Ernestine Cornella (links) und Annette Schmitt (rechts) mit ihrem Anwalt Stefan Schneider beim Termin vor dem Arbeitsgericht. Seit Jahren kämpfen sie gemeinsam gegen die Folgen einer Intrige.
20.000 € – ist das der Preis in Deutschland, wenn man einen guten Ruf ins Wanken bringt, wenn man lügt und Betriebsräte ausspäht? Dieser Betrag wurde vor kurzem der ehemaligen stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden Ernestine Cornella zugesprochen – als Entschädigung für eine schwere Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Ihre frühere Kollegin, Betriebsratsvorsitzende Annette Schmitt, ging leider leer aus.
Es ist der vorläufig letzte Akt eines jahrelangen Kampfes um Gerechtigkeit in einem Fall von BR-Bashing, der an Heimtücke kaum zu überbieten ist.
Wie in einem schlechten Krimi
Die Geschichte beginnt wie in einem schlechten Krimi. Carolin Reifschneider, Geschäftsführerin der Bad Nauheimer Alten- und Pflegeheim Schacht GmbH, liegt im Clinch mit dem Betriebsrat, der die rund 250 Mitarbeiter der Schacht GmbH vertritt. Die Stimmung ist schlecht. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen.
Ein Dorn im Auge sind ihr die Betriebsratsvorsitzende Annette Schmitt und ihre Stellvertreterin Ernestine Cornella. Um die unliebsamen Frauen auszuschalten, holt die Geschäftsführerin den berüchtigten Arbeitgeber-Anwalt Helmut Naujoks ins Boot.
Dessen Kanzleien sind in Frankfurt, Hamburg und Düsseldorf verteilt, von dort aus geht er gegen Betriebsräte in ganz Deutschland vor. Die „Methode Naujoks" hat System. Der Anwalt setzt auf Zermürbung. Seine Taktik besteht aus Kündigungen und Schadenersatzklagen – und offensichtlich auch aus dem Einsatz von Privatdetektiven. Schließlich, so wirbt er für seine Kanzlei, gibt es keine Arbeitnehmer, die in Deutschland unkündbar sind.
Perfide Fallen für die Betriebsräte
Den Betriebsrätinnen werden Fallen gestellt. Ernestine Cornella soll Alkohol zum Verhängnis werden, so der Plan.
Kurzfristig werden Privatdetektive in das Altenheim eingeschleust. Einer dieser Spitzel zaubert während der Nachtschicht eine Flasche Sekt hervor, er wolle an seinem letzten Arbeitstag einen ausgeben, sagt er. Carolin Reifschneider wird sie am Ende damit „erwischen". Ein abgekartetes Spiel, denn im Unternehmen herrscht ein strenges Alkoholverbot; Grund für eine fristlose Kündigung.
Ob tatsächlich etwas getrunken wurde, darüber gehen die Meinungen nachher auseinander. Nein, sagt Ernestine Cornella. Am Ende macht es keinen Unterschied. „Wir haben nachts noch weitergearbeitet, morgens wurden wir ins Büro geholt. Erst mussten wir einen Fragenkatalog über Alkohol beantworten, dann wurden wir offiziell suspendiert. Mir ist damit der Boden unter den Füßen weggezogen worden", sagt Ernestine Cornella.
Noch handfester trifft es wenige Wochen später die Betriebsratsvorsitzende Annette Schmitt. Gleich zwei Detektive versuchen, sie zu einer körperlichen Auseinandersetzung zu provozieren, beschimpfen sie, bespucken sie. Als sie nicht zurückschlägt, verletzt ein Detektiv den anderen und bezichtigt die Betriebsratsvorsitzende der Tat. Auch ihr soll fristlos gekündigt werden. Annette Schmitt sieht die beiden Lockvögel nie wieder. „Mir ging es in der Folgezeit immer schlechter", sagt sie. „Auch wenn man weiß, dass man nichts gemacht hat – wie beweist man das? Die beiden waren ja zu zweit."
Immer wieder trifft man sich vor Gericht. „Gefühlt waren wir jede Woche beim Arbeitsgericht. Mal ging es um Hausverbot, mal um die Ersetzung der Zustimmung zu unserer Kündigung". Zur Kündigung kam es am Ende nicht – nach Monaten zieht der Arbeitgeber die Klage auf Zustimmungsersetzung zurück, auf den ersten Blick völlig überraschend. Vielleicht nicht ganz überraschend, wenn man sich die Hintergründe anschaut: In diesen Monaten schieden vier BR-Mitglieder aus, Neuwahlen des neunköpfigen Gremiums wurden nötig. Die Zermürbung funktioniert offensichtlich.
Die Bombe platzt
Anfangs bestreitet Carolin Reifschneider die Vorwürfe vehement. Die Bombe platzt, als Journalisten einem der Detektive, der als Lockspitzel auftrat, auf die Schliche kommt. Dieser hat genug von den Methoden und packt aus. Publik wird das Vorgehen in der TV-Dokumentation „Exclusiv im Ersten".
Und das alles ist offensichtlich nur die Spitze des Eisbergs. Der ehemalige Detektiv soll auch in anderen Unternehmen dazu beigetragen haben, Betriebsräte und andere unliebsame Mitarbeiter loszuwerden. Er gibt an, jahrelang mit Anwalt Helmut Naujoks zusammengearbeitet zu haben.
Auch dank der NDR-Recherchen hat der Bad Nauheimer Anwalt Stefan Schneider endlich genug in der Hand, um Entschädigungsklagen für seine beiden Mandantinnen einzureichen.
„Ohne die Aussage des damaligen Lockvogels wäre der Fall schwierig gewesen", sagt er. Der ehemalige Privatdetektiv, der sich inzwischen eine neue Existenz aufgebaut hat, ist vom Arbeitsgericht zum Termin im Mai als Zeuge geladen. Im Gericht trifft Ernestine Cornella dann das erste Mal wieder auf den Mann, der ihr eine fiese Falle gestellt hatte. Er entschuldigt sich mit Handschlag bei beiden Betriebsrätinnen und bestätigt in der Zeugenbefragung alle Vorwürfe. „Das war bei weitem kein Einzelfall", sagt Anwalt Schneider, „er hat beschrieben, dass er lange im Geschäft war".
Naujoks zu Entschädigung verurteilt
Gemeinschaftlich beklagt sind die Arbeitgeberin und ihr Rechtsberater Helmut Naujoks. Naujoks selbst erscheint nicht. Schriftlich lässt er mitteilen, dass er sich auf seine Schweigepflicht als Anwalt beruft. Verurteilt wird er trotzdem. Das Arbeitsgericht Gießen spricht gegen ihn und die Arbeitgeberin wegen schwerer Persönlichkeitsrechtsverletzung durch strategisches Vorgehen die Zahlung von 20.000 € aus.
Ob Helmut Naujoks davon persönlich einen Euro zahlt, ist aber nicht gesagt, meint Anwalt Stefan Schneider. Denn beide wurden als Gesamtschuldner verurteilt, er muss sich einen Schuldner raussuchen. Da es sowieso noch weitere Verfahren wegen Urlaubsabgeltung gibt, wird dies das Altenheim sein. Ob das Altenheim sodann plant, sich einen Teil des Geldes von Naujoks zurückzuholen, ist nicht bekannt. Außerdem ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.
Kein Happy End
So oder so ist das Urteil kein Happy End. Denn die Entschädigungsklage der ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden Annette Schmitt wies das Gericht ab. Der Grund dafür ist rein rechtlicher Natur. Sie hatte in einem früherem Prozessvergleich einer sogenannten Ausschlussklausel zugestimmt. Dies „schließt Entschädigungsansprüche wegen Fingierens von Kündigungsgründen zur Entfernung unliebsamer Betriebsratsmitglieder aus", so das Gericht. Annette Schmitt versteht die Welt nicht mehr. „Das klingt so, als hätte ich damals einen Deal gemacht mit denen. Das war aber ganz anders." Nach einem Verkehrsunfall wurde sie frühverrentet. „Es ging nur noch um Resturlaub. Das hatte doch außerdem gar nicht zu tun mit dem Naujoks und mit der Intrige gegen mich". Es gehe ihr auch um Gerechtigkeit. Die ehemalige Betriebsratsvorsitzende wird mit Anwalt Schneider die Urteilsbegründung abwarten und über eine Berufung entscheiden.
Am Ende ist es für alle bitter. Denn auch wenn die Arbeitgeberin die Kündigungen zurücknehmen musste, die beiden Betriebsrätinnen sind heute nicht mehr im Unternehmen tätig. Annette Schmitt schied aus gesundheitlichen Gründen aus, Ernestine Cornella suchte sich einen neuen Job.
Carolin Reifschneider hat also letztlich ihren Willen bekommen, meint Ernestine Cornella. Der jetzige Betriebsrat sei vom Arbeitgeber gesteuert, allem werde zugestimmt. „Die Mitarbeiter sind eingeschüchtert und wehren sich nicht," sagt sie.
Entschuldigt hat sich Reifschneider bis heute nicht bei den Betriebsrätinnen für ihren Anteil an den Lügen und der Verschwörung. Stattdessen veröffentlichte sie nach dem TV-Beitrag eine schriftliche Stellungnahme. Dort liest man von „Rufschädigung"; und dass es ein „ganz normaler Vorgang ist", wenn „man interne Vorgänge von externen Beobachtern, auch verdeckt, überprüfen lässt".
Ganz normal? Ganz bestimmt ist das, was den beiden Betriebsrätinnen passiert ist, nicht „normal". Sie sind Opfer von Detektiven geworden, die ihnen am Arbeitsplatz Fallen stellten, um vermeintliches Belastungsmaterial gegen sie zu sammeln. Das Gericht sah die strategische Vorgehensweise der Arbeitgeberin und ihres Rechtsberaters folgerichtig als schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung an.
Es geht nicht ums Geld
Zufrieden ist Ernestine Cornella trotz ihres Erfolgs vor Gericht nicht. „Es geht mir nicht ums Geld", sagt sie. „Anwälte wie der Naujoks müssen gestoppt werden. Es ist doch schlimm, dass die weiterhin ihr Unwesen treiben können. Bei dem Gedanken bekomme ich Magenschmerzen." Schlimm findet sie es auch, dass sich Gerichtsverhandlungen so lange hinziehen, das müsse schneller und gerechter zugehen.
Ihrem Sohn würde sie trotz ihrer Erfahrungen nicht abraten, Betriebsrat zu werden. „Man darf sich nicht alles gefallen lassen. Was würde werden, wenn es keine anständigen Betriebsräte mehr gäbe?"
Das sieht auch Annette Schmitt so. „Betriebsräte, macht unbedingt weiter. Wenn der Naujoks auftaucht, geht sofort zum Anwalt. Und passt auf, dann im Unternehmen möglichst immer zu zweit aufzutreten."