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Das betriebliche Eingliederungsmanagement kennt kein Mindesthaltbarkeitsdatum

Ein Arbeitgeber muss die Initiative für ein erneutes betriebliches Eingliederungsmanagement ergreifen, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines solchen Verfahrens wiederum länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, ist eine krankheitsbedingte Kündigung unwirksam.  

BAG, Urteil vom 18. November 2021, 2 AZR 138/21 

Stand:  31.5.2022
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Das ist passiert

Arbeitnehmer und Arbeitgeberin streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung.  

Nachdem der Arbeitnehmer, der als Produktionshelfer bei der Arbeitgeberin beschäftigt war, drei Jahre in Folge an 40 und mehr Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt war, führte er mit der Arbeitgeberin ein Gespräch zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM). In der Folgezeit war der Arbeitnehmer erneut an 79 Arbeitstagen arbeitsunfähig krank. 

Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer, ohne ein erneutes BEM durchzuführen. Der Arbeitnehmer hält die Kündigung für nicht sozial gerechtfertigt.  

Das entschied das Gericht

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Kündigung unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt ist, so das Gericht. Die Arbeitgeberin hätte nicht dargelegt, dass keine zumutbare Möglichkeit bestand, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden. 

Mit seiner Entscheidung stellte das Gericht insbesondere klar, dass die Arbeitgeberin nach § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet gewesen wäre, die Initiative für ein erneutes BEM zu ergreifen, selbst wenn sie bereits ein BEM mit dem Arbeitnehmer durchgeführt hat und dieses abgeschlossen ist. Dieser Verpflichtung sei sie nicht nachgekommen.  

Sowohl der Wortlaut des Gesetzes als auch der Sinn und Zweck des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sprächen dafür, dass ein erneut BEM durchzuführen ist, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines BEM wiederum länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Dies gälte auch dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten BEM noch kein Jahr vergangen ist.  

Die gesetzliche Vorschrift könne nicht so interpretiert werden, dass für ein einmal durchgeführtes BEM ein „Mindesthaltbarkeitsdatum“ von einem Jahr gelte.  

Ziel sei es, festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob es Möglichkeiten gibt, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden bzw. erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen. Es ginge darum, eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern.  

Im Rahmen eines BEM können nur Erkrankungen berücksichtigt werden, die bis zu diesem Zeitpunkt für die Arbeitsunfähigkeit ursächlich waren. Dies gelte ebenso für die bis dahin maßgeblichen betrieblichen Abläufe und Verhältnisse. Sowohl die Krankheitsursachen als auch die betrieblichen Umstände oder etwaige einschlägige Heilverfahren können sich im Laufe der Zeit geändert haben. Ob das der Fall ist und ob sich daraus ein neuer Ansatz für Maßnahmen zur Vorbeugung vor weiteren Zeiten von Arbeitsunfähigkeit ergibt, kann grundsätzlich nur in einem neuerlichen BEM geklärt werden.  

Mit seiner Entscheidung hat das Gericht auch Hinweise dazu gegeben, wann - unter anderem - ein BEM als abgeschlossen betrachtet werden kann:  

Das Gesetz regle das BEM nur rahmenmäßig als einen verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll, ohne explizit vorzusehen, wann der Suchprozess abgeschlossen ist. 

Ein BEM sei jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, dass der Suchprozess durchgeführt ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll. Dies gelte entsprechend, wenn allein der Arbeitnehmer seine Zustimmung für die weitere Durchführung nicht erteilt. 

Der Arbeitgeber könne den Suchprozess grundsätzlich nicht einseitig beenden. Gibt es aus seiner Sicht keine Ansätze mehr für zielführende Präventionsmaßnahmen, sei der Klärungsprozess erst dann als abgeschlossen zu betrachten, wenn auch vom Arbeitnehmer und den übrigen beteiligten Stellen keine ernsthaft weiterzuverfolgenden Ansätze für zielführende Präventionsmaßnahmen aufgezeigt wurden, ggf. sei ihnen hierzu Gelegenheit binnen bestimmter Frist zu geben.  

Einem Arbeitgeber stünde zwar die Möglichkeit offen, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass auch ein neuerliches BEM schon deshalb kein positives Ergebnis erbracht hätte, weil bereits das vorherige Verfahren keines ergeben hat und seither auch keine relevanten Veränderungen eingetreten wären. An einer solchen Darlegung der Arbeitgeberin fehlt es jedoch im vorliegenden Fall. Ein Verweis der Arbeitgeberin darauf, dass es keinen leidensgerechten Arbeitsplatz gäbe, reicht jedenfalls nicht aus.   

Praxishinweis

Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, hat der Arbeitgeber nach § 167 Absatz 2 Satz 1 SGB IX mit den zuständigen Interessenvertretungen und mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten zu prüfen, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement, kurz BEM). Durch ständige Rechtsprechung anerkannt ist, dass eine krankheitsbedingte Kündigung grundsätzlich im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ein vorheriges BEM voraussetzt. Klargestellt hat das Bundesarbeitsgericht jetzt, dass der Arbeitgeber unter den oben dargestellten Umständen auch verpflichtet ist, das BEM in einem engen zeitlichen Rahmen mehrfach durchführen. In diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis des Gerichts von Bedeutung, dass der Arbeitgeber den Suchprozess im Rahmen des BEM grundsätzlich nicht einseitig beenden kann. Im betrieblichen Alltag ist dies allerdings gängige Praxis und oft auch in den Betriebs- und Dienstvereinbarungen zum BEM verankert. Insofern besteht die Möglichkeit, dass Vereinbarungen jetzt an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anzupassen sind.  (sf)

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