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Die Rechtsprechung zum sogenannten „Annahmeverzugslohn“ nach ungerechtfertigter Kündigung befindet sich gerade in einem Wandel. Die Anforderungen an Gekündigte, sich um einen zumutbaren anderweitigen Verdienst zu bemühen, nehmen zu. Passend dazu hat nun das Bundesarbeitsgericht ein Urteil des LAG Baden-Württemberg aufgehoben und an das Gericht zurückverwiesen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.02.2024, 5 AZR 177/23
Der Kläger ist bei der Beklagten seit 33 Jahren beschäftigt. Er wurde Ende 2017 gekündigt, gewann in zweiter Instanz 2020 den Kündigungsschutzprozess und setzte im Wege der Zwangsvollstreckung seine Weiterbeschäftigung durch. Für den Zeitraum von 2018 bis 2020 fordert er von der Beklagten seinen Lohn auf Grundlage des Annahmeverzugs. Hauptstreitpunkt in der Auseinandersetzung war die Frage, ob der Kläger es „böswillig“ unterlassen habe, im Zeitraum der Kündigungsschutzklage eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen (§ 11 Ziff. 2 KSchG). Denn er hatte gegenüber der Agentur für Arbeit erklärt, zur Not werde er sich zwar bewerben, aber er werde potenziellen Arbeitgebern seine Lage schildern und ihnen schon vor möglichen Bewerbungsgesprächen mitteilen, dass er wieder bei seinem alten Arbeitgeber arbeiten wolle. Daher unterbreitete die Agentur für Arbeit dem Kläger erst gar keine Stellenangebote.
Das LAG Baden-Württemberg hatte dem Kläger zunächst Recht gegeben und den Anspruch auf Lohn nach Annahmeverzug anerkannt. Wenn eine Kündigungsschutzklage erfolgreich ist, dann gilt das Arbeitsverhältnis über den Zeitpunkt der Kündigung als fortgesetzt und muss vom Arbeitgeber entlohnt werden, auch wenn der Gekündigte nicht gearbeitet hat. Denn der Arbeitgeber befindet sich automatisch im sogenannten Annahmeverzug, weil der Gekündigte mit seiner Klage ausdrückt, dass er arbeiten will, der Arbeitgeber aber mit seiner Kündigung ausdrückt, dass er das Arbeitsverhältnis als beendet betrachtet, die Annahme der Arbeitsleistung also verweigert. Dieser Schwebezustand kann wie im vorliegenden Fall über etliche Jahre andauern und dementsprechend kostspielig werden. Darum sieht das Gesetz vor, dass der Gekündigte sich auf den Annahmeverzugslohn des alten Arbeitgebers das anrechnen lassen muss, was er in der Zwischenzeit anderweitig verdient, oder was er hätte verdienen können, wenn er das nicht böswillig unterlassen hätte. Böswillig ist es nach der Rechtsprechung auch, wenn der Gekündigte vorsätzlich verhindert, dass ihm eine zumutbare Arbeit überhaupt angeboten wird.
Eine solche böswillige Unterlassung sah das LAG Baden-Württemberg im Verhalten des Klägers allerdings nicht. Das Gericht befand, dass der Kläger eine Art Vertrauensschutz darin genieße, wie die Agentur für Arbeit mit dem Fall umgegangen ist. Komme die Agentur für Arbeit mit einem gekündigten Arbeitnehmer überein, ihm bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens keine Vermittlungsangebote zu unterbreiten, so sei der Arbeitnehmer nicht gehalten, dennoch auf entsprechende Vermittlungsvorschläge zu drängen.
Dem tritt das BAG in seiner Entscheidung nun klar entgegen. Kurz gesagt habe das LAG zu formalistisch auf einen nicht gegebenen Vertrauenstatbestand gesetzt. Der Kläger habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Agentur für Arbeit richtig handelt und die von ihm erfolgte Arbeitslosenmeldung ausreiche. Das Gericht habe nicht berücksichtigt, dass der Kläger es bei lebensnaher Betrachtung gerade darauf angelegt hatte, dass ihm eine zumutbare Arbeit überhaupt erst gar nicht angeboten werden konnte. Soweit der Kläger eigene Bewerbungsbemühungen vorgetragen habe, seien diese zu gering ausgefallen; ebenso eine aufgenommene geringfügige Beschäftigung. Denn auch das Unterlassen eines anderweitigen Erwerbs könne böswillig sein, wenn sich der Arbeitnehmer vorsätzlich mit einer zu geringen Vergütung zufriedengebe.
Dem stehe auch nicht entgegen, dass das Jobcenter die Bemühungen des Klägers als ausreichend angesehen hatte. Böswilligkeit scheide nicht allein deshalb aus, weil das Jobcenter keine höheren Anforderungen an den Kläger gestellt hatte. Vielmehr sei unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falls das Maß erforderlicher Bemühungen unabhängig von den sozialrechtlichen Handlungspflichten gekündigter Arbeitnehmer zu bestimmen. Weil diese Umstände im konkreten Fall näher festgestellt werden müssen, wurde das Urteil des LAG aufgehoben und zur neuen Verhandlung zurückverwiesen.
Wie geht es nach einer Kündigung weiter? Dieser Frage sehen sich Betriebsräte immer wieder ausgesetzt. Neben der Auseinandersetzung in der Sache, also der Beachtung von Fristen, dem Zusammentragen von Beweisen und so weiter, geht es natürlich auch um die pure Existenzsicherung: Rechtzeitige Arbeitslosenmeldung, Vermeidung von Sperrzeiten, Schreiben von Bewerbungen, Zwischentätigkeiten finden. Je stärker der Arbeitsmarkt Richtung Arbeitnehmermarkt drängt, desto häufiger werden die Gerichte Böswilligkeit bei unterlassener Arbeit annehmen. Arbeitgebern wird längst empfohlen, den Entlassenen während des Gerichtsverfahrens Anzeigen aus Jobbörsen zu schicken. Nach dem Motto, wer arbeiten will, der findet auch Arbeit. Zu denken gibt im vorliegenden Fall, dass der Kläger über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügte, er im Jahr seiner Kündigung bereits 51 Jahre alt war und das Jobcenter ihn gewähren ließ, offenbar selbst ohne Hoffnung auf Vermittlung. Und selbst in einem solchen Fall sieht das BAG gewichtige Anhaltspunkte für ein böswilliges Unterlassen.
Daraus folgt für die Praxis: Raten Sie Betroffenen, alles zu vermeiden, was nach außen wie eine Unlust auf anderweitige Arbeit aussehen könnte. Darauf zu vertrauen, dass man den Prozess gegen den Arbeitgeber schon gewinnen werde und der sowieso hinterher zahlen muss, kann mehrfach schlecht ausgehen. Erstens kann man natürlich auch verlieren, zweitens riskiert man die Anrechnung eines höheren, hypothetischen Zwischenverdienstes und drittens verschlechtern sich mit der zunehmenden Dauer der Arbeitslosigkeit die Aussichten auf einen attraktiven neuen Job. (mb)