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Betriebsrats-Seminar zu Rhetorik und Verhandlungsführung für Frauen

Betriebsratsmitglied muss sich bei Gesprächen und Verhandlungen sicher fühlen

Sächsisches LAG, Urteil vom 22.11.2002 - 9 TaBV 17/02

Stand:  24.6.2003
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Fall (gekürzt):

Betriebsrat und Arbeitgeber stritten über die Erforderlichkeit eines Seminars mit dem Thema "Rhetorik und Verhandlungsführung für Frauen".

Das Betriebsratsgremium hatte beschlossen, die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende - eine ausgebildete Schriftsetzerin, die am Montageband beschäftigt ist - auf das genannte Rhetorikseminar zu entsenden. Begründet wurde dieser Beschluss damit, dass die stellvertretende Vorsitzende rhetorische Defizite aufweise und sich daher unsicher fühle. Andererseits seien jedoch gerade in der Betriebsratsarbeit ihre rhetorischen Fähigkeiten gefordert, denn als stellvertretende Betriebsratsvorsitzende vertrete sie desöfteren den Betriebsratsvorsitzenden. Daher habe sie oft Betriebsratssitzungen zu leiten und an Diskussionen teilzunehmen. Auch müsse sie oftmals Verhandlungen mit dem Arbeitgeber führen. Überdies habe sie bereits drei Betriebsversammlungen geleitet. Weiterhin sei sie auch Mitglied im Gesamtbetriebsrat und in verschiedenen Fachausschüssen. Auch dort käme es auf ihre sprachlichen Fähigkeiten an.

Der Arbeitgeber dagegen hielt die in dem Seminar vermittelten Kenntnisse allenfalls für nützlich, nicht jedoch für erforderlich im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG. Er verweigerte daher die Schulungsteilnahme.

Entscheidung:

Nach Auffassung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts (LAG) ist die Schulung "Rhetorik und Verhandlungsführung für Frauen" erforderlich im Sinne von § 37 Abs.6 BetrVG. Ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), wonach Betriebsratsseminare dann erforderlich sind, wenn sie unter Berücksichtigung der konkreten Situation im Betrieb und Betriebsrat benötigt werden, damit die Betriebsratsmitglieder ihre derzeitigen und demnächst anfallenden gesetzlichen Aufgaben sachgerecht wahrnehmen können, stellte das Sächsische LAG Folgendes fest:

Rhetorische Fähigkeiten habe die Betriebsrätin weder durch ihre Ausbildung zur Schriftsetzerin noch durch ihre Tätigkeit als Montagemitarbeiterin am Fließband vermittelt bekommen. Auch gebe es keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass sich bei längerer Betriebsratsarbeit - hier 9 Jahre - die sprachliche Gewandtheit und Ausdrucksfähigkeit automatisch steigern würde.

Das Betriebsverfassungsgesetz enthalte aber eine Reihe von Aufgaben, für die rhetorische Fähigkeiten unabdingbar sind, wie z.B. die Pflicht zur aktiven Mitwirkung an Betriebsratssitzungen (§ 30 BetrVG) oder die monatlichen Besprechungen mit dem Arbeitgeber (§ 74 Abs.1 BetrVG).

Im vorliegenden Fall müsse die zur Schulung entsandte Betriebsrätin aber noch aus weiteren Gründen über gute rhetorische Fähigkeiten verfügen: Als stellvertretende Betriebsratsvorsitzende habe sie desöfteren den Vorsitzenden zu vertreten und demzufolge Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen zu leiten. Außerdem sei sie Mitglied im Gesamtbetriebsrat und in verschiedenen Fachausschüssen. Daher benötige sie gute rhetorische Fähigkeiten, die es ihr ermöglichen, sich strukturiert und angstfrei sowohl gegenüber der Belegschaft als auch gegenüber der Geschäftsführung zu äußern. Hierzu diene das Seminar "Rhetorik und Verhandlungsführung für Frauen". Dass es sich dabei speziell um eine Schulung nur für Frauen handle, stehe der Erforderlichkeit nicht entgegen.

Bei seiner Entscheidung betonte das Sächsische Landesarbeitsgericht Folgendes (ähnlich bereits das LAG Schleswig-Holstein zu einem vergleichbaren Fall in seinem Beschluss vom 04.12.1990, 1 TaBV 21/90, abgedruckt in AiB 1991, 199): Betriebsratsmitglieder müssten in der Lage sein, Meinungsbildungsprozesse, an denen zahlreiche Personen beteiligt sein können, zu beeinflussen, u.U. sogar zu organisieren und Konfliktmanagment auf sehr verschiedenen Ebenen zu betreiben. Auf Arbeitgeberseite stünden den Betriebsratsmitgliedern typischerweise Personen gegenüber, zu deren Alltagsgeschäft es gehöre, im Gespräch mit anderen ihre Interessen durchzusetzen. Außerdem seien die Verhandlungspartner des Betriebsrats auf Arbeitgeberseite oft speziell rhetorisch geschult. Kenntnisse in der Gesprächs-, Diskussions- und Verhandlungsführung seien deshalb für die Betriebsratsarbeit unverzichtbar. Wie jedes Betriebsratsmitglied allgemeine Grundkenntnisse im Betriebsverfassungsrecht benötige, brauche jedes Betriebsratsmitglied auch Grundwissen darüber, wie es die Anliegen der von ihm Vertretenen bei Gesprächen, Diskussionen und Verhandlungen im Rahmen der Betriebsratsarbeit am wirksamsten zur Geltung bringe.

Praxistipp:

Sollte auch Ihr Arbeitgeber dem Besuch eines Rhetorikseminars ablehnend gegenüber stehen, so dürfte Ihnen diese Entscheidung eine gute Argumentationshilfe sein, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Dabei sollten Sie darauf achten, möglichst detailliert die Betriebsratsaufgaben aufzuzählen, bei denen Ihre rhetorischen Fähigkeiten in der Vergangenheit gefragt waren bzw. auch in Zukunft gefragt sein werden. Je genauer dies erfolgt, desto besser. In der vorliegenden Entscheidung wurde dem Gericht vom Betriebsrat z.B. auch im Detail mitgeteilt, wann die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende den Vorsitzenden vertreten hatte, wann sie Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen geleitet hatte und wann sie Aufgaben im Gesamtbetriebsrat bzw. in den Fachausschüssen wahrgenommen hat.

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