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Es ist nicht Sache der Gerichte, dem Arbeitgeber eine „bessere“ oder „richtigere“ betriebliche Organisation vorzuschreiben. Ein Arbeitgeber ist – bis zur Grenze der Willkür – nicht gehindert, auch wirtschaftlich nicht zwingend notwendige Organisationsentscheidungen zu treffen. Bei einer betriebsbedingten Kündigung kommt es nicht darauf an, ob die dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung – etwa aus wirtschaftlichen Gründen – „dringend“ war. Im Rahmen der unternehmerischen Freiheit können Aufgaben an Drittunternehmen vergeben werden. Dies gilt auch für die Aufgabenverlagerung zwischen Konzernunternehmen.
BAG, Urteil vom 28.02.2023, 2 AZR 227/22
Der Arbeitnehmer und die Arbeitgeberin, eine deutsche Tochtergesellschaft der M-Inc, die Branchenlösungen im Bereich der KI-Technologie anbietet, streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.
Der Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin zuletzt im Vertrieb als „Vice President & Country Manager Germany“ beschäftigt. In der Abteilung Vertrieb waren noch sechs weitere Mitarbeiter („Sales Directors“) tätig, wobei der Arbeitnehmer als Bindeglied zwischen dem zuständigen Vertriebsleiter („Area Vice President“) und jedenfalls fünf der sechs „Sales Directors“ fungierte.
Mit Schreiben vom 11.5.2020 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer. Die Geschäftsführerin der Arbeitgeberin habe entschieden, dass zukünftig sämtliche „Sales Directors“ der Arbeitgeberin unmittelbar an den „Area Vice President“ berichten und die Aufgaben u.a. des Arbeitnehmers von Beschäftigten der M-Ltd., einer Schwestergesellschaft der Arbeitgeberin, übernommen werden sollen. Aus diesem Grund sei die Stelle des „Country Managers Germany“ mit Wirkung zum 1.7.2020 entfallen. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage.
Die Kündigung vom 11.5.2020 ist rechtswirksam, so das Gericht. Durch die Umsetzung der getroffenen unternehmerischen Entscheidung, die Stelle eines „Country Managers Germany“ zu streichen und die entsprechenden Aufgaben an ein konzernangehöriges Drittunternehmen zu vergeben, sei das Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer entfallen. Die Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 II KSchG bedingt.
Ein dringendes „betriebliches“ Erfordernis, das einer Weiterbeschäftigung entgegensteht, sei gegeben, wenn aufgrund der unternehmerischen Entscheidung ein Bedürfnis für die Beschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entfalle. Der Arbeitgeber sei grundsätzlich nicht gehalten, nicht mehr benötigte Arbeitsplätze und Arbeitskräfte weiterhin zu besetzen bzw. zu beschäftigen.
Es komme nicht darauf an, ob die dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zugrunde liegende unternehmerische (Organisations-)Entscheidung ihrerseits – etwa aus wirtschaftlichen Gründen – „dringend“ war oder die Existenz des Unternehmens auch ohne diese Entscheidung nicht gefährdet gewesen wäre. Der Arbeitgeber sei – bis zur Grenze der Willkür – nicht gehindert, auch wirtschaftlich nicht zwingend notwendige Organisationsentscheidungen zu treffen. Es sei nicht Sache der Gerichte, ihm eine „bessere“ oder „richtigere“ betriebliche Organisation vorzuschreiben.
Die unternehmerische Freiheit gelte jedoch nicht schrankenlos. Die Berufsfreiheit des Art. 12 I GG schütze nicht nur die unternehmerische Freiheit, sondern gewähre auch einen Mindestbestandsschutz für den Arbeitnehmer.
In diesem Rahmen habe der Senat bei der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes auf die sogenannte „freie“ Unternehmerentscheidung regelmäßig eine eingeschränkte Prüfung des unternehmerischen Konzepts vorgenommen. Denn anderenfalls würde bei einer schrankenlosen Hinnahme jeglicher unternehmerischen Entscheidung „als bindend“ für den Kündigungsschutzprozess der Kündigungsschutz der Arbeitnehmer teilweise leerlaufen. Dies äußere sich zum Beispiel bei dem Umfang der Anforderungen an die Darlegung der Kündigungsgründe bei einer mit dem Kündigungsentschluss zusammenfallenden oder nahe an ihn heranreichenden Organisationsentscheidung. Dadurch solle verhindert werden, dass die vom Arbeitgeber getroffene unternehmerische Entscheidung lediglich als Vorwand benutzt werde, um Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeit fortbestünden und lediglich die Arbeitsvertragsinhalte und die gesetzlichen Kündigungsschutzbestimmungen als zu belastend angesehen würden. Für ein solches Vorgehen der Arbeitgeberin habe der Arbeitnehmer allerdings keine Tatsachen vorgetragen. Dagegen spräche zudem, dass nicht nur er, sondern auch weitere Mitarbeiter der Arbeitgeberin in Folge der geänderten Vertriebsstruktur ihren Arbeitsplatz verloren hätten.
Daneben finde stets eine – vom Senat gelegentlich als „Missbrauchskontrolle“ bezeichnete – Prüfung daraufhin statt, ob die Unternehmerentscheidung offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sei. Im Ergebnis hätte das LAG vorliegend zu Recht festgestellt, dass die Entscheidung der Arbeitgeberin, die bisherigen Aufgaben des Arbeitnehmers nicht mehr auszuführen, da diese der M-Ltd. übertragen worden seien, sich weder als unsachlich, unvernünftig noch willkürlich erweise.
Zu der geschützten unternehmerischen Freiheit gehöre unter anderem das Recht festzulegen, ob bestimmte Arbeiten weiter im eigenen Betrieb ausgeführt oder an Drittunternehmen vergeben werden sollen. Im Fall der Fremdvergabe komme es deshalb grundsätzlich nicht darauf an, ob durch die Beauftragung des Drittunternehmens tatsächlich Kosten gespart würden. Dies gelte auch für die Aufgabenverlagerung zwischen Konzernunternehmen. Da § 1 II KSchG auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für den betroffenen Arbeitnehmer im Betrieb bzw. im Unternehmen, nicht jedoch im Konzern abstelle, sei es – von Ausnahmetatbeständen abgesehen – rechtlich ohne Bedeutung, wenn der Beschäftigungswegfall auf der Entscheidung beruhe, dass bestimmte Aufgaben nicht mehr im Unternehmen ausgeführt werden, sondern – etwa aufgrund einer von der Konzernobergesellschaft initiierten Absprache – von einem anderen Konzernunternehmen.
Die von der Arbeitgeberin beschlossene Maßnahme sei auch tatsächlich umgesetzt und die Stelle eines „Country Managers Germany“ bei der Arbeitgeberin nicht wieder besetzt worden.
1. Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung können sich aus innerbetrieblichen (z.B. technische, organisatorische, wirtschaftliche Maßnahmen des Arbeitgebers welche die Art sowie Form von Produkten oder Dienstleistungen, den Betriebsumfang, die Arbeits- und Fertigungsmethoden, die Arbeitsmittel sowie auch die Fähigkeiten der einzusetzenden Arbeitnehmer betreffen) oder außerbetrieblichen (z.B. Auftragsrückgang, Umsatzeinbußen, Drittmittelkürzungen) Gründen ergeben.
2. Im vorliegenden Fall hatte sich der Arbeitnehmer weder auf das Vorliegen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb oder Unternehmen noch auf die die Fehlerhaftigkeit einer etwaig erforderlichen Sozialauswahl im Sinne von § 1 III KSchG berufen. Deshalb waren diese möglichen Gründe, die zur Unwirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung hätten führen können, hier nicht vom Gericht zu prüfen. (sf)