Liebe Nutzer,

für ein optimales und schnelleres Benutzererlebnis wird als Alternative zum von Ihnen verwendeten Internet Explorer der Browser Microsoft Edge empfohlen. Microsoft stellt den Support für den Internet Explorer aus Sicherheitsgründen zum 15. Juni 2022 ein. Für weitere Informationen können Sie sich auf der Seite von -> Microsoft informieren.

Liebe Grüße,
Ihr ifb-Team

Fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung – trotz Einstellung des Ermittlungsverfahrens

Das Arbeitsgericht Solingen hat einen Lagerarbeiter ohne eigene Beweisaufnahme und trotz Einstellung eines Ermittlungsverfahrens mit „100-prozentiger Überzeugung“ der sexuellen Belästigung überführt gesehen und dessen fristlose Kündigung bestätigt. In seiner Entscheidung ging es auch um einen unterschiedlichen Bewertungsmaßstab im Strafrecht und im Arbeitsrecht.

Arbeitsgericht Solingen, Urteil vom 11.04.2024, 2 Ca 1497/23

ifb-Logo
Redaktion
Stand:  8.7.2024
Lesezeit:  01:45 min
Teilen: 

Das ist passiert

Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit einer fristlosen Kündigung. In einem Zeitraum von wenigen Tagen soll der Arbeitnehmer eine neue Auszubildende in steigernder Intensität sexuell belästigt haben, bis hin zum erzwungenen Oralverkehr. Er streitet sämtliche Tatvorwürfe ab und behauptet, die Auszubildende habe ihn bedrängt und wolle sich wegen dessen Zurückweisung mit frei erfundenen Lügen an ihm rächen. Die Arbeitgeberin ließ sämtliche Vorwürfe intern durch einen eigenen Sicherheitsdienst untersuchen, der mit Beteiligten und Zeugen Interviews führte und kam so zu dem Schluss, der Version der Auszubildenden zu glauben. Daraufhin hörte sie den Betriebsrat unter Vorlage sämtlicher Ergebnisse der internen Untersuchung zu einer beabsichtigen fristlosen Kündigung und einer hilfsweisen fristgerechten Kündigung an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung, weil die Verdachtsmomente gegen den Kläger aus seiner Sicht nicht nachvollziehbar und die Beweislage mangelhaft wären. Die Arbeitgeberin kündigte dem Kläger dennoch außerordentlich und hilfsweise etwas später ordentlich. Dagegen erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage und zeigte die Auszubildende wegen übler Nachrede an. Die Staatsanwaltschaft ermittelte daraufhin sowohl gegen die Auszubildende als auch gegen den Kläger und stellte am Ende die Ermittlungen ein. Im Einstellungsbeschluss schrieb die Staatsanwältin, die Auszubildende habe in dem Geschehen „kooperiert“. Ein vorsätzliches Handeln gegen den Willen der Auszubildenden wäre nicht nachweisbar.

Das entschied das Gericht

Das Gericht wies die Kündigungsschutzklage als unbegründet zurück und bestätigte die fristlose Kündigung durch die Beklagte wegen erwiesenen Tatvorwurfs der sexuellen Belästigung. Auch ohne eigene Beweisaufnahme zeigte sich das Gericht „zu 100 Prozent“ davon überzeugt, dass der Kläger in mindestens fünf Fällen die Auszubildende sexuell belästigt habe. Bei Vorliegen offenkundiger Widersprüche im Klägervorbringen, erheblicher Ablenkungsmanöver und greifbarer Schutzbehauptungen bedürfe es auch keines Zeugenbeweises durch Vernehmung des Opfers einer sexuellen Belästigung im Rahmen einer Vier-Augen-Situation. Eine vom Kläger bestrittene sexuelle Belästigung im Rahmen einer Vier-Augen-Situation könne als Verdachtskündigung – ohne weitere Beweisaufnahme – wirksam sein. 

Zudem stellte das Gericht fest, dass die Kündig sogar nach dem eigenen Vorbringen des Klägers gerechtfertigt war. Denn nach dessen eigenem Vortrag im Prozess sei es schon vorher zu einer „Nackenmassage“ bei der Auszubildenden im Pausenraum gekommen. Solche Nackenmassagen wären nach Schilderung des Klägers zwischen den Lagerarbeitern durchaus üblich. Das Gericht sah das freilich anders und meinte, dies sei etwas, das „für sich genommen schon merkwürdig anmutet.“ Das Gericht meinte: „Jede irgendwie geartete körperliche Intimität in einer solchen Situation auf der Arbeitsstelle stellt ein völlig unnormales, übergriffiges, absurdes und unangemessen intimes Verhalten dar. Ein solches Verhalten ist objektiv unerwünscht.“ Im Falle der Auszubildenden läge darin eine sexuelle Belästigung, und zwar unabhängig davon, ob der Kläger die Unerwünschtheit der Nackenmassage überhaupt habe erkennen können. Denn bei einer sexuellen Belästigung komme es im Arbeitsrecht – anders als im Strafrecht – nicht auf den geäußerten entgegenstehenden Willen des Opfers und somit nicht auf eine Erkennbarkeit für den Täter an. Die Auszubildende habe sich diesem Geschehen schon alleine aus dem Machtgefälle nicht widersetzen können. Im Arbeitsverhältnis komme es bei der Einordnung einer sexuellen Belästigung immer entscheidend auf das vorhandene Machtgefälle zwischen Täter und Opfer an. Jede sexuelle Belästigung sei grundsätzlich und ohne vorangegangene Abmahnung geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Auf die Schwere der Belästigung komme es nicht an. 

Bedeutung für die Praxis

Ein Betriebsrat ist weder Staatsanwalt noch Gericht. Und dennoch muss er sich im Rahmen der Anhörung bei Kündigungen wegen möglicher sexueller Belästigung mit einem potenziellen Tatgeschehen auseinandersetzen. Ganz sicher einer der unerfreulichsten Aspekte der Betriebsratsarbeit, darum beneidet einen keiner. Und dann musste sich der Betriebsrat im vorliegenden Fall vom Gericht auch noch sagen lassen: „Warum das Gremium der Verdachtskündigung widersprochen hat, was im Übrigen bei fristlosen Kündigungen keine Option ist, bleibt unerfindlich. Eine klarere und dringendere Verdachtslage kann es bei einer Betriebsratsanhörung nicht geben.“ Womöglich ließ sich der Betriebsrat einfach nur von dem Gedanken „in dubio pro reo“ lenken: Im Zweifel für den Angeklagten. Schließlich hat die Staatsanwaltschaft auch keine Klage erhoben. 
Allerdings liegt der Maßstab für sexuelle Belästigung im Arbeitsrecht vollkommen anders als bei Sexualstraftaten im Strafrecht. Für eine sexuelle Belästigung im Arbeitsrecht ist nicht einmal Vorsatz erforderlich. Im Grunde wohnt am Arbeitsplatz jeder körperlichen Berührung zumindest die Gefahr eines unerwünschten, sexuell bestimmten Verhaltens inne. 
Ob der Betriebsrat in diesem schwierigen Fall mit seinem Widerspruch richtig lag oder nicht, ist kaum eindeutig zu beantworten. Was würden Sie dem Gremium in einem solchen Fall raten? Schreiben Sie uns gerne Ihre Meinung an newsletter-redaktion@ifb.de
(mb)

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Seminarvorschlag