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Hat die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hier noch einen Beweiswert?

„Wenn ich ein gutes Angebot bekomme, bin ich hier sofort weg!“ Rechtfertigt eine solche Aussage die Annahme, dass ein Arbeitnehmer trotz Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Wahrheit gar nicht krank ist? Reicht das für eine fristlose Kündigung? Darüber hatte das LAG Köln zu entschieden.  

LAG Köln, Urteil vom 19.10.2023, 6 Sa 276/23

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Redaktion
Stand:  5.3.2024
Lesezeit:  02:15 min
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Das ist passiert:

Arbeitnehmer und Arbeitgeberin streiten unter anderem über die Wirksamkeit von Kündigungen. Der Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin, einem Unternehmen, das sich mit Leistungen im Bauwesen befasst, als Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik beschäftigt.  

Am Ende eines Arbeitstages hatte der Arbeitnehmer alle zum Fahrzeug und zur Baustelle gehörenden Unterlagen in den Briefkasten des Firmengebäudes eingeworfen. Am nächsten Tag meldete er sich bei der Arbeitgeberin krank. Am darauffolgenden Tag legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. 

Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich. Das Kündigungsschreiben war auf den Tag datiert, als der Arbeitnehmer alle Unterlagen in den Briefkasten der Firmengebäudes eingeworfen hatte. Eine weitere außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung folgte.  

Mit seiner Klage machte der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit aller Kündigungen geltend. Er sei bereits am Tage des Einwurfs der Unterlagen aus Krankheitsgründen arbeitsunfähig gewesen und habe vorgehabt, am nächsten Tag zum Arzt zu gehen. Die Unterlagen habe er in den Briefkasten des Firmengebäudes eingelegt, um damit den Zugriff auf all diese Sachen für den nächsten Tag zu gewährleisten, wenn er – wie absehbar – am nächsten Tag krankgeschrieben werde. 

Die Arbeitgeberin hingegen erklärte, der Arbeitnehmer habe dem Zeugen M gegenüber geäußert, er sei „sofort weg“, wenn er ein gutes Angebot bekomme; er wolle hier nicht mehr arbeiten. Aufgrund der Arbeitsniederlegung durch Einwurf der Unterlagen in den Firmenbriefkasten sei sodann die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärt worden.  

Das zuständige Arbeitsgericht hielt die Kündigungen für unwirksam. Der Arbeitnehmer hätte seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit geltend gemacht und die Arbeitgeberin hätte nichts zu diesem Rechtfertigungsgrund vorgetragen.  

Dagegen richtet sich die Berufung der Arbeitgeberin. Zumindest für den Tag des Einwurfes der Unterlagen in den Briefkasten hätte gerade keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegen. Gleichzeitig hätte der Arbeitnehmer an jenem Tag angekündigt, er werde gehen, wenn er ein attraktives Angebot erhalte. Die Arbeitgeberin gehe nach wie vor von einem versuchten Prozessbetrug aus.

Das entschied das Gericht

Das LAG entschied: Zurecht sei das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung nicht beendet worden sei. 

Aus dem Vortrag der Arbeitgeberin könne kein unentschuldigtes Fehlen des Arbeitnehmers abgeleitet werden. Dies wäre aber eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigungen. Gemäß § 138 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht) sei vielmehr als unstreitig anzunehmen, dass der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig war. Auch bei einer fristlosen Kündigung hätte der Arbeitgeber die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die die Kündigung bedingen. Das ist der Arbeitgeberin hier nicht gelungen. 

Dies gelte zunächst für den Tag, an dem die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes ausgestellt worden war. Es ergäben sich keine hinreichenden Zweifel an dem Beweiswert dieser Bescheinigung. Dabei sei zunächst von der Regel auszugehen, der zufolge durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit als bewiesen gilt. Um deren Beweiswert zu erschüttern, wäre es für die Arbeitgeberin notwendig gewesen, Indizien vorzutragen, die für die Unrichtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sprechen könnten. Allerdings reiche nicht jedes Indiz aus, den besagten Beweiswert zu erschüttern.  

Die Tatsache, dass der Arbeitnehmer – hier zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt – in der Vergangenheit angekündigt hätte, das Arbeitsverhältnis bald beenden und zu einem Wettbewerber der Arbeitgeberin wechseln zu wollen, eigne sich nicht als Indiz zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. 

Eine solche Abkehrabsicht stehe in keinem notwendigen Kausalzusammenhang mit einer Abwesenheit vom Arbeitsplatz, solange das Beschäftigungsbedürfnis zum bisherigen Arbeitgeber noch bestehe. 

Ebenso wenig sei die Tatsache, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsunterlagen in den Briefkasten der Arbeitgeberin eingelegt hat, geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Die Darlegung des Arbeitnehmers, er habe sich unwohl gefühlt, er habe befürchtet, dass er am nächsten Tag krankheitsbedingt an der Arbeitsaufnahme gehindert sein werde und er habe deshalb die Unterlagen zurückgelassen, sei plausibel, entspräche dem Verhalten eines umsichtigen Arbeitnehmers und eigne sich daher gerade nicht als Indiz für die Annahme eines unentschuldigten Fehlens. 

Das Vorgesagte gelte entsprechend für den Tag, an dem der Arbeitnehmer nach Einwurf der Unterlagen in den Briefkasten den Betrieb verlassen hatte, und für den Folgetag. Gemäß § 5 EFZG bestehe die Verpflichtung zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst ab dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit. 

Bedeutung für die Praxis

Mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2021 hatte das Bundesarbeitsgericht den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) allein deshalb als erschüttert angesehen, weil die mit der AU-Bescheinigung erklärte Arbeitsunfähigkeit „passgenau“ die Zeit von der Eigenkündigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist abdeckte (BAG vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21). Seit dieser Entscheidung steht der Beweiswert einer AU-Bescheinigung häufiger im Mittelpunkt eines Kündigungsschutzverfahrens. Vorliegend konnte das Argument des BAG allerdings schon deshalb nicht tragen, weil hier die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arzt erteilt worden war, bevor (nicht nachdem) die Kündigung der Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer zugegangen war.  

Einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Um diese Beweiswert zu erschüttern, braucht es Tatsachen, die zu ernsthaften Zweifeln an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben. 

Dazu gehören vor allem Fälle wie diese:  

  • Der Arbeitnehmer kündigte seine Erkrankung vorher an (BAG 4.10.78).  
  • Ein Urlaubsrückflug wird bereits vor der Krankschreibung auf den Tag des Endes der Krankschreibung (LAG Hamm 8.6.05 – 18 Sa 1962/04) umgebucht. (sf) 
     

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