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Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Anweisung, vom ersten Fehltag an ein ärztliches Attest vorzulegen?

Verhaltensregeln, die das Zusammenleben der Arbeitnehmer beeinflussen oder koordinieren, unterliegen nach § 87 Abs. Nr. 1 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats. Wie verhält es sich aber, wenn die Arbeitgeberin eine Anweisung erteilt, im Fall der Arbeitsunfähigkeit vom ersten Fehltag an ein ärztliches Attest vorzulegen?

Bundesarbeitsgericht, Entscheidung vom 15.11.2022, 1 ABR 5/22

Stand:  21.3.2023
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Das ist passiert

Der Betriebsrat streitet mit der Arbeitgeberin über ein Mitbestimmungsrecht bei Anweisungen, im Fall der Arbeitsunfähigkeit ärztliche Bescheinigungen vorzulegen.

Die Arbeitgeberin erbringt krankenhausnahe Dienstleistungen und beschäftigt etwa 1.175 Arbeitnehmer. Sie erteilte seit dem Jahr 2018 insgesamt 17 Arbeitnehmern folgende – gleichlautende – schriftliche Anordnung:

„…   in Abstimmung zwischen Ihrem Fachvorgesetzten und dem Personalleiter sind Sie ab Erhalt dieses Schreibens bis auf Widerruf dazu verpflichtet, jede Krankmeldung durch ein ärztliches Attest – vom ersten Fehltag an – im Service Center Personal vorzulegen. Bitte beachten Sie, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden, wenn Sie dieser Nachweispflicht nicht nachkommen.  …“   

Der Betriebsrat vertrat die Ansicht, bei dieser Angelegenheit habe er mitzubestimmen. Es handele sich um eine Maßnahme, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffe.

Aus diesem Grund macht der Betriebsrat gerichtlich unterschiedliche Unterlassungsansprüche geltend. Im Ergebnis sollte der Arbeitgeberin untersagt werden, Arbeitnehmer anzuweisen, bereits für den ersten Tag einer Erkrankung eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, ohne dass zwischen den Beteiligten hierüber zuvor eine – ggf. durch eine Einigungsstelle ersetzte – Einigung erzielt wurde.

Das entschied das Gericht

Die Anträge des Betriebsrats blieben erfolglos, da die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch nicht gegeben seien. Die Anordnungen der Arbeitgeberin unterfallen nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, so das Gericht.

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hätte der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Das Ordnungsverhalten sei berührt, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs ziele. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG sei das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Arbeitnehmer.

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehe allerdings nur, wenn ein kollektiver Tatbestand gegeben sei. Hierfür müsse sich eine Regelungsfrage stellen, die über eine ausschließlich einzelfallbezogene Rechtsausübung hinausgehe und kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs berühre. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG seien nur solche – das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb beeinflussenden und koordinierenden – Maßnahmen mitbestimmungspflichtig, die nicht auf individuellen Besonderheiten des einzelnen Arbeitsverhältnisses beruhen. Daher ist die der Mitbestimmung unterliegende Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens lediglich dann betroffen, wenn die auf das Ordnungsverhalten gerichtete Maßnahme des Arbeitgebers auf einer Regel oder einer über den Einzelfall hinausgehenden Handhabung beruhe.

Verlange der Arbeitgeber von Arbeitnehmern auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG in einer bestimmten Form und ggf. innerhalb einer bestimmten Frist den Nachweis jeglicher Arbeitsunfähigkeit, würde dieses Verlangen zwar grundsätzlich das Ordnungs- und nicht das – mitbestimmungsfreie – Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer betreffen. Ein für die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG notwendiger kollektiver Sachverhalt sei aber nur gegeben, wenn die entsprechenden Anordnungen des Arbeitgebers regelhaft erfolgen.

Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG stehe es grundsätzlich im Ermessen des Arbeitgebers, im Einzelfall die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits vor dem vierten Tag der Erkrankung zu verlangen. Demzufolge könne eine entsprechende Anweisung auch ausschließlich auf individuellen Besonderheiten des einzelnen Arbeitsverhältnisses beruhen.

Vollziehe der Arbeitgeber bei der Ausübung seines Bestimmungsrechts nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG hingegen eine selbst gesetzte Regel – etwa indem er das Verlangen gleichermaßen gegenüber allen Arbeitnehmern, gegenüber einer Gruppe von ihnen oder zumindest immer dann geltend macht, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind – oder liege der Ausübung dieses Rechts eine solche Regelhaftigkeit zugrunde, gestaltet er die betriebliche Ordnung in kollektiver Art und Weise.

Im Ergebnis fehle es im Streitfall an einem solchen kollektiven Sachverhalt. Es sei nicht ersichtlich, dass die 17 „Attestauflagen“ der Arbeitgeberin auf einer bestimmten Regel beruhen oder ihrer Erteilung eine Regelhaftigkeit zugrunde liege.

Ein kollektiver Bezug dieser Maßnahmen ergebe sich nicht schon aus der Gleichförmigkeit ihres Inhalts, ihrer Form und des ihnen jeweils vorausgehenden Verfahrens einer Abstimmung zwischen dem Fachvorgesetzten und dem Personalleiter. Hierfür käme es entscheidend darauf an, dass das „Ob“ einer Geltendmachung dieses Bestimmungsrechts in ihrem Unternehmen regelhaft erfolgte.

Auch die Zahl der Arbeitnehmer, die bislang angewiesen wurden, bereits für den ersten Tag krankheitsbedingten Fehlens eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, sprächen gegen eine bestimmte Regel.

Ein Verfahren, bei dem zunächst zwischen jeweils unterschiedlichen Personen ein Einvernehmen über die Geltendmachung eines Verlangens i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG erzielt werde, lege ebenso nahe, dass dieses gerade nicht regelhaft erfolge, sondern auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls bezogen gewesen sei.

Bedeutung für die Praxis

Gemäß § 5 Absatz 1 EFZG ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Gemäß § 5 Abs 1 Satz 3 EFZG ist der Arbeitgeber berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen. An besondere Voraussetzungen ist diese Berechtigung nicht gebunden, insbesondere bedarf es keiner Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch. Die Ausübung des Rechts steht im Ermessen des Arbeitgebers; solange es diskriminierungsfrei ausgeübt wird. Das Recht kann durch Einzelweisung, arbeitsvertragliche Regelung aber auch durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag umgesetzt werden (vgl. auch BAG vom 14.11.12, 5 AZR 886/11). (sf)

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