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US-Strafzölle und Billigimporte – Kampf um die Stahlbranche

© AdobeStock | StudioLaMagica
Stand:  20.5.2025
Lesezeit:  05:15 min
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Im Gespräch: Stephan Ahr, Konzernbetriebsratsvorsitzender der Saarstahl AG

Seit März 2025 erschweren US-Strafzölle den Export von europäischem Stahl – mitten in einer Zeit, in der Billigimporte der Branche ohnehin das Leben schwer machen. Für Unternehmen wie Saarstahl und seine Belegschaft steht viel auf dem Spiel. Im Interview spricht Konzernbetriebsratsvorsitzender Stephan Ahr über politische Versäumnisse, die Rolle des Betriebsrats in Krisenzeiten und warum ein Transfertarifvertrag im Grunde die einzige Option war.

Stephan Ahr | © Betriebsrat Saarstahl

Stepan Ahr

Stepan Ahr ist Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der Saarstahl AG, einem der größten Stahlunternehmen Deutschlands mit Sitz in Völklingen im Saarland. Darüber hinaus ist er Vorsitzender des Betriebsrats am Standort Völklingen und Mitglied im Aufsichtsrat der SHS – Stahl-Holding-Saar, der Muttergesellschaft von Saarstahl.

Seit gut zwei Monaten gelten die Strafzölle auf Stahlerzeugnisse in die USA – wie stark spürt Saarstahl die Auswirkungen? 

Stephan Ahr: Ich glaube, das Thema führt zu einer enormen Verunsicherung in der gesamten Branche. In der Vergangenheit gab es schon mal die Möglichkeit, Ausnahmeregeln zu kreieren, aber das wurde uns diesmal verwehrt. Logischerweise stecken wir die Mehrkosten ins Produkt. Was also rübergeht, wird zwangsläufig teurer. Im Moment ist allerdings noch kein Einbruch spürbar, der explizit auf die Strafzölle zurückgeht. 

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Die Angst geht natürlich um, dass wir genau diese Mengen, die mit höheren Zöllen versehen sind, zukünftig verlieren.

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Wird sich das in Zukunft noch ändern? 

Stephan Ahr: Die Angst geht natürlich um, dass wir genau diese Mengen, die mit höheren Zöllen versehen sind, zukünftig verlieren. Und das würde Kapazitäten in einem Markt kosten, der momentan sowieso extrem umstritten ist und wir eh schon riesige Probleme mit Billigimporten aus China haben. Deswegen könnten wir auf diesen Handelskrieg wahrlich verzichten, von dem wir übrigens schon in der Zeit von Joe Biden betroffen waren. 

Wie groß ist die Sorge, dass durch die Strafzölle weitere Arbeitsplätze bei Saarstahl gefährdet sind? 

Stephan Ahr: Die Sorge gibt es schon. Wir sind jetzt von 2,4 Millionen Tonnen auf 1,6 Millionen Tonnen Jahresproduktion nach unten gerutscht. Durch die Einführung der Zölle ist bislang kein direkter Arbeitsplatz bei uns betroffen, aber durch die Reduzierung unserer Jahresproduktion sehr wohl. Es ist schwer, herauszufinden, ob es jetzt nur diese Zölle oder andere Faktoren sind – hohe Energiepreise, fehlende Infrastruktur. Es spielt also viel zusammen, wobei die USA ihren Anteil daran hat. Und ja, wir werden Arbeitsplätze durch diese Strafzölle verlieren, wenn es so weitergeht. 

US-Strafzölle, Billigimporte aus Asien: Was fordern Sie von der Politik, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Stahlindustrie zu sichern? 

Stephan Ahr: Da gibt es einige Themen, die wir fordern. Grundsätzlich müssen diese Außenhandelsmaßnahmen wie „CBAM“ (CO2-Grenzausgleichssystem der EU/Anm.d.Red.) oder „Safeguard“ (kurzfristiger Schutz bei Importsteigerungen/Anm.d.Red.) irgendwann mal greifen. Ein Beispiel, das die Dramatik verdeutlicht: Wir produzieren hier den C7D, einen Walzdraht, den wir auch kaufen könnten. Aus China können wir den für 400 Euro die Tonne frei Haus liefern lassen. In Italien gibt es den für 528 Euro, deutschlandweiter Schnitt ist bei 680 Euro und Saarstahl ist bei ungefähr 700 Euro. Wenn jetzt noch die Umlenkungsfaktoren aufgrund der Zölle den europäischen Markt überschwemmen, dann wird die Preisdifferenz noch größer. Wir fordern Maßnahmen, die uns vor diesen Billigimporten an den Grenzen schützen. Und natürlich fordern wird, dass die Energieversorgung vernünftig geregelt ist. 

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Da entscheidet letztlich nur der Preis und diese Heuchelei muss aufhören.

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… was meinen Sie mit einer „vernünftigen“ Energieversorgung?

Stephan Ahr: Die Energiepreise müssen stimmen, die Wasserstoffversorgung muss her, schließlich sind die Rahmenbedingungen bei uns ganz entscheidend. Ich kann nicht von der Stahlindustrie verlangen, CO2-neutral zu produzieren, was die Produktion natürlich teurer macht, aber am Ende des Tages ist es dem Bund völlig egal, woher sie ihren Stahl beziehen. Die Deutsche Bahn ist beispielsweise kein Kunde von uns, obwohl unser Standort in Hayange das einzige Werk in Europa ist, das CO2-freie Schienenprodukte anbieten kann. Da entscheidet letztlich nur der Preis und diese Heuchelei muss aufhören. 

Weshalb ist die Stahlbranche so enorm von politischen Rahmenbedingungen abhängig? 

Stephan Ahr: Es war immer eine politische Abhängigkeit erkennbar, so wie aktuell gerade habe ich es jedoch noch nie erlebt und ich bin seit 42 Jahren hier. Wir können unser Geschäftsmodell ja gar nicht anders wählen, als den Weg zur grünen Transformation zu gehen. Hätten wir als Unternehmen darauf gepfiffen, wäre nach zwei bis drei Jahren Schluss gewesen, da die CO2-Zertfikatspreise so enorm angestiegen sind. Das hatte auch nichts mit einer Marktbereinigung zu tun, sondern man hat uns auf eine Schiene gesetzt, leicht angeschubst und jetzt müssen wir marschieren – da gibt es keine Alternative.

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Ich war eine ganze Zeit lang skeptisch, wobei ich den Mut bis jetzt noch nicht verloren habe.

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Haben Sie große Hoffnung, dass alles in eine für die Stahlindustrie positive Richtung gelenkt wird? 

Stephan Ahr: Ich war eine ganze Zeit lang skeptisch, wobei ich den Mut bis jetzt noch nicht verloren habe. Mich stimmt optimistisch, dass wir gerade eine europäische Förderung über 2,68 Milliarden Euro erhalten haben für den Umbau unserer gesamten Produktion hin zu CO2-freiem Stahl – mit grünem Wasserstroff. In dieser Fördersumme sind bereits 780 Millionen Euro vom Bundesland enthalten. Wenn sie also nicht weiter mit uns planen, uns nicht durch die Schaffung von Leitmärkten unterstützen würden, wäre das rausgeschmissenes Steuergeld. Ich glaube, das kann keiner verantworten. Deswegen bin ich überzeugt, dass Deutschland den Stahl für systemrelevant hält. 

Im April haben Sie einem Transfertarifvertrag zugestimmt, sagen aber, dass dieser  „ sicher keinen Anlass zum Jubeln gibt“ und das „beste schlechte Ergebnis“ sei. Was steht denn drin? 

Stephan Ahr: Der Transfertarifvertrag ist wirklich einschneidend, kostet uns viel Energie und vor allen Dingen viel Geld. Die Wochenarbeitszeit sinkt, außerdem soll jeder Beschäftigte in einem Transformationskonto 24 Schichten ansammeln, für die es in den kommenden Jahren keine Bezahlung gibt. So sollen insgesamt 90 Millionen eingespart werden. Mit Zeitkontingenten haben wir versucht, es so flexibel wie möglich zu gestalten. Parallel dazu haben wir Sozialplan- und Interessenausgleichsverhandlungen geführt und sind gerade dabei, ein Freiwilligen- sowie Abfindungsprogramm aufzusetzen und eine Transfergesellschaft einzurichten. Es ist ein Riesenpaket, das wir gerade bedienen müssen. Aber am Ende bleibt es einfach Mist und das habe ich den Kollegen so gesagt! 

Wie vermittelt man den Mitarbeitern einen solchen Kompromiss? 

Stephan Ahr: Wir reden bei Saarstahl über 350 Vertrauensleute, die gewissermaßen wie ein Schneeballsystem funktionieren. Wenn irgendetwas ist, geht es also über dieses System bis runter an den letzten Mann. Ich will damit sagen: Wir haben immer breit, sehr großflächig und transparent informiert. Ich hatte also den Eindruck, dass jeder gewusst hat, was auf uns zukommt. Eine Woche lang hatten die Kollegen – egal, ob Früh- oder Nachtschicht, Samstag oder Sonntag – die Möglichkeit, sich zu informieren. Ich allein hatte in einer Woche 60 bis 70 Termine, in denen ich den Tarifvertrag in zwei bis zweieinhalb Stunden erklärt und direkt habe abstimmen lassen. Hätten wir das nicht gemacht, hätte es das Ergebnis mit 81,7 Prozent Zustimmung nicht gegeben. Dann wäre dieser Vertrag so nie zustande gekommen.

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Es sind eben Verzweiflung und Existenzängste dabei – völlig klar.

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Die Stimmung in der Belegschaft dürfte dennoch nicht die allerbeste sein … 

Stephan Ahr: Das ist immer abhängig davon, wen man fragt. Ich sehe viele Kollegen, die jetzt erst recht Vollgas geben, habe allerdings bei den Info-Veranstaltungen auch andere erlebt. Einzelne waren hochaggressiv, erstaunlicherweise gegen den Betriebsrat. Wir haben denen dann versucht klarzumachen, dass wir ihnen gerade den Allerwertesten retten. Ohne uns wären sie schon lange weg und wenn wir diesen Tarifvertrag nicht bekämen, wären sie auch weg. Irgendwann haben sie verstanden: Oh, da geht es gerade wirklich um alles. Es sind eben Verzweiflung und Existenzängste dabei – völlig klar. Zwischenzeitlich dachte ich mal, dass das nichts wird mit dem Tarifvertrag, aber letztlich hat der Verstand gesiegt. 

Eine herausfordernde Zeit: Welche Aufgaben stehen für den Saarstahl-Betriebsrat jetzt an? 

Stephan Ahr: Wir müssen weiterhin für Verständnis sorgen, müssen alle sich aus diesem Tarifvertrag ergebenen Betriebsvereinbarungen erstmal beschließen und dann wiederum informieren. Hierzu haben wir schon ein FAQ geschaltet mit über 80 Fragen. Ganz nebenbei haben wir 2026 Betriebsratswahl, was oft vergessen wird. Darauf müssen wir uns logischerweise ebenso vorbereiten und gleichzeitig für Betriebsratsnachwuchs sorgen. (tis)

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