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Kündigung einmal anders: Eine Arbeitnehmerin kann im Ernstfall fristlos kündigen. Zum Beispiel dann, wenn die Arbeitgeberin sich weigert, die Arbeitnehmerin vertragsgemäß zu beschäftigen.
LAG Köln, Urteil vom 24.1.2023, 4 SaGa 16/22
Die Arbeitgeberin streitet mit der Arbeitnehmerin im einstweiligen Rechtsschutz über die Unterlassung einer Konkurrenztätigkeit für die Dauer der Kündigungsfrist. Insbesondere geht es darum, ob eine von der Arbeitnehmerin erklärte fristlose Kündigung unwirksam ist.
Die Arbeitgeberin produziert u.a. für verschiedene Fernsehsender Formate aus dem Bereich Factual Entertainment. Die Arbeitnehmerin war seit 2007 bei der Arbeitgeberin beschäftigt, zuletzt als stellvertretende Geschäftsführerin. Die vereinbarte beiderseitige Kündigungsfrist betrug sechs Monaten zum Monatsende. Darüber hinaus unterlag die Arbeitnehmerin während der Dauer dieses Arbeitsverhältnisses einem umfassenden Wettbewerbsverbot.
Im Juli 2022 bestellte die Gesellschafterin der Arbeitgeberin eine neue Geschäftsführerin. Zwischen dieser und der ehemaligen Geschäftsführerin sowie der Arbeitnehmerin kam es zu Konflikten über die inhaltliche Ausrichtung. Die Firmengründerin und ehemalige Geschäftsführerin sollte in der Folge aus dem Unternehmen ausscheiden. Die Arbeitnehmerin meldete sich nach dieser Mitteilung arbeitsunfähig krank.
Mit einer Dienstanweisung der neuen Geschäftsführerin vom 19.08.2022 wurden der Arbeitnehmerin daraufhin u.a. sämtliche Projekte entzogen und sämtliche Kommunikation zu laufenden Projekten und den aktuellen Entwicklungen bei G T vor allem mit Kunden und Dienstleistern, aber auch mit freien und festen Mitarbeitern der G T untersagt. Gleichzeitig wurde sie aus allen E-Mail-Verteilern gelöscht.
Als die Arbeitnehmerin sich über das Vorgehen beschwerte, erhielt sie folgende Antwort:
„ … , dass uns mitgeteilt wurde, dass Du gegenüber Verantwortlichen eines unserer Kunden gesagt hast, "… sollte S nicht weiter Geschäftsführerin der G T bleiben, mache ich krank“. Genau diese Ankündigung hast Du dann in die Tat umgesetzt (…).
(…) Aufgrund Deiner angekündigten Krankmeldung (wobei die rechtliche Bewertung dieses Vorgangs noch nicht abgeschlossen ist) und der Weigerung, mit der neuen Geschäftsführung zu kommunizieren, ist zwischenzeitlich (…) das Vertrauensverhältnis derart zerstört, dass auch aus der Sicht der neuen Geschäftsführung eine weitere Zusammenarbeit nicht denkbar erscheint. Bevor die Dinge hier vollständig aus dem Ruder laufen, sollten wir überlegen, wie eine Lösung gefunden werden kann.“
Die Parteien verhandelten sodann über die Konditionen für eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitnehmerin wurde widerruflich mit der Erklärung: „somit solltest du ab jetzt nicht mehr ins Büro“ freigestellt. Am 12.09.2022 übersandte die Arbeitgeberin den Entwurf eines Aufhebungsvertrags, der eine Beendigung zum 31.03.2023, eine Freistellung der Arbeitnehmerin bis dahin sowie eine sogenannte Turboklausel vorsah.
Noch am gleichen Tag teilte die Arbeitgeberin mit, dass Sie an diesem Vertragsangebot nicht mehr festhalte, weil sie erfahren habe, dass die Arbeitnehmerin Mitarbeiter der Arbeitgeberin zur F W GmbH abwerbe.
Daraufhin mahnte der Prozessbevollmächtigte der Arbeitnehmerin die Arbeitgeberin ab und forderte die Arbeitgeberin unter Fristsetzung auf, die „rechtswidrige“ Freistellung und die Dienstanweisung vom 19.08.2022 zurückzunehmen und die Arbeitnehmerin wieder als stellvertretende Geschäftsführerin zu beschäftigen. Anderenfalls werde man sämtliche (arbeits-) rechtlichen Möglichkeiten bis hin zur Kündigung aus wichtigem Grund sowie die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gemäß § 628 Abs. 2 BGB ausschöpfen.
Nachdem die Arbeitnehmerin ein weiteres Angebot der Arbeitgeberin zur Aufhebung des Arbeitsvertrages – diesmal ohne Turboklausel – ablehnte, wurde ihr die Bereitschaft zur Weiterbeschäftigung angezeigt. Sie wurde zur Teilnahme an einem Personalgespräch aufgefordert, in dem man den zukünftigen Aufgabenbereich besprechen wolle.
Die Arbeitnehmerin lehnte die Teilnahme an diesem Gespräch ab. Aufgrund des bisherigen Verhaltens der Arbeitgeberin sei nicht davon auszugehen, dass der Termin der Information über den zukünftigen Aufgabenbereich diene, sondern vielmehr der Konfrontation mit den behaupteten Vorwürfen. Die Arbeitgeberin solle zunächst schriftlich mitteilen, welchen zukünftigen Aufgabenbereich man für die Arbeitnehmerin konkret vorgesehen hätte.
Darauf ging die Arbeitgeberin nicht ein. Sie forderte die Arbeitnehmerin unter Androhung einer Kündigung erneut auf, zum Personalgespräch zu erscheinen.
Letztendlich kündigte die Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis selbst mit Schreiben vom 30.09.2022 fristlos.
Im Oktober 2022 meldete das Medienmagazin D, dass die Arbeitnehmerin ab 01.11.2022 ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin der F W P GmbH aufnehmen werde.
Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, dass die Arbeitnehmerin bis zum Ablauf der sechsmonatigen Kündigungsfrist an das vertragliche Wettbewerbsverbot gebunden sei. Die fristlose Kündigung sei offensichtlich unwirksam.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht abgewiesen, weil die außerordentliche Kündigung der Arbeitnehmerin wirksam ist, so das Gericht.
Während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses sei einem Arbeitnehmer grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt. Die für Handlungsgehilfen geltende Regelung des § 60 Abs. 1 HGB normiere hierbei einen allgemeinen Rechtsgedanken, den die Vertragsparteien zudem durch eine Regelung im Arbeitsvertrag ausdrücklich wiederholt hätten. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei es dem Arbeitnehmer grundsätzlich erlaubt, zu seinem Arbeitgeber in Wettbewerb zu treten.
Das Arbeitsverhältnis zwischen der Arbeitgeberin und der Arbeitnehmerin bestünde nicht mehr. Die Arbeitnehmerin hatte einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB und auch alle weiteren Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung seien erfüllt, so das Gericht.
Die Weigerung des Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen, sei an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung durch den Arbeitnehmer zu bilden. Sie stelle eine schwerwiegende Vertragsverletzung dar. Dies gelte selbst dann, wenn das vereinbarte Gehalt weitergezahlt werde. Der Arbeitnehmer hätte im bestehenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich einen Anspruch auf vertragsgemäße tatsächliche Beschäftigung. Der Arbeitnehmer soll – als Ausdruck und in Achtung seiner Persönlichkeit und seines Entfaltungsrechts – tatsächlich arbeiten können. Der Arbeitgeber sei auf Verlangen zur vertragsgemäßen Beschäftigung verpflichtet.
Gegen diese Pflicht habe die Arbeitgeberin verstoßen. Sie beschäftigte die Arbeitnehmerin – letztlich unstreitig – zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Eigenkündigung nicht vertragsgerecht. Während der Dauer der Verhandlungen über den Aufhebungsvertrag hätte zwar ein Einverständnis mit einer Freistellung bestanden. Spätestens jedoch nach erfolgter Aufforderung der Arbeitnehmerin, sie vertragsgerecht zu beschäftigen – verbunden mit einer Fristsetzung – hätte die Arbeitgeberin die Freistellung aufheben müssen. Dies sei bis zuletzt nicht erfolgt.
Irrelevant sei, dass die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt des Entzuges sämtlicher Aufgaben arbeitsunfähig erkrankt war. Dieser Einwand wäre nur zu berücksichtigen, wenn die Arbeitgeberin unmittelbar nach Genesung sämtliche Aufgaben wieder übertragen hätte. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, vielmehr sei die Arbeitnehmerin der Räumlichkeiten verwiesen worden. Die Arbeitgeberin übersah außerdem, dass bereits durch die erfolgte Kommunikation der Freistellung und des Entzugs sämtlicher Aufgaben sowohl gegenüber der Belegschaft als auch gegenüber den Kunden die Gefahr des Reputationsschadens bereits entstanden war.
Das Verhalten der Arbeitgeberin sei auch konkret geeignet, den Ausspruch der außerordentlichen Eigenkündigung zu rechtfertigen.
Die im Rahmen der Verhältnismäßigkeit erforderliche Abmahnung durch die Arbeitnehmerin sei erfolgt. Die Arbeitgeberin sei hierauf zwar nicht untätig geblieben. Im Gegenteil: Sie hätte die Arbeitnehmerin aufgefordert, zu einem gemeinsamen Gespräch am vorgegebenen Ort zu erscheinen. Grundsätzlich bestehe – selbstredend – die Verpflichtung eines nicht mehr erkrankten Arbeitnehmers, an einem angeordneten Personalgespräch teilzunehmen. Dennoch wären vorliegend die Besonderheiten des Falles zu berücksichtigen:
Die Arbeitgeberin habe zu keinem Zeitpunkt – auch nicht im Verfahren 1. Instanz - erklärt, welche Pläne zur vertragsgerechten Beschäftigung bestanden hätten. Sie bot auch nicht an, alle Maßnahmen nach Genesung rückgängig machen zu wollen.
Zu berücksichtigen sei u.a. auch die langjährige und beanstandungsfreie Beschäftigung der Arbeitnehmerin in gehobener Position. Die Arbeitgeberin bezeichnet die Arbeitnehmerin selbst als „einen maßgeblichen Kopf“ im Unternehmen.
Unvermittelt und ausnahmslos wurden ihr durch die Dienstanweisung vom 19.08.2022 sämtliche Zuständigkeiten entzogen und die ergriffenen Maßnahmen wurden offen nach außen kommuniziert. Sie wurde komplett isoliert. Solche Maßnahmen ließen sich nicht allein damit begründen, dass die Arbeitgeberin gehört habe, die Arbeitnehmerin würde unter den gegebenen Umständen „krank machen“. Es hätte nahegelegen, den Sachverhalt zunächst näher aufzuklären.
Insbesondere die Kommunikation nach außen hätte bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung nachhaltige Wirkung entfaltet. Zu Recht befürchtete die Arbeitnehmerin einen nachhaltigen Schaden ihrer Reputation. Die weiteren Verhaltensweisen der Arbeitgeberin, wie z.B. das Entfernen aller relevanten Daten von der Homepage und eine nachteilige Veränderung der Signatur der Arbeitnehmerin unter den Mails würden das Bild verstärken.
Das aus den Vertragsverletzungen der Arbeitgeberin resultierende Interesse der Arbeitnehmerin an einer sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses überwog nach Ansicht des Gerichts auch das Interesse der Arbeitgeberin am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.
Die Kammer hielt die Pflichtverletzungen der Arbeitgeberin in der Gesamtbetrachtung für erheblich. Das Interesse der Arbeitgeberin hingegen erschöpfe sich allein in der Verhinderung der frühzeitigen Abwanderung der Arbeitnehmerin zur Konkurrenz. Ein Interesse an einer vertragsgerechten Beschäftigung der Arbeitnehmerin hätte nicht bestanden, dies zeige schon die Bereitschaft der Arbeitgeberin, einen Aufhebungsvertrag mit Turboklausel abzuschließen. Insofern befürchtete die Arbeitnehmerin nach Auffassung der Kammer zu Recht, dass ihr keine adäquate Tätigkeit mehr zugewiesen werden sollte.
Hat der Arbeitgeber ein gesteigertes Interesse daran, einen Arbeitnehmer schnellstmöglich loszuwerden, so kann er mit einer sogenannten Turboklausel eine „Turboprämie“ in Aussicht stellen. Diese zahlt der Arbeitgeber für die vorzeitige oder schnell entschlossene Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Die Turboprämie wird häufig – wie hier – im Rahmen der einvernehmlichen Auflösung eines Arbeitsverhältnisses, bei einem Vergleich über eine Kündigung oder aber im Rahmen von Sozialplanverhandlungen bei einer Betriebsvereinbarung über die Durchführung betriebsbedingte Kündigungen, angeboten.
Im vorliegenden Fall wurde der Arbeitgeberin das Angebot der Turboprämie allerdings zum Verhängnis. Die Prämienklausel enthielt obendrein den Zusatz „Eine vorzeitige Beendigung entspricht dem Willen des Arbeitgebers“. Weshalb die Arbeitgeberin einerseits die schnellstmögliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses forcierte, aber bei dem bisherigen Werdegang der Arbeitnehmerin nicht damit rechnete, dass diese umgehend ein neues berufliches Angebot von der Konkurrenz erhält, bleibt fraglich. (sf)