Liebe Nutzer,

für ein optimales und schnelleres Benutzererlebnis wird als Alternative zum von Ihnen verwendeten Internet Explorer der Browser Microsoft Edge empfohlen. Microsoft stellt den Support für den Internet Explorer aus Sicherheitsgründen zum 15. Juni 2022 ein. Für weitere Informationen können Sie sich auf der Seite von -> Microsoft informieren.

Liebe Grüße,
Ihr ifb-Team

Was ist zu tun, wenn der Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttert ist?

Bisweilen kommt es vor, dass ein Arbeitnehmer unmittelbar nach einer Kündigung eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreicht, die passgenau die noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt. Die Bescheinigung dient in diesem Fall nur noch eingeschränkt dem Beweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Was muss der Arbeitnehmer vortragen, um zu beweisen, dass er wirklich krank war? Das LAG Mecklenburg-Vorpommern gibt konkrete Hinweise.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 07.05.2024 – 5 Sa 98/23

Stand:  22.7.2024
Teilen: 

Das ist passiert

Der Arbeitnehmer war als Fleischer bei der Arbeitgeberin beschäftigt, die Wurst- und Schinkenprodukte herstellt. Er kündigte sein Arbeitsverhältnis und streitet mit der Arbeitgeberin noch über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Seit 2021 arbeitete der Arbeitnehmer im Schichtdienst als stellvertretender Abteilungsleiter der Pökelei. In der Zeit vom 10.10.2022 bis einschließlich 09.12. 2022 war er immer wieder arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 09.12.2022, kündigte der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 15.01.2023. Ausweislich einer weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) war der Arbeitnehmer ab dem 13.12.2022 bis zum 06.01.2023 krank. Der Hausarzt bescheinigte ihm in der Diagnose Anpassungsstörungen und eine Somatoforme Störung („Psychosomatische Störung o.n.A.“). Die verschriebenen Medikamente nahm der Arbeitnehmer nicht. Ebenso wenig machte er von der Überweisung an einen Psychiater Gebrauch. 

Der Hausarzt attestierte dem Arbeitnehmer in der Folgezeit die anhaltende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bis zum 16.1.2023 aus. Am Montag, den 16.01.2023, trat der Arbeitnehmer eine neue Beschäftigung im Lebensmitteleinzelhandel an.
Die Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung ab dem 13.12.2022 bis Ende Dezember 2022. Sie bestreitet, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Bei Übergabe des Kündigungsschreibens am 12.12.2022 habe es keinerlei Anzeichen für eine Erkrankung gegeben. 

Mit seiner Klage verfolgte der Arbeitnehmer den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall weiter. Die Arbeit in der Pökelei sei körperlich schwer und zudem im Schichtdienst zu leisten gewesen. In der Folge hätte er unter Schlafstörungen, Magenbeschwerden, Schwindel und Atembeschwerden gelitten. Das sei auch der Grund, weshalb er das Arbeitsverhältnis gekündigt hätte. Das Arbeitsgericht entschied zu dessen Gunsten. Hiergegen wendet sich die Arbeitgeberin mit ihrer Berufung. 

Das entschied das Gericht

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts über den 12.12.2022 hinaus bis zum 31.12.2022, so das Gericht.
Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung gehindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so habe er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG). Der Arbeitnehmer müsse beweisen, dass er arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Die ordnungsgemäß ausgestellte AU-Bescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG sei das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. 

Der Beweiswert einer AU-Bescheinigung sei allerdings regelmäßig erschüttert, wenn ein Arbeitnehmer zeitgleich mit seiner Kündigung eine Bescheinigung einreicht, die passgenau die noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdecke. Ob für die Dauer der Kündigungsfrist eine oder mehrere Bescheinigungen vorgelegt werden, sei unerheblich.

In der Folge sei es wiederum Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu sei substantiierter Vortrag z. B. dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer müsse also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden hätten. Dieser Aufgabe sei der Arbeitnehmer nicht nachgekommen. Die AU-Bescheinigungen hätten passgenau den Zeitraum der Kündigungsfrist abgedeckt. Die Folgebescheinigung reiche zwar noch einen Tag darüber hinaus. Der Arbeitnehmer habe jedoch den Dienst bei dem neuen Arbeitgeber bereits am 16.01.2023 unmittelbar im Anschluss an das bisherige Arbeitsverhältnis angetreten. Umstände, die dennoch für eine Arbeitsunfähigkeit sprechen könnten, beispielsweise ein Unfall o. ä., lägen nicht vor. Bei Übergabe des Kündigungsschreibens zeigte der Arbeitnehmer keine äußerlich erkennbaren Krankheitssymptome. 

Der Arbeitnehmer habe zwar die ärztlichen Diagnosen (Anpassungsstörungen und Somatoforme Störung), offengelegt, jedoch weder konkrete gesundheitliche Einschränkungen, die diesen Diagnosen entsprechen, vorgetragen noch deren Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bezogen auf die geschuldete Tätigkeit dargestellt. Auch nicht zumindest laienhaft. 

Einen Zusammenhang mit früheren Erkrankungen gäbe es nicht. Die obigen Diagnosen decken oder überschneiden sich nicht mit den vom Arbeitnehmer angegebenen vorangegangenen Diagnosen, die in der Zeit von Anfang Oktober bis Anfang Dezember zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt haben. 

Die von dem behandelnden Arzt verordneten Medikamente und die Überweisung an einen Psychiater lassen zwar darauf schließen, dass dieser die Erkrankung als schwerwiegend eingeschätzt habe. Dass der Arbeitnehmer diese Medikamente ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt nicht eingenommen und unabhängig davon auch nicht einen – ggf. längerfristigen – Termin bei einem Facharzt vereinbart habe, wecke hingegen Zweifel an einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Diese Zweifel hat der Arbeitnehmer nicht ausgeräumt. 

Hinweis für die Praxis

Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits über einen ähnlichen Fall zu entscheiden und hat zum Beweiswert der AU-Bescheinigung Stellung bezogen:

Der Beweiswert einer AU-Bescheinigung könne erschüttert sein, wenn der Arbeitnehmer eine nach Zugang der Kündigung ausgestellte Bescheinigung vorlege und nach den Gesamtumständen des zu würdigenden Einzelfalls Indizien bestünden, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen. Hierauf würde insbesondere eine zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigungsfrist und Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hindeuten. Für die Beurteilung des Beweiswerts einer solchen Bescheinigung, die nach Ausspruch einer Kündigung ausgestellt worden ist, sei nicht entscheidend, ob die Kündigung vom Arbeitgeber erklärt wurde oder es sich um eine Eigenkündigung des Arbeitnehmers handle (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2023; AZ.: 5 AZR 137/23). 

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern schloss sich im vorliegenden Fall der Meinung des Bundesarbeitsgerichts an. Die Hinweise dazu, was Arbeitnehmer vortragen müssen, um ihre Krankheit nachzuweisen, auch wenn der Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttert ist, sind hilfreich. Denn nicht in jedem ähnlich gelagerten Fall ist dem Arbeitnehmer Böswilligkeit zu unterstellen (sf).
 

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Seminarvorschlag