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Arbeitsunfähig krank mal zwei – wann ist der Beweiswert eines ärztlichen Attestes erschüttert?

Die ordnungsgemäß ausgestellte AU-Bescheinigung ist das wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Hinreichend gewichtige Indizien können den Beweiswert der Bescheinigung erschüttern. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sich an eine erste Arbeitsverhinderung im engen zeitlichen Zusammenhang eine weitere Arbeitsunfähigkeit anschließt. Über einen solchen Fall hatte das LAG Sachsen zu entscheiden. 

LAG Sachsen, Urteil vom 20.09.2024, 4 Sa 241/22

Stand:  25.2.2025
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Das ist passiert

Der Arbeitnehmer streitet mit der Arbeitgeberin über einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum von sechs Wochen. 

Der Arbeitnehmer kündigte das Arbeitsverhältnis zum 15.08.2021. Im Zeitraum vom 24.02.2021 bis 31.03.2021 war er arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung) der behandelnden Ärztin stellte die Diagnose: F41.0G. Vom 26.02.2021 bis 18.03.2021 befand sich der Arbeitnehmer in stationärer Behandlung. Es folgte eine teilstationäre Behandlung vom 22.03.2021 bis 28.05.2021. Ab dem 31.05.2021 war der Arbeitnehmer erneut arbeitsunfähig erkrankt.

Die Arbeitgeberin forderte im Zusammenhang mit der erneuten Ersterkrankung ab dem 31.05.2021 die Vorlage geeigneter Nachweise in Form ärztlicher Atteste bzw. Diagnosen. Daraufhin benannte der Arbeitnehmer den Diagnoseschlüssel F41.0 für die Arbeitsunfähigkeit v. 24.02.2021 bis 28.05.2021 und ab dem 31.05.2021 den Diagnoseschlüssel M54.5.

Nachdem die Arbeitgeberin für die Zeit vom 31.05.2021 bis zum 09.07.2021 dennoch keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leistete, erhob der Arbeitnehmer Klage vor dem zuständigen Arbeitsgericht. 

Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, es bestehe kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, denn bei der Erkrankung ab dem 24.02.2021 und der Erkrankung ab dem 31.05.2021 handele sich um einen einheitlichen Verhinderungsfall. 

Das Arbeitsgericht stellte fest, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall habe. Dagegen wendet sich die Arbeitgeberin mit ihrer Berufung. 

Das entschied das Gericht

Der Arbeitnehmer hat für die Zeit vom 31.05.2021 bis 09.07.2021 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs.1 Satz 1 EFZG, so das Gericht. 

Zwar sei der Beweiswert der ärztlichen Erstbescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit vom 31.05.2021 sowie der sich anschließenden Folgebescheinigung erschüttert. Dies folge bereits aus dem Umstand, dass zwischen dem Ende der bis zum 28.05.2021 (Freitag) andauernden Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der teilstationären Unterbringung im Krankenhaus und der am 31.05.2021 (Montag) durch die behandelnde Ärztin attestierten neuerlichen Arbeitsverhinderung lediglich ein Wochenende lag. Zu Recht hätte die Arbeitgeberin daher das Vorliegen eines abermaligen Entgeltfortzahlungsanspruchs mit Erfolg anzweifeln können. Der Arbeitnehmer habe jedoch in ausreichendem Umfang Tatsachen geschildert, die für eine akut aufgetretene Neuerkrankung sprechen und als Zeugin hierzu die von der Schweigepflicht entbundene behandelnde Hausärztin benannt. Die vom Arbeitnehmer geschilderten Umstände der Neuerkrankung, die vorgelegten ärztlichen Unterlagen und die Einvernahme der behandelnden Hausärztin als Zeugin hätten im Rahmen der erfolgten freien Beweiswürdigung durch die Berufungskammer vorliegend den Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung im streitigen Zeitraum bestätigt.

Dazu führte das Gericht unter anderem ausführlich aus wie folgt: Ein Arbeitnehmer habe nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 6 Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. 

Nach allgemeinen Grundsätzen trage der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen. Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit werde in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. 

Der Arbeitgeber könne den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlege und im Bestreitensfall beweise, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Der Arbeitgeber habe in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen und sei nur in eingeschränktem Maß in der Lage,Indiztatsachen vorzutragen. Berufe er sich auf eine Fortsetzungserkrankung im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, seien ihm daher hinsichtlich der ihm treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen. 
Ein hinreichend gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls und damit für die mögliche Erschütterung des Beweiswertes der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei regelmäßig dann gegeben, wenn sich an eine erste Arbeitsverhinderung im engen zeitlichen Zusammenhang, eine dem Arbeitnehmer im Wege der Erstbescheinigung attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit anschließt. Dies gelte, wenn die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt. 

Vorliegend war dies der Fall, mit der Folge, dass der Beweiswert der ärztlichen Erstbescheinigung vom 31.05.2021 und der Folgebescheinigung erschüttert war. In Verbindung mit den zunächst fehlenden Angaben des Arbeitnehmers zu den Ursachen seiner Erkrankung hätte die Arbeitgeberin daher zu Recht zunächst davon ausgehen können, dass der Arbeitnehmer – wie auch in den zurückliegenden Wochen – wegen desselben Grundleidens an der Arbeitsleistung gehindert war.

Es sei nunmehr Sache des Arbeitnehmers gewesen, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Neuerkrankung zulassen. Hierzu sei substantiierter Vortrag erforderlich z.B. dazu, welche Krankheiten vorgelegen, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden hätten und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Zumindest laienhaft müsse bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum geschildert werden, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben. Soweit sich für die Behauptung, aufgrund dieser Einschränkungen arbeitsunfähig gewesen zu sein, auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte berufen werde, sei dieser Beweisantritt nur ausreichend, wenn die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinden werden.

Ausgehend davon hatte der Arbeitnehmer zunächst in einem ausreichenden Umfang seine konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen geschildert. So habe er im Rahmen der Berufungserwiderung vorgetragen, dass er beim Ausräumen des Kühlschrankes am Sonntag, dem 30.05.2021 einen plötzlichen Schmerz und eine Blockade im Rücken verspürte, die vorher nicht vorhanden war. Daraufhin suchte er am Montag, den 31.05.2021 die behandelnde Ärztin auf. Als Beweis der vorgetragenen Behauptungen wurde die behandelnde Ärztin als Zeugin benannt. 

Dem Arbeitnehmer sei mit der Einvernahme der behandelnden Ärztin und der Vorlage des an die Zeugin gerichteten Entlassungsberichtes des Krankenhauses vom 02.06.2021 der Nachweis gelungen, dass er am 28.05.2021 in einem arbeitsfähigen Zustand aus der teilstationären Behandlung seiner Suchterkrankung nach Hause entlassen wurde und am 30.05.2021 neue, bisher nicht bekannte Beschwerden am Rücken aufgetreten seien, aufgrund derer er ab dem 31.05.2021 erneut aufgrund einer Neuerkrankung arbeitsunfähig erkrankt war.

Die Diagnose akuter Rückenbeschwerden hätte sich im Nachgang auch als richtig erwiesen. Das MRT konnte einen leichten Bandscheibenvorfall und damit die vom Arbeitnehmer geschilderten Beschwerden bestätigen. Der Arbeitnehmer hätte im Ergebnis einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. 

Praxistipp

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung steht bei Arbeitgebern auf dem Prüfstand. In jüngster Vergangenheit häufen sich gerichtliche Verfahren, mit denen Arbeitgeber die von Ärzten ausgestellten Bescheinigungen in Frage stellen. Zumeist wird die Arbeitsunfähigkeit angezweifelt, wenn sie mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zusammenfällt. So war dies auch in der vom LAG Sachsen häufig zitierten Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2021 (BAG, Urteil vom 08.09.2021, 5 AZR 149/21). Der Arbeitnehmer war ab dem Tag seiner Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben. Das BAG entschied, dass dies den Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttern kann, insbesondere dann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit genau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst. Diese grundlegende Entscheidung des BAG findet sich zum Nachlesen auch bei uns: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Im Zweifel Nachweis erbringen. (sf)

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