Liebe Nutzer,
für ein optimales und schnelleres Benutzererlebnis wird als Alternative zum von Ihnen verwendeten Internet Explorer der Browser Microsoft Edge empfohlen. Microsoft stellt den Support für den Internet Explorer aus Sicherheitsgründen zum 15. Juni 2022 ein. Für weitere Informationen können Sie sich auf der Seite von -> Microsoft informieren.
Liebe Grüße,
Ihr ifb-Team
Soll eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden, ist die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB einzuhalten. Auch im Falle von umfangreichen Compliance-Untersuchungen kann mit dem Ausspruch der außerordentlichen Kündigung nicht gewartet werden, bis die Untersuchungen gegenüber allen potenziellen Beteiligten abgeschlossen sind.
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2021, 10 Sa 7/21
Der Arbeitnehmer streitet mit der Arbeitgeberin unter anderem über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, hilfsweise außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer notwendigen Auslauffrist. Er war zuletzt als Vertriebsleiter DX („Head of Key Account Manager“) beschäftigt. Da für ihn tarifrechtliche Regelungen zum Sonderkündigungsschutz gelten, konnte er nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.
Die Arbeitgeberin ist spezialisiert auf militärische Luftfahrt, militärische und zivile Raumfahrtsysteme sowie Sensoren und Kommunikationstechnologie für Verteidigung und Sicherheit. Sie ist u.a. als Auftragnehmerin für die Bundeswehr bzw. das Bundesministerium der Verteidigung tätig.
Bei der Arbeitgeberin ist ein „Legal & Compliance Department“ (Rechts- und Compliance-Abteilung) eingerichtet. Im Juli 2018 erhielt die Abteilung Hinweise über eine Verbreitung vertraulicher Unterlagen. Erste Befragungen von vermeintlich beteiligten Mitarbeitern wurden wegen Urlaubsabwesenheiten im September 2018 durchgeführt. Nachdem sich die Verdachtsmomente durch die Gespräche nicht ausräumen ließen, wurde im Oktober 2018 die Kanzlei R1 mit der Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung zur vollständigen Aufklärung des Sachverhaltes beauftragt. In diesem Rahmen wurde im November 2018 mit dem Arbeitnehmer ein Gespräch geführt.
Im Dezember 2018 folgten IT-forensische Auswertungen. Im Januar und Februar 2019 fanden Bürobesichtigungen und ein Austausch der Hardware bei acht Mitarbeitern statt, darunter auch beim Arbeitnehmer.
Im April und Mai 2019 fanden weitere Gespräche statt. Ab April 2019 begann die Arbeitgeberin mit der Sichtung der erhaltenen Dateien. Im Juni 2019 entschied das Compliance-Team, die interne Untersuchung zu unterbrechen und - anders als ursprünglich geplant - die bislang gefundenen Untersuchungsergebnisse in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung aufzubereiten, um diese in die Lage zu versetzen, über etwaige weitere (u.a. auch arbeitsrechtliche) Maßnahmen zu entscheiden. Die Kanzlei R1 bereitete bis 16. September 2019 die ihrer Auffassung nach ermittelten Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers sowie weiterer 88 Personen in einem Zwischenbericht für die Arbeitgeberin auf. Der Bericht wurde am 16. September 2019 der Geschäftsführung übergeben.
Der Arbeitnehmer wurde in der Folgezeit aufgefordert, zu den erhobenen Vorwürfe Stellung zu nehmen. Der Betriebsrat teilte im Anhörungsverfahren mit Schreiben vom 26. September 2019 seine Bedenken mit. Der Sprecherausschuss stimmte mit Schreiben vom 25. September 2019 den außerordentlichen Kündigungen zu.
Mit Schreiben vom 27. September 2019 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund, hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer Auslauffrist entsprechend der ordentlichen Kündigungsfrist zum nächstmöglichen Zeitpunkt.
Weder die außerordentliche fristlose noch die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist beenden das Arbeitsverhältnis, so das Gericht.
Die Kündigung könne aufgrund des tariflichen Kündigungsschutzes nur als außerordentliche ausgesprochen werden. Sowohl auf die außerordentliche fristlose als auch die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist fände § 626 Absatz 2 Satz1 BGB Anwendung. Danach könne eine fristlose Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies sei ein enges zeitliches Korsett, nach dessen Ablauf die außerordentliche Kündigung allein wegen des Fristablaufs unwirksam sei. Dennoch gelte diese Frist auch hier.
Daran würde auch die Tatsache, dass bis zu 89 Arbeitnehmer in die betreffende Untersuchung über wettbewerblich sowie strafrechtlich relevanter Verstöße involviert waren, nichts ändern.
Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist sei ein „gesetzlich konkretisierter Verwirkungstatbestand”. Nach allgemeinen Grundsätzen sei ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte längere Zeit untätig geblieben ist und dadurch den Eindruck erweckt hat, er wolle das Recht nicht mehr geltend machen (Zeitmoment), und sein Vertragspartner sich auf den dadurch geschaffenen Vertrauenstatbestand eingestellt hätte und es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden könne, sich auf das verspätete Begehren des Berechtigten einzulassen (Umstandsmoment).
Die Arbeitgeberin könne sich nicht darauf berufen, sie hätte bis zum Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen mit dem Ausspruch der Kündigung warten dürfen. Sie habe selbst Ermittlungen eingeleitet und erkennbar nicht auf das Ergebnis der Staatsanwaltschaft warten wollen. In diesem Fall müsse sie ihre eigenen Ermittlungen mit der gebotenen Eile durchführen.
In der zweiwöchigen Ausschlussfrist komme zum Ausdruck, dass ein Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass eine Arbeitgeberin ein Fehlverhalten im Sinne eines wichtigen Grundes zum Anlass nimmt, innerhalb kurzer Zeit zu kündigen. Tue sie dies nicht, ist das Arbeitsverhältnis auch aus Sicht der Arbeitgeberin nicht derart belastet, dass es sofort beendet werden muss. Es könne nicht unterstellt werden, dass das berechtigte Vertrauen des Arbeitnehmers bereits dann zu verneinen sei, wenn die Arbeitgeberin durch die Einrichtung einer Compliance-Abteilung deutlich gemacht habe, dass sie Korruptionsfälle mit größtmöglicher Effektivität aufklären und Hinweise auf derartige Fälle durch deren Einsatz leichter ermöglichen möchte. Es ist zwar richtig, dass sich Arbeitnehmer insbesondere dann, wenn anonyme Mitteilungen Untersuchungen in Gang setzen können, darauf einstellen müssen, dass Andere von den Möglichkeiten dieses Weges Gebrauch machen. Damit sei aber noch nichts darüber gesagt, wie lange die Compliance-Abteilung ermitteln könne und dass der Arbeitnehmer zwangsläufig damit rechnen muss, dass ein längerer Zeitraum darauf verwendet werde, als wenn die Personalabteilung den Sachverhalt prüfe, aus dem sich der Pflichtverstoß ergeben soll. Egal, wer konkret mit den Ermittlungen befasst sei, die Zweiwochenfrist gelte unabhängig davon.
Das Interesse des Arbeitnehmers an Rechtssicherheit und Gewissheit, ob sein Fehlverhalten zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung genommen werde oder nicht, trete deshalb nur so lange hinter dem berechtigten Interesse der Arbeitgeberin an effizienter Aufklärung und Bekämpfung von Rechtsverstößen zurück, wie die Arbeitgeberin i.S.d. § 626 Abs. 2 BGB noch ermitteln durfte. Das arbeitsrechtliche Ermittlungsziel seien hinreichend vollständige, also nicht bis in jedes Detail ausermittelte Kenntnisse der einschlägigen Tatsachen, um eine Entscheidung über den Fortbestand des konkreten Arbeitsverhältnisses treffen zu können. Der Arbeitnehmer müsse sich daher nicht darauf verweisen lassen, er müsse sich so lange gedulden, bis die Arbeitgeberin bzgl. sämtlicher Betroffenen zu Ende ermittelt hat, um „den Sumpf auszutrocknen“.
Vorliegend seien auch keine Anhaltspunkte ersichtlich gewesen, dass die Kündigung des Arbeitnehmers die gesamte Untersuchung gefährdet hätte. Die Arbeitgeberin habe zwar ausgeführt, diese Gefahr bestehe immer, wenn Compliance-Untersuchungen in einem komplexen Umfeld mit der Ausschlussfrist nicht synchronisiert würden und stattdessen zu früh einer der Täter gekündigt werden müsse. Es bestehe dann die Gefahr, dass andere nicht mehr zu Aussagen bereit seien. Derart abstrakte Gefährdungen würden ein Abweichen von der Ausschlussfrist aber nicht generell begründen. Jede Kündigung sei ein Einzelfall und sei auch entsprechend zu prüfen. Weshalb der von der Kanzlei R1 im Juni 2019 ermittelte Erkenntnisstand nicht ausgereicht habe, um gegenüber allen verdächtigten Arbeitnehmern entscheiden zu können, was ihnen vorgeworfen wird und was nicht, sei nicht vorgetragen. Insbesondere sei aber auch nicht ersichtlich, dass die Erkenntnisse nicht ausgereicht hätten, um jedenfalls sukzessive arbeitsrechtliche Maßnahmen gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern zu ergreifen. Die Geschäftsführung hätte schließlich im September 2019 auf der Basis, der mit Stand Juni 2019 vorhandenen und in der Folge im Zwischenbericht aufbereiteten Erkenntnisse entschieden, dass die Arbeitnehmer angehört werden, um so eine Verdachtskündigung vorzubereiten.
Das Gericht stellte darüber hinaus klar, dass die Arbeitgeberin sich die Kenntnis einer nicht kündigungsberechtigten Person für den Fristbeginn unter bestimmten Voraussetzungen zurechnen lassen muss. Dies gelte dann, wenn diese Person eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb (hier: Leiter „Legal & Compliance“) innehat sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit ihrem Bericht der Kündigungsberechtigte ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann und wenn die Verspätung, mit welcher der Kündigungsberechtigte Kenntnis erlangt hat, auf einer unsachgemäßen Organisation (Organisationsverschulden) des Betriebs beruht.
Bei Compliance-Untersuchungen müsse sich die kündigungsberechtigte Person über den Stand der Ermittlungen in Kenntnis setzen lassen. Wird nicht durch regelmäßige Kontrolle und entsprechende Auftragserteilung sichergestellt, dass die Ermittelnden Informationen rechtzeitig weiterleiten, kommt die Zurechnung des Wissens der Person, die in herausgehobener Position und Funktion im Betrieb tätig und mit der Aufklärung des Sachverhalts betraut war, in Betracht.
Herr Dr. I. als Kündigungsberechtigter und für das Personal zuständiger Geschäftsführer hätte die Pflicht gehabt, sich regelmäßig über den Stand der Ermittlungen berichten zu lassen, um zeitnah entscheiden zu können, ob und gegenüber wem er arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreifen will oder aus wettbewerblicher Sicht unter dem Stichwort „Selbstreinigung“ (§ 125 GWB) zu ergreifen hat. Herr Dr. R. als Leiter „Legal and Compliance“ wäre die Person gewesen, deren Wissen er sich hätte zunutze machen können und müssen.
Die zweiwöchige Frist ist immer wieder Thema im Zusammenhang mit Kündigungen aus wichtigen Grund wegen Compliance-Verstößen. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, wie sich leicht anhand der vorliegenden Entscheidung erkennen lässt. Das arbeitsrechtliche Ermittlungsziel seien hinreichend vollständige, also nicht bis in jedes Detail ausermittelte Kenntnisse der einschlägigen Tatsachen, um eine Entscheidung über den Fortbestand des konkreten Arbeitsverhältnisses treffen zu können. Wer möchte bei den umfangreichen Ermittlungen und der großen Anzahl an Mitarbeitern schon festlegen, wann dieser Zeitpunkt genau gekommen ist? Schließlich geht es um den Arbeitsplatz einzelner Arbeitnehmer und damit um deren Existenz. Andererseits stand vorliegend der dringende Verdacht im Raum, der Arbeitnehmer hätte es - jeweils im Zusammenhang mit Dienst- und Geschäftsgeheimnissen - wiederholt unterlassen zu verhindern, dass seine Mitarbeiter sich widerrechtlich verhalten und dass der Kläger selbst widerrechtlich gehandelt habe. Mit Blick auf den Unternehmenszweck ist dies kein unbeachtlicher Vorwurf.
Der Arbeitnehmer hatte vorliegend doppeltes Glück, denn die Arbeitgeberin wollte von ihm auch noch Kosten erstattet bekommen. Dieser Anspruch besteht, wenn eine Anwaltskanzlei anlässlich eines konkreten Verdachts einer erheblichen Verfehlung mit Ermittlungen beauftragt wird und der betreffende Arbeitnehmer einer schwerwiegenden vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt wird. Das Gericht hat dem Grunde nach auch eine Schadensersatzpflicht des Arbeitnehmers anerkannt. Allerdings stellte das Gericht fest, dass angesichts der großen Anzahl an unschuldigen Arbeitnehmern, denen aber ein entsprechender Ermittlungsaufwand gewidmet worden sein muss, nicht ohne genaue Aufschlüsselung, welcher Stundenaufwand auf welche konkreten Ermittlungsschritte entfallen ist, eine Haftung des Klägers angenommen werden könne.
Ließe sich nicht erkennen, welche konkreten Tätigkeiten wann und in welchem zeitlichen Umfang wegen welchen konkreten Verdachts gegen den Arbeitnehmer von den beauftragten Kanzleien ausgeführt wurden, fehlt es an der ausreichenden Darlegung der Erforderlichkeit der aufgewandten Kosten. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, worüber die Arbeitgeberin sich wahrscheinlich ärgerte, als Sie den Arbeitnehmer weiterbeschäftigen musste: Die Arbeitgeberin bezifferte den bislang entstandenen und nachvollziehbaren Schaden im Zusammenhang mit der Aufklärung der Pflichtverletzung des Klägers und der Verteidigung ihrer Rechtspositionen auf 5.072.324,54 Euro. Im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Arbeitnehmerhaftung hatte sie gegenüber dem Arbeitnehmer Schadensersatzansprüche in Höhe eines persönlichen Jahreseinkommens von 148.800,00 EURO geltend gemacht. (sf)
„Heute feiern – morgen feuern“
Ford steckt mitten in einem Restrukturierungsprogramm: 2.300 Stellen werden in Deutschland bis Ende 2025 gestrichen (wir berichteten). Wie der Betriebsrat mitteilt, soll nun aber bereits die nächste Kündigungswelle folgen. Dabei war man bei Ford eigentlich optimistisch in den Sommer gestartet, nachdem erst kürzlich die Produktion des ersten Elektroautos von Ford Europa aufgenommen wurde. Doch der Sparplan-Paukenschlag folgte sogleich. Zudem hat sich in dieser Zeit der Ungewissheit für die Belegschaft auch noch Deutschlands Ford-Chef zur Konkurrenz verabschiedet. Was ist da los?