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Kritische Berichterstattung durch Betriebsratsmitglieder ist kein Kündigungsgrund

Ein Fall aus Sachsen: Ist eine kritische Berichterstattung über den Arbeitgeber durch ein Mitglied des Betriebsrats in den Sozialen Medien gestattet – oder ein Grund für eine Kündigung? 

LAG Sachsen, Urteil vom 17.3.2023, 4 Sa 78/22

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Redaktion
Stand:  26.6.2023
Lesezeit:  02:00 min
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Das ist passiert:

In diesem Fall geht es um die Wirksamkeit von zwei Kündigungen eines BR-Mitglieds. Dem Betriebsrat einer kleineren Gewerkschaft wurde zunächst wegen einer angeblich vom ihm gefertigten Videoaufzeichnung des Betriebsratsvorsitzenden und später wegen eines von ihm in den Sozialen Netzwerken hochgeladenen (anderen) Videos mit Kritik an einer Verdachtskündigung jeweils eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Hiergegen wendete sich das BR-Mitglied.

Es fand eine Anhörung des Klägers zur Frage der Anfertigung von Videoaufzeichnungen in der Betriebsratssitzung statt. Im Nachgang zu dieser Anhörung wurde vor dem Betriebsgelände der Beklagten ein Video der Vereinigung „Zentrum …“ aufgenommen, in welchem der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter zu den erhobenen Vorwürfen Stellung nahmen. Der Kläger stellt auf seiner Internetseite den Link zu diesem Video zur Verfügung. Auf der Internetseite des Klägers steht zudem die Aufforderung, das Video zu teilen. Das Standbild des Videos zeigt den Kläger vor dem Betriebslogo der Beklagten im Hintergrund. In Fettdruck heißt es dort in der Überschrift: „Politische Kündigung?“ Im Untertitel: „Komplott unter der Gürtellinie. Will Hersteller mit Lügen Betriebsrat kündigen?“

Weitere Textauszüge aus dem Video lauten: „Funktionäre der etablierten Gewerkschaften wissen sich nicht mehr anders zu helfen: … von der alternativen … Zentrum ist Betriebsrat bei …  und der mächtigen …[Gewerkschaft] ein Dorn im Auge. Jetzt haben Funktionäre ihn mit Lügen und haltlosen Behauptungen beim Arbeitgeber denunziert, sein Kopf soll rollen und er schnellstmöglich gekündigt werden. Der Skandal nimmt seit Wochen Fahrt auf: Unklare Tatvorwürfe, widersprüchliche Zeugenaussagen, plötzlich wie vom Himmel fallende neue Zeugen, rechts- und datenschutzwidrige Vorgänge. Für jeden Betrachter ist klar, dass dieser kein arbeitsrechtlicher, sondern ein politischer Fall ist – es ist ein Komplott gegen Andersdenkende und gegen alternative Gewerkschaftsstrukturen. Doch jetzt geht es erstmal um …s Existenz und die Verhinderung weiterer Intrigen: Verbreitet …s Geschichte und zeigt euren Kollegen, mit welchen miesen Tricks und Lügen die Funktionäre der großen Gewerkschaften arbeiten!“

Dies entschied das Gericht:

Die Berufung des Arbeitgebers hatte keinen Erfolg. Keine der beiden Kündigungen hatte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien beendet. Das Arbeitsverhältnis bestand daher fort.

Der Vorwurf der getätigten Videoaufzeichnung vom Betriebsratsvorsitzenden konnte nicht bewiesen werden. Dies führte zum Klageerfolg hinsichtlich der ersten Kündigung.
Kündigung 2: Da der Kläger behauptet, dass er keine Videoaufzeichnung angefertigt hat, sagen die Zeugen zumindest aus seiner Sicht die Unwahrheit. Aus seiner Sicht ist es daher gerechtfertigt, von „Lügen“ zu sprechen. Da die Beklagte aufgrund dieser „Lügen“ tatsächlich eine Kündigung beabsichtigt, kann sich dem Kläger nachvollziehbarerweise aufdrängen, dass es sich um eine politische Kündigung handelt. Der Arbeitgeber schenkt aus seiner Sichtweise allein den Zeugen der Gewerkschaft IG Metall Glauben. Der Kläger erkennt hierin ein Komplott gegenüber den Betriebsratsmitgliedern der Vereinigung „Zentrum …“.
Der Beklagten ist einzuräumen, dass die Verwendung der Begriffe „politische Kündigung“ und „Lügen“ geeignet sind, die Beklagten in ein schlechtes Licht zu rücken. Allerdings darf man diese Schlagworte nicht für sich allein bewerten. Die Formulierungen sind zur Beschreibung des Videos und müssen auch im Zusammenhang mit dem Inhalt des Videos betrachtet werden. Es ist nicht zulässig, die Schlagworte isoliert für sich allein zu betrachten. Maßgeblich sind der Zusammenhang und die Begleitumstände für die abgegebene Erklärung, sprich deren Kontext.
Zieht man den gesamten Kontext und die Begleitumstände der Erklärung heran, mit anderen Worten, schaut man sich das verlinkte Video an, so wird deutlich, dass der Kläger allein den Funktionären der Gewerkschaft Lügen vorwirft. Der Beklagten selbst wirft der Kläger keine Lügen vor. Als Vorwurf gegenüber der Beklagten bleibt lediglich, dass sie mit der Gewerkschaft IG Metall eng zulasten der Vereinigung „Zentrum ...“ zusammenarbeite. Dies ist der „Komplott unter der Gürtellinie“ bzw. die beabsichtigte „politische Kündigung“. Diese beiden Äußerungen sind jedoch von der Meinungsfreiheit des Klägers geschützt. Die Meinung i.S.v. Art. 5 GG beinhaltet ein Element des Dafürhaltens. Sie stellt eine subjektive Bewertung äußerer Geschehnisse dar. Im Rahmen dieser Definition liegt eine Meinungsäußerung des Klägers vor. Der Kläger glaubt eine gewisse Nähe zwischen der Beklagten und der IG-Metall zu erkennen. Die Beklagte schenke deshalb den Aussagen der Zeugen der IG-Metall aus dem Betriebsrat Glauben. Aus diesem „Komplott“ ergebe sich letztlich die beabsichtigte Kündigung, mit dem erklärten Zweck, ihn als andersdenkenden Betriebsrat aus dem Betrieb zu drängen. Dies verbirgt sich hinter der Formulierung „politische Kündigung“.

Das Unternehmerpersönlichkeitsrecht aus Art. 2 GG schränkt die Meinungsfreiheit des Klägers nicht ein. Die Beklagte weist darauf hin, dass sie ein international agierender Konzern ist. Infolge dieser Größe des Konzerns fällt die Meinungsäußerung des Klägers, möge sie auch in einem scharfen Ton gestaltet sein, nicht schwerwiegend ins Gewicht. Aus dem Screenshot vom 19.10.2020 ergibt sich, dass das streitgegenständliche Video 28 Mal geteilt wurde und 10 Kommentare dazu verfasst wurden. Die Anzahl von insgesamt 38 Interessierten fällt gegenüber einem international tätigen Konzern von der Größenordnung her nicht nennenswert ins Gewicht.

Bedeutung für die Praxis:

Bei solchen Meinungsäußerungen ist – wie es auch das Gericht im vorliegenden Fall erkennbar getan hat – streng auf den Einzelfall abzustellen und jede kleinste Äußerung am besten schon im Vorfeld zu durchdenken. (dz)

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