Mehr als jeder vierte Mensch in Deutschland leidet pro Jahr an einer psychischen Erkrankung (RKI, 2016). In den Krankheitsstatistiken der Krankenkassen konkurrieren psychische Erkrankungen mit den Skelett- und Muskelerkrankungen um Platz 2 der häufigsten Krankschreibungen. Die Fehlzeiten bei psychischen Erkrankungen sind vergleichsweise lang und rangieren im Schnitt zwischen 4 Wochen und mehreren Monaten.
Immer noch ein Tabu
Gleichzeitig gelten psychische Erkrankungen immer noch in vielen Unternehmen als Tabu. Die Unsicherheit im Umgang mit Betroffenen ist groß, das Stigma nach wie vor auch.
Viele Betroffene wünschen sich Akzeptanz und Zuspruch, befürchten aber negative Reaktionen oder als schwach und nicht leistungsfähig zu gelten.
Umgekehrt: Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, sagen viele Kollegen oder Vorgesetzte lieber nichts.
Erste Hilfe gerade bei psychischen Belastungen entscheidend
Psychische Belastungen und Gesundheitsprobleme entwickeln sich meist über einen längeren Zeitraum. Wie so vieles werden sie in der Regel nicht besser, wenn man sie ignoriert. Im Gegenteil, die Gesundung und Erholung ist oftmals deutlich schwieriger, je länger gewartet wird. Umgekehrt stellt sich auch bei psychischen Erkrankungen der Behandlungserfolg häufig deutlich schneller ein, je frühzeitiger die Behandlung erfolgt.
Eigentlich wäre es also wichtig, frühzeitig zu intervenieren und ggf. Beratungsstellen und andere Hilfsangebote frühzeitig zu nutzen.
Warnsignale erkennen
Psychische Gesundheitsprobleme sind oftmals weniger auffällig als beispielsweise ein Herzinfarkt oder eine Bewusstlosigkeit. Oftmals bemerkt man sie eher daran, dass Menschen sich verändern, vielleicht bestimmte Dinge nicht mehr tun. Dass der fröhliche und hilfsbereite Kollege plötzlich still und zurückgezogen ist. Das die besonders pflichtbewusste Kollegin ihre Arbeit vernachlässigt und ihr ungewohnte Fehler unterlaufen. Dass der immer latent gestresste aber bisher freundliche Kollege plötzlich reizbar und ausfallend wird oder die neue Kollegin sich immer in bestimmten Situationen krank meldet. Besteht der Eindruck, dass es einem Kollegen nicht gut geht, gilt ähnlich wie bei der körperlichen Ersten Hilfe der Grundsatz: Richtig falsch ist nur, nichts zu tun.
Wie kann Erste Hilfe bei psychischen Belastungen aussehen?
1. Hingucken, hinhören, reagieren.
Der erste Schritt ist, die Situation nicht zu ignorieren, sondern offen und unvoreingenommen ins Gespräch zu kommen, ggf. im Akutfall beizustehen. Zu fragen, wie es der Person geht, evtl. auch die Veränderungen, die man bemerkt hat, anzusprechen. Dabei gilt: Es ist wichtiger, einfühlsam zu sein, als zu 100% die richtigen Worte zu finden.
2. Unterstützung und Informationen anbieten
Oftmals ist schon das unvoreingenommene Zuhören eine große emotionale Unterstützung für die Betroffenen. Darüber hinaus können auch Informationen zu psychischen Erkrankungen oder praktische Unterstützung bei der Suche nach weiteren Unterstützungsangeboten hilfreich sein. Wichtig dabei: Der Betroffene entscheidet selbst, ob er das möchte.
3. Ressourcen aktivieren
Neben weiterführenden Informationen und Unterstützungsmöglichkeiten kann auch im Gespräch schon die Aktivierung von Ressourcen entlastend wirken. Dazu gehört z.B. die Frage, wer aus dem privaten Umfeld entlasten oder helfen könnte, aber auch was in früheren belastenden Situationen schon einmal gut getan oder geholfen hat.
Was kann speziell der Betriebsrat tun?
1. Arbeitgeber einfordern
Seit 2013 ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen und die Ableitung geeigneter Maßnahmen Pflicht.
2. Zur Enttabuisierung beitragen
Je öffentlicher und unvoreingenommener mit dem Thema psychische Belastungen und Erkrankungen im Unternehmen umgegangen wird, desto geringer wird die Hürde für Betroffene, sich mitzuteilen und frühzeitig Hilfe zu suchen. Dazu beitragen können z.B. Gesundheitstage, aber auch spezielle Informationen durch den BR oder Berichte von Betroffenen. Alles, was dazu beiträgt, das Thema sichtbar zu machen und dafür zu sensibilisieren.
3. Kompetenter Ansprechpartner sein
Durch unvoreingenommenen Umgang und professionelle Gesprächsführung kann der Betriebsrat zum Ansprechpartner für das Thema psychische Gesundheit werden. Er kann Betroffene durch Informationen und Netzwerke bei der Suche nach weiterführenden Hilfsangeboten unterstützen. Und er kann Mitarbeiter beraten, denen Veränderungen an ihren Kollegen auffallen und die nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen.