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Betriebsorganisation per App: Lieferfahrer dürfen eigenen Betriebsrat gründen!

Seit geraumer Zeit rumort es in der Lieferdienstbranche. Der Boom der Corona-Jahre ist vorbei, und durch Umstrukturierungen sollen Kosten gespart werden. Da passt es den Unternehmen gar nicht, wenn die Beschäftigten Betriebsräte gründen. Auch im vorliegenden Fall wurde versucht, das durch die Anfechtung einer Wahl zu verhindern.

Arbeitsgericht Aachen, Beschluss vom 23.04.2024, 2 BV 56/23 

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Redaktion
Stand:  5.8.2024
Lesezeit:  02:15 min
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Das ist passiert

Die Kurierfahrer eines Lieferdienstes in einem Liefergebiet ohne eigene Führungskraft gründeten im vergangenen Jahr einen eigenen Betriebsrat. Das Gebiet bezeichnete der Arbeitgeber als „Remote-City“, sämtliche Weisungen erhielten die Fahrer entweder direkt aus der weit entfernten Zentrale, oder aus einem sogenannten „Hub“, der 77 km entfernt lag. Die gesamte Arbeit der Fahrer ist durch eine App organisiert, es werden die Schichtpläne sowie Einzelanweisungen übermittelt, und es wird die Arbeitsleistung der Fahrer überwacht. Außerdem melden sich die Fahrer über die App auch krank, reichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein und stellen darüber Urlaubsanträge. 

Der Arbeitgeber erklärte die Anfechtung der Betriebsratswahl, weil das Liefergebiet weder ein eigenständiger Betrieb noch ein qualifizierter Betriebsteil nach § 4 BetrVG sei, also dort kein eigener Betriebsrat gegründet werden könne. Er beantragte die Feststellung der Nichtigkeit der Wahl sowie Zuordnung der unselbständigen Organisationseinheit zum Hauptbetrieb im „Hub“.

Das entschied das Gericht

Das Gericht verwarf die Anfechtung der Wahl und erklärte das Liefergebiet zu einem qualifizierten Betriebsteil im Sinne des § 4 BetrVG, in dem ein eigener Betriebsrat gegründet werden könne. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts genüge für den Betriebsteil ein Mindestmaß an organisatorischer Selbständigkeit gegenüber dem Hauptbetrieb. Dazu reiche es aus, dass in der organisatorischen Einheit überhaupt eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Leitung institutionalisiert ist, die Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt. Während in älterer Rechtsprechung noch davon die Rede war, dass „in der Einheit wenigstens eine Person mit Leitungsmacht vorhanden“ sein müsse, lasse die neue Begrifflichkeit der „Institutionalisierung“ Spielraum für andere Arten der Ausübung der Leitungsfunktion. Im vorliegenden Fall wäre bei der von der Arbeitgeberin gewählten Organisation schlicht niemand vor Ort nötig, der den Einsatz der Arbeitnehmer steuern müsse, da dies digital erfolge. Es hänge vom puren Zufall ab, wo sich die disziplinarischen Vorgesetzten der Fahrer gerade aufhalte. In rein digital organisierten Betrieben, bei der die Ausübung der Leitungsmacht allein mittels App geschieht, sei eine hinreichende Institutionalisierung der Leitungsmacht bereits dann gegeben, wenn alle Arbeitnehmer einer räumlich und organisatorisch abgrenzbaren Einheit Weisungsrechten einer anderswo organsierten Leitungsmacht unterliegen, die für die Einheit zuständig ist. Die Lieferfahrer der „Remote-City“ bilden nach Ansicht des Gerichts eine solche abgrenzbare Einheit. Da mit 77 Kilometern auch die räumlich weite Entfernung vom Hauptbetrieb gegeben ist, kann das Liefergebiet mit seinen Fahrern somit als qualifizierter Betriebsteil im Sinne einer Betriebsratsfähigkeit gewertet werden. Somit stand die Organisation der „Remote-City“ einer Betriebsratsgründung nicht im Weg. 
 

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil dürfte über die Branche der Lieferdienste hinaus Beachtung finden. Denn die digitale Transformation schreitet unaufhörlich voran und wird noch so manche „Remote“-Geschäftsmodelle hervorbringen, bei denen wesentliche Teile der gesamten Betriebsführung über Apps abgewickelt werden. So können ganze Niederlassungen ohne Chefs vor Ort organisiert werden. In solchen Fällen lohnt es sich in Zukunft genau hinzuschauen, ob es nicht vielleicht lohnenswert wäre, dort eine Betriebsratsgründung zu initiieren. Das Recht dazu haben nicht nur die betroffenen Beschäftigten selbst, sondern z.B. auch ein vorhandener Gesamt- oder Konzernbetriebsrat sowie – falls vertreten – eine Gewerkschaft. (mb)

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