Prof. Däubler, dürfen Betriebsräte jetzt frei wählen, ob sie sich online dazuschalten, oder aber im Unternehmen „live“ an der BR-Sitzung teilnehmen?
Nein, bei dem neuen § 129 BetrVG geht es nur darum, die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats zu erhalten, auch wenn sich seine Mitglieder wegen Corona nicht in einem Raum versammeln können. Nur für diesen Fall darf man in die Video- oder Telefonkonferenz ausweichen, nicht schon deshalb, weil dies vielleicht dem Vorsitzenden bequemer erscheint. Deshalb dürfen sich Einzelne nur dann „zuschalten“, wenn sie z. B. wegen Quarantäne nicht an der Sitzung teilnehmen können.
Pfiffige Arbeitgeber sehen gerade für den GBR hier sicher die Chance, Kosten zu sparen, Stichwort Reisezeit.
Der Gedanke liegt nahe. Und deshalb gilt die Regelung auch nur bis Jahresende, weil man davon ausgeht, dass dann das Corona-Problem gelöst ist. Wäre § 129 BetrVG eine Dauerlösung, könnte der Arbeitgeber Druck ausüben und den Gesamtbetriebsrat veranlassen, Sitzungen nur noch per Video- oder Telefonkonferenz durchzuführen. Damit würden sich die Mitglieder allein vom Videobild her kennen; ein Zusammengehörigkeitsgefühl würde nicht (oder nur in seltenen Ausnahmefällen) entstehen.
Angenommen, das Meeting startet. Wie erstellt man nun eine „Online-Anwesenheitsliste“?
Das Gesetz verlangt, dass jeder Teilnehmer seine Anwesenheit „in Textform“ bestätigt. Gemeint ist damit insbesondere eine E-Mail, die der Einzelne während oder nach der Sitzung an den Vorsitzenden schickt.
Was tun, wenn ein Teilnehmer plötzlich im Funkloch ist und aus der Konferenz rausfliegt?
Das kommt leider in der Praxis gar nicht so selten vor. Die Netze sind oft überlastet und unser Internet entspricht nicht unserem Ruf als High-Tech-Land – um es diplomatisch auszudrücken. Sobald ein Betriebsratsmitglied draußen ist, darf die Sitzung nicht mehr fortgeführt werden. Man muss warten, bis er wieder drin ist. Anders verhält es sich dann, wenn er sich bewusst ausklinkt und dies auch den andern mitteilt.
Dürfen Partner oder Kinder mit im Raum sein, wenn man eine Online-Betriebsratssitzung abhält?
Nein. Betriebsratssitzungen sind nichtöffentlich, und das gilt auch dann, wenn man eine Video- oder eine Telefonkonferenz abhält. Konkret bedeutet dies, dass andere Personen als Betriebsratsmitglieder grundsätzlich nicht anwesend sein dürfen. Sitzt ein Mitglied im Home-Office, so muss es dafür sorgen, dass niemand sonst im Zimmer ist. Das gilt auch für Kinder und den Partner. Dies rechtfertigt sich damit, dass in der Sitzung oft auch sensible Daten behandelt werden, wenn es z. B. um eine Kündigung wegen Krankheit oder um Fragen des betrieblichen Eingliederungsmanagements geht.
Was ist mit vertraulichen Unterlagen, wie teile ich diese rechtssicher mit den BR-Kollegen im Fall der Online-Konferenz?
Bei der Telefonkonferenz ist dies schwierig, man kann die Unterlagen höchstens vorlesen. Bei der Videokonferenz kann man sie auf dem Bildschirm sichtbar machen – was aber natürlich nur dann geht, wenn der Vorsitzende sicher sein kann, dass außer den Betriebsratsmitgliedern niemand sonst Kenntnis bekommt.
Welche häufigen Fehler können einen per Videokonferenz getroffenen Beschluss angreifbar bzw. unwirksam machen?
Neben den auch sonst auftretenden Fehlern – der Vorsitzende hat die falsche Person geladen, weil er zu Unrecht einen Verhinderungsfall annahm – gibt es hier besondere Risiken. Eines besteht darin, dass insbesondere bei größeren Gremien weiterdiskutiert wird, obwohl ein oder zwei Mitglieder von der Technik „rausgeworfen“ wurden. Ein weiterer Fehler wurde ebenfalls schon erwähnt: Es sind noch andere Personen in dem Raum, vom dem aus ein Betriebsratsmitglied an der Sitzung teilnimmt. Oder: Bei einer Abstimmung haben alle durcheinander geredet und der Vorsitzende hat versäumt, jeden zu fragen, wie er abstimmen wolle.
Wie regelt man eine Abstimmung, wenn Betriebsräte per Telefon und per Video zugeschaltet sind? Handzeichen funktionieren da ja nicht.
Bei der Videokonferenz kann das Handzeichen schon funktionieren, nicht aber bei der Telefonkonferenz. Der Vorsitzende muss in einem solchen Fall den vorgeschlagenen Beschlusstext vorlesen und dann einen nach dem andern fragen, ob er dafür oder dagegen stimmt oder sich der Stimme enthalten will. Wer zuerst gefragt wird, ist nicht ausdrücklich geregelt. Viel spricht dafür, es wie bei den Abstimmungen innerhalb eines Kollegialgerichts zu machen und den Jüngsten zuerst zu fragen. Fragt man stattdessen erst eine anerkannte Autorität, wagt unter Umständen niemand mehr, anders abzustimmen.
Was gilt in Sachen Betriebsvereinbarung: Kann diese auch mit dem Arbeitgeber per Videokonferenz ausgehandelt und abgeschlossen werden?
Aushandeln kann man sie in der Videokonferenz. Der Abschluss muss aber nach § 77 Abs. 2 BetrVG schriftlich erfolgen, was man auch bewerkstelligen kann, ohne sich im
selben Raum aufzuhalten: Die eine Seite unterschreibt zwei Exemplare und schickt sie an die andere Seite. Diese unterschreibt und schickt eines wieder zurück. Dann haben beide ein schriftliches Dokument in der Hand.
Eine Frage zum Schluss: Wo sehen Sie Chancen, wo Risiken für Betriebsräte bei der Online-Beschlussfassung? Kritiker befürchten, sie sei ein Einfallstor, um die Mitbestimmung zu untergraben.
Die Neuregelung hat den Vorteil, dass sie die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats auch in Corona-Zeiten aufrechterhält. Andererseits gibt es eine Reihe gewichtiger Nachteile:
- Die Technik kann versagen, so dass man beispielsweise an einem bestimmten Tag gar keine Beschlüsse fassen kann.
- Es kann sich eine unbefugte Person bei einem Teilnehmer aufhalten, ohne dass dies sichtbar wird. Dabei kann es sich auch um einen Gewährsmann des Arbeitgebers handeln.
- Was fehlt, sind die informellen Verständigungsformen, die man in einer Sitzung hat: Man informiert einen bestimmten Kollegen unter vier Augen von einem Umstand, den er kennen muss, was bei der Videokonferenz eben nicht geht.
- Schließlich besteht die Gefahr, dass sich Gesamt- und Konzernbetriebsräte nicht mehr persönlich treffen können, sondern nur noch per Technik verständigen: Dies kann in der Tat die Mitbestimmung untergraben, weil über Telefon oder Kamera kein Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht.
Für die Ausnahmesituation, in der wir zur Zeit leben, ist die neue Form trotz allem vernünftig, aber eine Dauerlösung ist sie nicht.
Wolfgang Däubler ist Professor für deutsches und europäisches Arbeitsrecht, bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Universität Bremen