Schritt in die richtige Richtung: Arbeitnehmer sollen ihre Stundenzahl eine bestimmte Zeit lang verringern und danach zu ihrer ursprünglichen Arbeitszeit zurückzukehren können. Dieses Recht auf befristete Teilzeit gab es bisher nicht.
Allerdings, und das ist schade, soll es nur für in Firmen mit mindestens 45 Mitarbeitern gelten. Und noch eine weitere, gravierende Einschränkung gibt es: In Unternehmen bis 200 Beschäftigten muss der Arbeitgeber nur einem pro 15 Mitarbeitern die befristete Teilzeit ermöglichen.
Helfen wird diese Option vielleicht besonders Frauen mit kleineren Kindern. Allerdings muss auch die befristete Teilzeit gut überlegt sein. Denn es wird kein Recht auf vorzeitige Rückkehr zur früheren Arbeitszeit geben. Außerdem gibt es folgende Einschränkungen:
Der Arbeitgeber kann eine befristete Teilzeit ablehnen, wenn diese ein Jahr unter- oder fünf Jahre überschreitet.
Nach Ablauf der befristeten Teilzeit kann frühestens nach einem Jahr eine neue Verringerung verlangt werden.
Arbeit auf Abruf (§ 12 TzBfG) bedeutet, dass die Dauer der Arbeitszeit innerhalb eines bestimmten Zeitraums nicht festgelegt ist. Es ist eine sehr extreme Form der flexiblen Arbeitszeit und für Arbeitnehmer in der Regel ein Graus. Nun sollen die Regelungen der Arbeit auf Abruf verschärft werden:
Der Anteil abzurufender und zu vergütender Zusatzarbeit darf die vereinbarte Mindestarbeitszeit um höchstens 20 % unter- und 25 % überschreiten.
Im Krankheitsfall und an Feiertagen soll der Durchschnittsverdienst der letzten drei Monate als Grundlage dienen.
Fehlt eine Vereinbarung zur wöchentlichen Arbeitszeit, gilt eine Arbeitszeit von 20 Stunden (statt wie bisher von 10) als vereinbart.
Aus der Traum von einer flächendeckenden 35-Stunden-Woche. Stattdessen könnte es dicke kommen. Denn im Arbeitszeitgesetz soll es eine Tariföffnungsklausel geben, um tarifgebundenen Unternehmen künftig eine Abkehr vom starren Acht-Stunden-Tag zu ermöglichen.
Was heißt das konkret? Auf Betriebsräte tarifgebundener Unternehmen kommt Arbeit zu, um gegen „Experimentierräume" und „betriebliche Flexibilität" Stand zu halten. Denn insbesondere auf Grundlage der Tarifverträge soll die wöchentliche Höchstarbeitszeit durch Betriebsvereinbarungen flexibler geregelt werden können.
Derzeit sieht das Arbeitszeitgesetz eine Höchstarbeitszeit von acht Stunden am Tag vor. Da das Gesetz aber von sechs Werktagen ausgeht, liegt auch eine 48-Stunden-Woche im Rahmen des Gesetzes.
Mehr mobile Arbeit?
Im Zuge der Digitalisierung soll die mobile Arbeit gestärkt werden. Hierzu soll ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, zu dem auch ein Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber gehören wird. Lehnt der Arbeitgeber mobile Arbeit ab, muss er dies begründen.
Sicherung der Mitbestimmung
Neu ist auch, dass bei grenzüberschreitenden Sitzverlagerungen von Gesellschaften die nationalen Vorschriften über die Mitbestimmung gesichert werden sollen. Wie dies konkret aussieht, ist noch völlig unklar.
Auch in den anderen Kapiteln bietet der Koalitionsvertrag interessante Neuigkeiten für Arbeitnehmer und Interessenvertreter:
Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sollen ab 2019 wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden. Das bedeutet eine Entlastung für Arbeitnehmer.
Vor den Gesprächen hatte SPD Verhandlungsführerin Andrea Nahles angekündigt, zu verhandeln, „bis es quietscht".
Von Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsseite kommt tatsächlich Lob, der Vertrag enthalte eine Reihe von positiven Vereinbarungen. „Viele Maßnahmen klingen vielversprechend, aber Papier ist geduldig", resümierte die NGG sehr treffend. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hält die Ergebnisse hingegen für weitgehend enttäuschend und wirtschaftlich unvernünftig.
Es scheint also tatsächlich, als habe man für Arbeitnehmer verhandelt, bis es quietscht. Es gibt viele kleine und ein paar größere Schritte in die richtige Richtung für Betriebsräte und vor allem für Arbeitnehmer. Mehr gewünscht hätte sich jeder Arbeitnehmer-Arbeitsrechtler sicherlich zur Eindämmung der prekären Beschäftigung, trotz der Neuerungen beim Thema Befristung.
Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit stimmten die Mitglieder der SPD bis Anfang März für eine Neuauflage der Großen Koalition. Es war ein langer Weg bis dahin (siehe Grafik). Nun bleibt abzuwarten, wie schnell die Änderungen im Arbeitsrecht umgesetzt werden. Wir werden berichten!
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