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Automobilbranche in der Krise: Webasto streicht 650 Stellen

© Betriebsrat Webasto
Stand:  5.5.2025
Lesezeit:  05:15 min
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BRV Mirco Eschrich spricht über Auswirkungen und wie es für betroffene Mitarbeiter weitergeht

Es war eine Meldung, die mit Blick auf die Krise in der Automobilbranche leider zu befürchten war: Webasto, insbesondere bekannt für die Produktion von Schiebe- und Panoramadächern sowie Standheizungen und anderen Thermosystemen sowie Batterien, baut deutschlandweit 650 Stellen ab. „Meine dunkelsten Stunden seit ich hier bin“, sagt Mirco Eschrich. Im Interview spricht der Betriebsratsvorsitzende sowie Vorsitzende des Europäischen Betriebsrats und Mitglied des Aufsichtsrates der Webasto SE darüber, wie es für die betroffenen Mitarbeiter jetzt weitergeht. Außerdem erklärt er, was ihn an so mancher Berichterstattung gestört hat und was ihm Hoffnung für die Zukunft macht. 

„Webasto baut in Deutschland 650 Stellen ab“ – Herr Eschrich, wie hart ist eine solche Schlagzeile für den Betriebsratsvorsitzenden? 

Mirco Eschrich: Es zu lesen, ist eigentlich nicht so schwer, wie man vielleicht meinen würde. Wir verhandeln bereits seit Ende Januar und konnten die Thematik schon über die letzten Wochen hinweg verdauen. Für diejenigen, die es erst erfahren haben, ist es verständlicherweise erstmal ein Schock. Nachdenklich hat mich gestimmt, dass einige interessensgeleitete Dinge verbreitet wurden. Das war teils unausgewogen und unfair, schließlich haben wir alles in unserer Macht getan, um zu guten Lösungen in dieser schwierigen Lage zu kommen. Dies war aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage alles andere als selbstverständlich und es freut mich persönlich, dass dies von den betroffenen Kolleginnen und Kollegen entsprechend angenommen wird – immerhin haben mittlerweile über 80 Prozent die Angebote unterschrieben. Wir konnten somit wohl ein für die Mitarbeiter attraktives Paket aushandeln.

Was hat Sie an der Berichterstattung besonders gestört? 

Mirco Eschrich: Da wurde so manches in den Raum geblasen, beispielsweise, dass 1.600 Menschen das Unternehmen verlassen müssen. Jetzt sind es 650, wovon 200 über Altersteilzeitregelungen oder Eigenkündigungen ausscheiden. Es sind also immer noch 450 – schlimm genug –, aber eben eine andere Hausnummer. Außerdem wurde uns vorgeworfen, der Betriebsrat sei zu unternehmensnah. Das lasse ich mal so stehen, obwohl ich mir gewünscht hätte, dass man den Dialog sucht. Viele äußern ihre Meinung, müssen den Kampf aber selbst nicht ausfechten. Natürlich kann ich mich hinstellen und der Geschäftsleitung den Kampf ansagen. Aber mal ehrlich: Steht nicht im Betriebsverfassungsgesetz etwas von Sozialpartnerschaft? Wie soll man denn mit einem Verhandlungspartner gute Lösungen finden, wenn man diesem erstmal den Krieg erklärt? Wir streiten hart in der Sache, ringen um gute Lösungen und ich stehe dafür, das Bestmögliche für die Betroffenen zu tun. Aber ich stehe auch dafür, dass man gemeinsam mehr erreicht als gegeneinander! Wenn das Unternehmen untergeht, hat niemand mehr Arbeit und das wäre das größte Desaster für alle der fast 4.000 Mitarbeiter, die wir vertreten. Wir haben in den letzten Jahren auch mit intelligenten Lösungen, wie etwa der Nutzung der natürlichen Fluktuation oder der Wandlung von Entgeltbestandteilen in Freizeit einen aktiven Abbau vermieden – jetzt war er leider unausweichlich, womit wir traurigerweise in guter Gesellschaft sind. 

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Viele äußern ihre Meinung, müssen den Kampf aber selbst nicht ausfechten.

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Warum genau sind die Restrukturierungsmaßnahmen unausweichlich? 

Mirco Eschrich: Es gibt immer interne und externe Faktoren, das haben wir auch im Interessensausgleich und Sozialplan so geschrieben. Die gesamte Automobilbranche ist in der Krise, nach Corona brach das China-Geschäft ein, außerdem hatten wir in Russland einen starken Markt, der komplett weggebrochen ist. Zudem stecken wir mitten in der Transformation, haben auf Batterie- und Ladelösungen gesetzt, wobei Letzteres nicht so gelaufen ist wie erhofft – da hätte man früher aussteigen müssen. Und, was oft vergessen wird: Die Überregulierung in der EU ist ebenso ein Thema. Nehmen wir nur mal das Lieferkettensorgfaltsgesetz oder den ganzen Aufwand rund um Datenschutz und Co. Wie viele Leute hier beschäftigt werden müssen, ohne dass dadurch der Umsatz oder das Ergebnis steigt; das ist für viele Firmen in Deutschland ein großes Problem – so auch bei uns. Unterm Strich fehlt es dann halt an Marge. 

Es ist eines der größten Abbauprogramme in der Unternehmensgeschichte – waren es komplizierte Verhandlungen? 

Mirco Eschrich: Acht Verhandlungsrunden hat es gebraucht, teils bis in die späten Abendstunden. Letztlich haben wir am 31. März gegen Mittag den Sack zu machen können. Trotz aller Anstrengungen werden 450 Menschen aktiv ihren Job verlieren. Auf die haben wir uns in den Verhandlungen konzentriert und dabei saßen uns echte Vollprofis, die schon zahlreiche Restrukturierung begleitet haben, gegenüber. Daher: Ja, es waren sehr intensive Verhandlungen. 

… gleichzeitig dürfte die Situation emotional durchaus belastend sein für den Betriebsrat.   

Mirco Eschrich: Wir kennen die Menschen halt, um die es geht. Trotz allem mussten wir das Ziel vor Augen behalten. Ich kann die Sache zwar nicht ändern, jedoch können wir unterstützen, dass die Menschen bald wieder in Lohn und Brot stehen und die Zeit bis dahin möglichst ohne allzu große Einbußen überbrückt wird. Und: Ich war in den Verhandlungen nicht allein, sondern wir waren zu siebt. Hinterher ging es um die Kommunikation, weswegen wir durch ganz Deutschland getingelt sind und überall Betreuung angeboten haben. Effektiv war ich an drei Standorten physisch. Wenn man Menschen ins Gesicht sagen muss, dass es nicht weitergeht – das waren meine dunkelsten Stunden seit ich hier bin. Oft sind es die Emotionen, die es aufzufangen gilt, da können die Konditionen noch so gut sein. Da kommen dann persönliche Schicksale auf den Tisch, die man der Papierform während den Verhandlungen nicht entnehmen kann. Gemeinsam mit meinen Betriebsratskolleginnen und -kollegen haben wir an den stärker betroffenen Standorten Tag und Nacht getan, was wir konnten, um die Situation abzumildern, so gut es eben ging.

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Manchmal sind es die Emotionen, die es aufzufangen gilt, da können die Konditionen noch so gut sein.

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Ganz konkret: Wie geht es für die Menschen, die ihren Job verlieren werden, jetzt weiter? 

Mirco Eschrich: Es läuft in drei Wellen ab, zum 1. Mai, 1. Juli und 1. November. Betroffene Mitarbeiter können in eine Transfergesellschaft wechseln, wo sie gecoacht, unterstützt und idealerweise in neue Jobs vermittelt werden. Sie bekommen dort für zwölf Monate 85 Prozent ihres bisherigen Nettogehalts, mit Kindern sind es 90 Prozent. So sind sie erstmal für ein Jahr abgesichert, zudem gibt es danach, oder wenn sie vorher was Neues finden, noch eine Abfindung. Sowohl von der Laufzeit als auch von der Höhe war es das absolute Maximum, was wir rausholen konnten, da sonst die Arbeitsagentur nicht mitgemacht hätte. Außerdem wird es für ältere Mitarbeiter ein Programm geben für den Übergang in die Rente. Gerade bei den gut 200 Leuten, die es jetzt in der ersten Welle trifft, musste alles innerhalb von zwei Wochen abgewickelt werden. Das war äußerst kräftezehrend und ohne meine Kolleginnen und Kollegen vom Betriebsausschuss wäre das nicht zu schaffen gewesen. Gemeinsam haben wir die Verhandlungen und alles danach durchgestanden und stehen es noch durch. Ohne ein gutes Gremium und engagierte Leute im Betriebsrat geht’s einfach nicht.

Kann über die kommunizierten Restrukturierungsmaßnahmen hinaus noch etwas passieren? 

Mirco Eschrich: Man darf nicht vergessen: Zunächst stand die Forderung im Raum, dass sogar 900 Leute gehen müssen, was wir glücklicherweise reduzieren konnten. Es wird jetzt noch eine zweite Phase der Verhandlung geben, wobei vornehmlich ins Headquarter in Stockdorf geschaut wird, weil hier in den letzten Jahren ein paar Stellen hauptsächlich aufgrund komplexer Organisations- und Führungsstrukturen aus dem Boden geschossen sind. Auch wird das Heizungsgeschäft voraussichtlich zu großen Teilen von Gilching nach Neubrandenburg gehen. Vielleicht wird es nochmal zwischen 150 und 200 Stellen treffen – ich sage aber bewusst Stellen und keine Menschen. Der Abbau soll weiterhin auch durch Nicht-Nachbesetzen, intelligente Lösungen und das Umlernen von Mitarbeitern vonstattengehen. Einige aktive Abbauten werden sich bei einer so großen Maßnahme leider dennoch nicht vermeiden lassen. Wenn die Restrukturierung auf Kurs bleibt, werden wir zumindest bis Ende 2028 Ruhe haben – das war einer der am härtesten erkämpften Verhandlungserfolge. Bis dahin ist die Branche hoffentlich wieder auf Kurs. 

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Ich erlebe in diesen Zeiten Mitarbeiter, die zusammenhalten und anpacken.

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Was gibt Ihnen Hoffnung, dass sich die Dinge für Webasto und die Automobilindustrie wieder zum Guten wenden werden? 

Mirco Eschrich: Wenn man optimistisch bleiben will, darf man derzeit nicht zu viel Zeitung lesen. Aber ich glaube einfach dran, dass Webasto wieder auf Erfolgskurs kommt, weil wir eine starke Substanz haben. Ich erlebe in diesen Zeiten Mitarbeiter, die zusammenhalten und anpacken. Auf dieser Basis kann der Zug wieder Fahrt aufnehmen, sobald sich ein paar Rahmenbedingungen verbessern. Unsere Produkte funktionieren, wir sind in vielem Marktführer. Vielleicht ändert sich auch ein bisschen was – die Regierung hat ja jetzt erst gewechselt. Die Hoffnung, dass es wieder bergauf geht, habe ich. Wenn ich die nicht hätte, müsste ich sowieso aufhören. (tis)

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