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Beförderungsanspruch für ein nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied

Thema Betriebsratsvergütung: Diesmal hatte ein nicht freigestelltes BR-Mitglied geklagt. Vor dem LAG Hessen ging es um eine höhere Betriebsratsvergütung wegen struktureller Benachteiligung. Das Gericht gab dem Betriebsratsmitglied recht. 

LAG Hessen, Urteil vom 17.03.2023, 10 Sa 923/22

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Redaktion
Stand:  19.3.2024
Lesezeit:  02:30 min
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Das ist passiert

Der Kläger war als Unternehmensberater bei einer großen Beratungsgesellschaft beschäftigt und gleichzeitig nicht freigestelltes Mitglied im Betriebsrat. Seine Betriebsratstätigkeit machte rund 40% seiner gesamten Arbeitszeit aus. Infolge dessen konnte er nicht mehr seine ganze Arbeitszeit für Kundenprojekte zur Verfügung stellen. Das führte dazu, dass er in der internen Projektzuteilung immer öfter leer ausging, weil viele Kunden für die Dauer ihrer Projekte Berater in Vollzeit wünschten. Somit fiel der Kläger in den jährlichen Beförderungsrunden in einem System von „Career-Levels“ im Vergleich zu anderen Beratern zurück. Denn maßgeblich für die Einstufung in die Karrierelevel waren u.a. die Einsätze in Kundenprojekten.

In seiner Klage berief sich der Kläger auf den Entgeltschutz nach § 37 Abs. 4 BetrVG und verlangte, entsprechend der Entwicklung seiner Vergleichsgruppe zwei Level höher eingestuft zu werden. Zur Begründung führte er Statistiken über die betriebsüblichen Verweildauern von Beratern auf den unterschiedlichen Karriere-Levels an. Dem hielt der Arbeitgeber entgegen, dass die vom Kläger zum Vergleich herangezogenen Arbeitnehmer nicht vergleichbar wären. Außerdem läge auch keine Benachteiligung seitens des Arbeitgebers vor, denn am Ende würden die Kunden entscheiden, mit welche Beratern sie zusammenarbeiten wollen.

Das entschied das Gericht

Das LAG Hessen gab dem Kläger recht und verurteilte den Arbeitgeber zu einer höheren Einstufung des Klägers und zur Nachzahlung der Differenz. Der Anspruch folge allerdings nicht aus der Vergleichsgruppenbetrachtung nach § 37 Abs. 4 BetrVG. Diese erfordere konkrete Vergleichspersonen mit ähnlichen, im Wesentlichen gleich qualifizierten Tätigkeiten bei ähnlicher fachlicher und persönlicher Qualifikation. Eine dementsprechende Vergleichsgruppe konnte der Kläger nicht darlegen. Allgemeine Kennzahlen wie die durchschnittliche Verweildauer von Beratern auf einer Karrierestufe könnten die konkreten Vergleichspersonen nicht ersetzen.

Dennoch ergebe sich ein Anspruch des Klägers auf eine Beförderung, weil nach der Überzeugung der Kammer feststehe, dass der Kläger gerade (nur) wegen seiner Betriebsratstätigkeit nicht in den Genuss eines weiteren beruflichen Aufstiegs gelangt sei und deshalb einen Anspruch auf eine (fiktive) Beförderung nach § 78 S. 2 BetrVG habe. Maßgeblich für diese Einschätzung war die Bewertung des Gerichts, dass es sich bei dem Beförderungssystem der Beklagten um eine strukturelle Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern handelte, weil die Beförderungen von Bedingungen abhängig seien (Kundenprojekte), die von Betriebsratsmitgliedern aufgrund eingeschränkter Verfügbarkeit nicht in gleicher Weise erfüllt werden könnten, wie von anderen Arbeitnehmern. In diesem Zusammenhang stellte das Gericht auch klar, dass der Einwand des Arbeitgebers, nicht er selbst, sondern die Kunden würden über die Einsätze der Berater entscheiden, bedeutungslos ist. Schließlich trägt grundsätzliche der Arbeitgeber das Verwendungsrisiko seiner Arbeitnehmer.

Bedeutung für die Praxis

Dieser Fall ist schon deshalb speziell, weil es um ein nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied geht. Dessen fortlaufende Bezahlung sollte zumindest in der Theorie nach dem Lohnausfallprinzip keine größeren Schwierigkeiten machen. Aber wie der Fall zeigt, kann bereits die „normale“ Betriebsratstätigkeit faktisch zu einer Behinderung der beruflichen Entwicklung führen, was eine unzulässige Benachteiligung bedeuten kann.

Erstaunlich ist, dass in diesem Fall ein konkreter Anspruch auf eine Beförderung nach § 78 S. 2 BetrVG zuerkannt wurde. Dessen Voraussetzungen sind so hochgesteckt, dass manche Experten schon geäußert haben, dieser Anspruch existiere im Grunde nur in der Theorie. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BGH erfordert der (fiktive) Beförderungsanspruch den Nachweis des Anspruchstellers, dass er ohne seine Tätigkeit als Mitglied des Betriebsrats mit einer Aufgabe betraut worden wäre, die ihm den Anspruch auf das begehrte Arbeitsentgelt geben würde. Der Kläger musste also nachweisen, dass er ohne seine Betriebsratstätigkeit so viele erfolgreiche Kundenprojekte geschafft hätte, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit befördert worden wäre. Was die Sache etwas erleichterte, war das Karrierelevel-System, in dem ein Aufstieg auch ohne eine neu zu besetzende freie Stelle möglich war.

Dennoch ist es ein leichtes für den Arbeitgeber, jede Menge Gründe zu finden, die gegen eine Beförderung auf das nächste Karriere-Level sprechen. Daher darf man sich eine solche Auseinandersetzung nicht als leichte Übung vorstellen. Im Streitfall hat sich das Gericht seitenweise mit dem Beförderungssystem befasst und exakt nachvollzogen, was in den sogenannten „Promotiongesprächen“ mit einem „Counceler“ („Fürsprecher“) und in den anschließenden „Talent-Discussions“ gelaufen ist. Am Ende ist es dem Kläger gelungen, so viele Indizien vorzutragen, dass die Beförderung zur Überzeugung des Gerichts ausschließlich aufgrund der Betriebsratstätigkeit unterblieben ist.

Wer sich mit dem Gedanken trägt, ebenfalls wegen unzulässiger Benachteiligung zu beklagen, tut also gut daran, jeden nur erdenklichen Hinweis zu dokumentieren, dass man gerade und ausschließlich wegen seiner Betriebsratstätigkeit am langen Arm verhungert und beruflich nicht mehr weiterkommt. Dazu muss man sich aber auch auf die möglichen Gegenargumente des Arbeitgebers gefasst machen und sich klar darüber im Klaren sein, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach einer solchen Auseinandersetzung schwierig werden könnte. (mb)

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