„Wir brauchen in Deutschland mehr Betriebsräte. … Deshalb werden wir nicht nur die Gründung von Betriebsräten erleichtern und die Wahlverfahren vereinfachen; wir wollen auch Mut machen, dass mehr Menschen einen Betriebsrat gründen.“Diese starken Worte sprach Hubertus Heil (Bundesminister für Arbeit und Soziales) bei der Diskussion zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz Anfang Mai im Bundestag. Schauen wir uns einmal an, wie er „erleichtern“, „vereinfachen“ und „Mut machen“ will.
Wenn die Wahl schneller abläuft, bleibt weniger Zeit für „Störfeuer“ des Arbeitgebers
Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens
Das sogenannte vereinfachte Wahlverfahren war in Betrieben mit bis zu 50 Arbeitnehmern immer schon verpflichtend. Es wird nun auf Betriebe mit bis zu 100 Arbeitnehmern ausgeweitet. Bisher konnte es in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmern freiwillig durch Vereinbarung mit dem Arbeitgeber durchgeführt werden. Jetzt ist diese freiwillige Vereinbarung in Betrieben mit bis zu 200 Arbeitnehmern möglich. Kann das Ziel, vermehrt Betriebsräte zu gründen, dadurch erreicht werden?
Das sogenannte vereinfachte Wahlverfahren zeichnet sich vor allem durch verkürzte Fristen aus und nicht durch eine wirkliche Vereinfachung. Es bleibt ein komplexes Verfahren. Dadurch, dass es schneller abläuft, bleibt allenfalls weniger Zeit für „Störfeuer“ des Arbeitgebers bei Neugründungen.
Herabsetzung des Wahlalters für das aktive Wahlrecht
Künftig darf bereits den Betriebsrat wählen, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat. Denn quasi in letzter Minute wurde das Mindestalter für die Wahlberechtigung von der Vollendung des 18. Lebensjahres auf die Vollendung des 16. Lebensjahres abgesenkt. Damit bietet sich für Jüngere früh die Gelegenheit, mit der Mitbestimmung in Kontakt zu kommen. Und früh gehört zu werden, ist sicherlich ein wichtiger Schritt.
Für kleine Betriebe werden die Formalitäten des Wahlverfahrens vereinfacht.
Weniger Stützunterschriften in kleinen Betrieben
Stützunterschriften für Wahlvorschläge verfolgen das Ziel, nicht ernst gemeinte Wahlvorschläge zu verhindern. Um für kleine Betriebe die Formalitäten des Wahlverfahrens zu vereinfachen, sind in Betrieben bis 20 Beschäftigte keine Stützunterschriften mehr notwendig. In Betrieben mit mehr als 20 und bis zu 100 Wahlberechtigten erfolgt eine pauschale Absenkung auf mindestens zwei Stützunterschriften. In Betrieben mit 21 bis 100 Wahlberechtigten ist für Vorschläge, die erst auf der Wahlversammlung gemacht werden, keine Schriftform mehr erforderlich. Die erforderliche Unterstützung eines Wahlvorschlags kann in diesem Fall per Handzeichen erfolgen. Dies ist sicher ein sinnvolle und im letzten Fall auch notwendige Anpassung. Allerdings sind dies auch eher Erleichterungen in den Details des Wahlverfahrens.
Tipp: Alles zum Thema BR-Wahl
finden sie unter www.brwahl.de
Einschränkung des Anfechtungsrecht der Betriebsratswahl
Die Anfechtung durch die Wahlberechtigten ist künftig ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist, wenn nicht zuvor aus demselben Grund ordnungsgemäß Einspruch eingelegt wurde. Dies gilt nicht, wenn die anfechtenden Wahlberechtigten an der Einlegung eines Einspruchs gehindert waren. Die Anfechtung durch den Arbeitgeber ist ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist und wenn diese Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht. Hierdurch wird die Rechtssicherheit der Betriebsratswahl sicherlich gesteigert. Verwundert ist man allenfalls, dass diese Anfechtungen zuvor überhaupt möglich waren. Hier wurde wohl eher ein Fehler im System korrigiert.
Bis hierher bleibt festzustellen, dass sich für die BR-Wahl 2022 keine wirklich großen Erleichterungen und Vereinfachungen aus dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz ergeben. Wie schaut es denn mit dem „Mut machen“ für die Gründer aus?
Mit der Erhöhung auf sechs Arbeitnehmer hat man für diesen Fall auch die Ersatzmitglieder geschützt.
Erweiterung des Kündigungsschutzes bei der Einladung zur Wahlversammlung
Bislang waren die ersten drei Arbeitnehmer, die in der Einladung zur Wahlversammlung stehen, nicht ordentlich kündbar. Jetzt gilt dieser Kündigungsschutz für die ersten sechs Arbeitnehmer. Das macht Sinn. In der Praxis stellen die drei Einladenden häufig auch den aus drei Personen bestehenden Wahlvorstand. Fällt aber eine der drei Personen etwa wegen Krankheit aus oder wird eingeschüchtert, besteht die Gefahr, dass die Betriebsratswahl zunächst nicht erfolgreich durchgeführt werden kann, da nicht mehr die erforderliche Anzahl an Wahlvorstandsmitgliedern vorhanden ist. Mit der Erhöhung auf sechs Arbeitnehmer hat man für diesen Fall auch die Ersatzmitglieder geschützt, die dann einspringen können.
Neuer Kündigungsschutz für Vorbereitungshandlungen zur BR-Wahl
Zeitlich hat sich beim Kündigungsschutz als Problem herausgestellt, dass die Beschäftigten meist schon deutlich vor der Einladung zur Wahlversammlung mit Vorbereitungshandlungen für die Betriebsratswahl beginnen. Werden diese Vorbereitungshandlungen bekannt, so können diese sogenannten Vorfeld-Initiatoren Ziel von Behinderungsmaßnahmen werden. Mit der Änderung des Kündigungsschutzgesetzes erhalten die Vorfeld-Initiatoren daher erstmals einen dreimonatigen Kündigungsschutz vor personen- und verhaltensbedingten ordentlichen Kündigungen. Das gilt aber nur, wenn sie eine öffentlich beglaubigte Erklärung abgegeben haben, dass sie einen Betriebsrat gründen möchten (kostenpflichtig bei einem Notar), und auch entsprechende Vorbereitungshandlungen dafür unternommen haben. Allerdings gilt der Kündigungsschutz nicht für betriebsbedingte Kündigungen, damit sich bei einem bereits bekannten Personalabbau nicht plötzlich eine unbegrenzte Anzahl von Arbeitnehmern bei der Vorbereitung der Wahl engagieren. Bei außerordentlichen Kündigungen der Vorfeld-Initiatoren muss die vorherige Zustimmung des Arbeitsgerichtes eingeholt werden.
Schwerpunktstaatsanwaltschaften hätten gründungswilligen Arbeitnehmern mehr Mut machen können.
Die Ausweitung des Kündigungsschutzes für die Einladenden zur Wahlversammlung und der neue Schutz der Vorfeld-Initiatoren ist eine Verbesserung zur vorherigen Situation, diese Regelungen schließen offensichtlich praxisrelevante Lücken. Mut zur Gründung eines Betriebsrats machen sie dennoch nicht. So lange Arbeitgeber, die eine Betriebsratsgründung behindern, in der Praxis keine Konsequenzen fürchten müssen – so lange müssen Arbeitnehmer, die einen Betriebsrat gründen wollen, diesen Mut schon selbst mitbringen, wenn sie sich aus der „Deckung“ wagen. Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die einer Wahlbehinderung nach § 119 BetrVG wirklich nachgehen, hätten gründungswilligen Arbeitnehmern mehr Mut machen können.