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Der Arbeitnehmer hat gegen seinen Arbeitgeber einen Individualanspruch auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements.
Landesarbeitsgericht Hamm 15. Kammer, Urteil vom 13.11.2014 - 15 Sa 979/14
Der bei der Beklagten langjährig beschäftigte Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 70.
Der Kläger war seit dem 19.05.2012 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Er leidet unter einer Reihe von Einschränkungen seiner Leistungsfähigkeit, u. a. auch einer Einschränkung seiner kognitiven Fähigkeiten, die es ihm nach eigener Einschätzung unmöglich machen, ein Präventionsverfahren bzw. betriebliches Eingliederungsmanagement ohne seinen Rechtsanwalt durchzuführen.
Mit Schreiben vom 08.01.2014 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwalt U, an die Beklagte und verlangte die Einleitung/Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements. Hierauf teilte die Beklagte per E-Mail vom 09.01.2014 mit, dass am folgenden Tag ein BEM-Gespräch mit dem Kläger stattfinden solle unter Beteiligung auch seiner Ehefrau, des Betriebsrats sowie der Schwerbehindertenvertretung. Zugleich teilte die Beklagte mit, dass sie kein BEM-Gespräch unter Beteiligung des Prozessbevollmächtigten des Klägers führen werde.
Zu einem BEM-Gespräch kam es anschließend nicht mehr.
Mit seiner am 29.01.2014 eingereichten Klage hat der Kläger von der Beklagten die Durchführung eines Präventionsverfahrens und eines betrieblichen Eingliederungsmanagements im Beistand seines Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt U begehrt. Er hat gemeint, die Verfahren hätten ausschließlich in Anwesenheit seines Rechtsanwaltes stattzufinden, da er angesichts seiner Erkrankung und seiner kognitiven Einschränkung nicht hinreichend in der Lage sei zu einer eigenständigen umfassenden Vertretung.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass ein Rechtsschutzbedürfnis auf Durchführung eines BEM-Gesprächs nicht bestehe, da der Kläger nach entsprechender Einladung die Teilnahme verweigert habe. Ein Anspruch auf Durchführung eines BEM-Gesprächs in Gegenwart eines Anwalts bestehe ebenso wenig.
1. Der Arbeitnehmer hat gegen seinen Arbeitgeber einen Individualanspruch auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements. Dieser Anspruch folgt zwar nicht ohne weiteres aus der öffentlich-rechtlichen Norm des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, jedoch aus § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. § 84 Abs. 2 SGB IX als Konkretisierung der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.
2. Ein Anspruch auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zum BEM-Verfahren besteht für den Arbeitnehmer mangels gesetzlicher Regelung und unter Berücksichtigung des nicht formalisierten BEM-Verfahrens nicht.
Vorliegend hat die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements erfüllt.
Die Beklagte bot dem Kläger durch E-Mail vom 09.01.2014 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers BEM-Gespräch für den 10.01.2014 um 15:00 Uhr an, zu dem sie neben dem Kläger dessen Ehefrau, den Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung eingeladen hatte. Der Kläger hat dem BEM nicht zugestimmt, weil die Beklagte sich nicht bereit erklärt hatte, ein BEM-Gespräch unter Teilnahme des Prozessbevollmächtigten des Klägers zu führen. Der Kläger nahm den angebotenen Termin nicht wahr.
Die Einladung der Beklagten vom 09.01.2014 genügte den gesetzlichen Mindestanforderungen an ein betriebliches Eingliederungsmanagement. Gemäß § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX sind neben der betroffenen Person zum BEM-Verfahren als Dritte hinzuzuziehen der Betriebsrat und im Falle des schwerbehinderten Klägers die Schwerbehindertenvertretung. Dies ist geschehen.
Ein Anspruch auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zum BEM-Verfahren besteht zu Gunsten des Klägers nicht.
Zum einen findet sich in § 84 Abs. 2 SGB IX kein Hinweis auf zusätzliche Beteiligte des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Das ermöglicht es den Beteiligten zwar durchaus, dem Arbeitnehmer die Hinzuziehung einer Person seines Vertrauens, auch (s)eines Rechtsanwalts, zu gestatten, aber es existiert insoweit kein durchsetzbarer Anspruch.
Es ist nicht erkennbar, warum es im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu Gunsten des Arbeitnehmers der Teilnahme eines Rechtsanwalts bedarf. Der Arbeitnehmer kann in jeder Situation des betrieblichen Eingliederungsmanagements das nicht formalisierte Verfahren verlassen.
Der Anspruch auf Hinzuziehung des Rechtsanwalts U besteht schließlich auch nicht aufgrund behaupteter, konkret nicht ausgeführter kognitiver Einschränkungen des Klägers. Es geht in einem Gespräch zum betrieblichen Eingliederungsmanagement weder um grundlegende, existenzielle Angelegenheiten, noch ist davon auszugehen, dass das Gespräch über längere Zeiträume hinweg geführt wird. Daher darf unterstellt werden, dass sachkundige Beteiligte des Verfahrens wie (Arbeits-) Mediziner besonders geeignet sind, den gesetzlich beauftragten Klärungsprozess zu fördern.
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte die zusätzliche Teilnahme der Ehefrau des Klägers, die bei einer zeitlichen Gesprächsüberforderung des Klägers unterstützend eingreifen könnte, ausdrücklich zugestanden hat.