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Freie Meinungsäußerung oder Beleidigung? Bei Grenzüberschreitung ist die fristlose Kündigung wirksam

„Polen-Mafia“, „Arschlecker“ und „Ein Hurensohn, dem man den Kopf abschneiden wolle“ – das genügt für eine fristlose Kündigung! Geäußerte Schmähkritik und Formalbeleidigungen am Arbeitsplatz sind vom Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nicht umfasst. Insbesondere dann nicht, wenn der Arbeitnehmer in einem Vier-Augen-Gespräch am Arbeitsplatz nach den Umständen und dem Inhalt des Gesprächs im Einzelfall nicht davon ausgehen kann, dass seine Äußerungen als vertraulich eingeordnet und behandelt werden.

LAG Hamm, Urteil vom 14.07.2022, 8 Sa 365/22

Stand:  13.12.2022
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Das ist passiert

Der Arbeitnehmer und die Arbeitgeberin streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.

Der Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin, einem Unternehmen der Elektroindustrie, als Packer und Kommissionierer beschäftigt. Die Arbeitgeberin hatte den Arbeitnehmer in der Vergangenheit bereits wegen seines aggressiv wirkendenden Auftretens und seinem unangemessenen Tonfall gegenüber einer Führungskraft ermahnt. Eine Abmahnung hatte er unter anderem erhalten, weil er nach ergangener Ermahnung eine Entsorgungskiste auf eine mit Produkten bestückte Palette geworfen hatte. Eine weitere Abmahnung erhielt er, weil er den Vorgesetzen C. als „Arschlecker von E.“ bezeichnete, und ihm drohte: „Wir können auch nach draußen gehen. Ich finde Dich sowieso“.

Einige Zeit später bezeichnete er den Vorgesetzten C. und einen Schichtleiter als „Polen-Mafia“ und zudem als „schlechte Menschen“. Am selben Tag traf der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit in der Logistikhalle einen dort ebenfalls als Packer und Kommissionierer tätigen Kollegen an, mit welchem ihn ein kollegiales, aber kein besonderes Freundschafts- oder Vertrauensverhältnis verbindet. Gegenüber dem Kollegen bezeichnete er den Vorgesetzten C. mehrfach als „Hurensohn“ und erklärte weiter, er wolle diesem „den Kopf abschneiden“.

Der Kollege informierte noch am selben Tag den Schichtleiter. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, vorsorglich fristgerecht. Mit seiner Kündigungsschutzklage wendet sich der Arbeitnehmer gegen diese Kündigungen.

Das entschied das Gericht

Die Arbeitgeberin hatte im Hinblick auf die außerordentliche Kündigung einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses, so das Berufungsgericht. Die Kündigung sei wirksam.

Als wichtiger Grund kämen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grobe Beleidigungen oder ehrverletzende Äußerungen zum Nachteil des Arbeitgebers, seiner Repräsentanten oder von Arbeitskollegen in Betracht. Dies gelte auch dann, wenn derartige Äußerungen nicht gegenüber dem Betroffenen bzw. Adressaten der Beleidigung selbst, sondern in Kollegengesprächen gegenüber Dritten getätigt werden. Denn Beleidigungen, ehrverletzende Äußerungen, üble Nachrede und bewusst falsche Tatsachenbehauptungen könnten einen groben Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers darstellen, die er nach § 241 Abs. 2 BGB (Rücksichtnahmepflichten) zu wahren hätte.

Der Arbeitnehmer könne sich hinsichtlich seiner getätigten Äußerungen „Hurensohn“ und „den Kopf abschneiden“ nicht auf das nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistete Recht auf Meinungsfreiheit berufen. Die Bezeichnung „Hurensohn“ ziele auf die Abstammung des Betroffenen und den Bereich seiner familiären Verbundenheit ab, wobei es bei der Verwendung dieses Wortes allein um die Verächtlichmachung des Anderen in kaum noch zu steigender Weise und darum gehe, ihn auf der persönlichsten Ebene als beliebiges und zufälliges Produkt einer zumal moralisch missbilligten Geschäftsbeziehung zu brandmarken, damit quasi zu versachlichen und so als Person schmerzlich zu treffen. Es handle sich danach um eine Formalbeleidigung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die grundsätzlich zu missbilligen sei.

Die weitere Äußerung des Klägers, er werde dem Vorgesetzen C. „den Kopf abschneiden“ könne man - wozu das Arbeitsgericht tendierte - ggf. zugleich als Drohung mit einer Tötung oder als Ankündigung körperlicher Gewalt verstehen, was hier dahinstehen könne. Im Kontext mit der Bezeichnung als „Hurensohn“ handle es sich - zumindest auch - um ebenfalls grundrechtlich nicht geschützte Schmähkritik an dem Vorgesetzten. Denn diesem werde auf diesem Weg sein Recht auf körperliche Existenz abgesprochen sowie verbunden damit angekündigt, ihn einer besonders entwürdigenden Art der Tötung überantworten zu wollen, was die fehlende Existenzberechtigung des anderen und die ihm deshalb abzuerkennende menschliche Würde nochmals unterstreiche. Damit hätte der Arbeitnehmer nicht nur den Bereich von Polemik oder Überspitzung überschritten, sondern den auch entferntesten Kontext einer sachlichen Auseinandersetzung um eine am Arbeitsplatz erteilte Weisung verlassen und allein noch auf die Verächtlichmachung des Vorgesetzen gezielt, wofür er den Schutz der Verfassung ebenfalls nicht beanspruchen könne.

Bedeutung für die Praxis

Grundsätzlich kann zwar davon aus gegangen werden, dass Äußerungen, die in einem vertraulichen Vier-Augen-Gespräch und damit in einem besonders geschützten Raum gefallen sind und diesen unter Verletzung einer sachlich begründeten Vertraulichkeitserwartung verlassen haben, nicht verwertet werden dürfen. Deren Verwertung steht das nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht entgegen. Das heißt, Äußerungen, die im geschützten Bereich getätigt werden, entsprechen keinem kündigungserheblichen Fehlverhalten, bzw. können unter Umständen zu einem Verwertungsverbot des Sachvortrages im Kündigungsschutzprozess führen.  Allerdings bedarf es hierfür einer berechtigten Annahme, dass das Gespräch mit einer Person des Vertrauens geführt wird und dadurch besonders geschützt ist.  

Das Gericht führt dazu in seiner Entscheidung aus, dass ein Erfahrungssatz dahin angenommen werden kann, dass anfechtbare Äußerungen über Vorgesetzte, etwa überspitzte bzw. polemische Kritik, Lästerei sowie eine plakative politische Einordnung, sofern sie im Kollegenkreis erfolgen, regelmäßig in der sicheren Erwartung geschehen, dass diese nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinausdringen werden. Danach könne auch diffamierende und ehrverletzende Äußerungen über Vorgesetzte und Kollegen in vertraulichen Gesprächen unter Arbeitskollegen unter bestimmten Umständen die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen, wenn die Vertraulichkeit der Kommunikation in der Privatsphäre durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht besonders geschützt und deshalb die Nichtberücksichtigung vertraulicher Äußerungen geboten sei.

Allerdings sei dabei entscheidend, ob der Arbeitnehmer sicher davon ausgehen durfte, dass die beteiligten Kollegen die Äußerungen für sich behalten werden. Vorliegend fehlte es dafür bereits an einer besonderen persönlichen oder in anderer Weise engen Vertrauensbeziehung zwischen dem Arbeitnehmer und dem betroffenen Kollegen. (sf)

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