Gewerkschaft statt Betriebsrat – die Mitbestimmungsstruktur in Griechenland
Wer in Griechenland an betriebliche Mitbestimmung denkt, denkt in erster Linie an die Gewerkschaften – und das nicht ohne Grund. Während in Deutschland oft der Betriebsrat fester Bestandteil der Unternehmensstruktur ist, übernehmen in Griechenland sehr häufig die Gewerkschaften diese Aufgabe – und das direkt im Betrieb.
Schon ab 20 Mitarbeitern kann in Griechenland eine betriebsinterne Gewerkschaft gegründet werden: die sogenannte „Enterprise-level union“ – auf Griechisch Σωματείο Εργαζομένων (Somatío Ergazoménon), soviel wie betriebsinterne Gewerkschaft. Sie darf offiziell Tarifverträge aushandeln, Streiks organisieren und bei wichtigen Entscheidungen im Unternehmen mitreden. In vielen Betrieben übernimmt sie damit Aufgaben, die in Deutschland normalerweise ein Betriebsrat hat.
Ab 50 Mitarbeitern kann in Griechenland theoretisch auch ein klassischer Betriebsrat entstehen – allerdings meist nur dort, wo bereits eine Gewerkschaft existiert. Ohne gewerkschaftliche Struktur braucht man mindestens 20 Beschäftigte, um einen Betriebsrat zu gründen. Trotzdem gibt es dieses Modell in der Praxis nur selten, meistens bleibt es bei der Gewerkschaft als Vertretung.
Zusätzlich gibt es seit 2011 eine besondere Form der Arbeitnehmervertretung: die sogenannte „Association of persons“ – auf Griechisch Ένωση Προσώπων (Énosi Prosópon), sozusagen eine Arbeitnehmervereinigung oder Personenvereinigung. Diese lässt sich bereits gründen, wenn drei Fünftel der Beschäftigten zustimmen – also mindestens 60 %. Eine gute Lösung für kleinere Betriebe ohne etablierte Gewerkschaften. Sie kann unter bestimmten Voraussetzungen sogar Tarifverträge abschließen, ist aber insgesamt deutlich schwächer aufgestellt als eine “richtige” Gewerkschaft.
Die Wahl der Arbeitnehmervertreter in Griechenland richtet sich danach, ob es sich um eine Gewerkschaft oder einen Betriebsrat handelt.
Wie werden die griechischen Arbeitnehmervertreter gewählt?
Die Wahl oder Bestellung der Arbeitnehmervertreter in Griechenland richtet sich danach, ob es sich um eine Gewerkschaft oder einen Betriebsrat handelt.
Betriebliche Gewerkschaften, sogenannte Basisgewerkschaften, können bereits mit einer vergleichsweise kleinen Anzahl von Mitgliedern gegründet werden – eine feste gesetzliche Mindestzahl gibt es nicht. In der Praxis gelten jedoch etwa 10 bis 20 Mitglieder als sinnvoll, um eine wirksame Interessenvertretung im Betrieb zu gewährleisten. Ist die Gewerkschaft offiziell gegründet und ins Register eingetragen, ist sie rechtlich anerkannt und kann ihre Aufgaben wahrnehmen – etwa Tarifverhandlungen führen oder Streiks organisieren.
Der Vorstand wird in der Regel alle zwei bis drei Jahre in geheimer Abstimmung gewählt. Drei Jahre Amtszeit sind dabei gängige Praxis. Die Zusammensetzung des Vorstands – häufig bestehend aus Präsident, Vizepräsident und Generalsekretär – richtet sich nach der jeweiligen Satzung der Gewerkschaft und kann je nach Betrieb leicht variieren.
Betriebsräte sind in Griechenland eine Rarität.
Wahlverfahren von Betriebsräten
Wie gesagt: Betriebsräte sind in Griechenland eine Rarität. Wenn ein Betriebsrat existiert, wird seine Wahl in der Praxis meist nach den Statuten der Gewerkschaft oder durch die Belegschaft geregelt. Eine geheime Wahl ist möglich und üblich, aber die konkreten Voraussetzungen (z.B. Beschäftigungsdauer für Wahlberechtigte und Kandidaten) sind gesetzlich nicht so detailliert wie in Deutschland geregelt. Ein Hoch auf unsere – wenn auch formal nicht so ganz einfache – Betriebsratswahl!
Gewerkschaften haben in Griechenland mehr Macht als die vereinzelten Betriebsräte.
Was dürfen die Arbeitnehmervertreter in Griechenland?
Je nachdem, ob eine Gewerkschaft oder ein Betriebsrat im Betrieb aktiv ist, unterscheiden sich auch die Rechte der Vertreter. Grundsätzlich gilt: Gewerkschaften haben in Griechenland mehr Macht als die vereinzelten Betriebsräte, denn sie sind betriebsnah organisiert und werden von Beschäftigten im jeweiligen Unternehmen vertreten.
Gewerkschaften auf Betriebsebene können:
- Tarifverträge abschließen,
- bei Umstrukturierungen, Massenentlassungen oder Betriebsübergängen mitreden,
- Streiks organisieren,
- und sind bei zentralen betrieblichen Entscheidungen ein fester Ansprechpartner der Arbeitgeberseite.
Betriebsräte hingegen haben vor allem:
- Informations- und Anhörungsrechte,
- ein gewisses Mitspracherecht bei Gesundheit und Sicherheit, Urlaubsregelungen und innerbetrieblichen Abläufen.
Also ein deutlicher Unterschied: Während der Betriebsrat in Deutschland viele Entscheidungen laut Betriebsverfassungsgesetz mitgestalten kann, darf sein griechischer Kollege oft nur zuhören. Auch bei der Entsendung in den Europäischen Betriebsrat (EBR) spielen Gewerkschaften, sofern vorhanden, meist die Hauptrolle.
Wie sieht es mit Kündigungsschutz und Freistellung aus?
Gewerkschaftsvertreter und – wenn es sie gibt – Betriebsratsmitglieder sind in Griechenland gut vor einer Kündigung geschützt. Man darf ihnen nicht kündigen, wenn sie ihre Rechte als Gewerkschafter wahrnehmen.
Ohne Schulung geht es wohl kaum – egal in welchem Land!
Und Schulungen?
Ohne Schulung geht es wohl kaum – egal in welchem Land! Die Regeln für die Weiterbildung von Arbeitnehmervertretern in Griechenland stehen im Gesetz zum Arbeitsrecht, im Zivilgesetzbuch und manchmal in Tarifverträgen. Auch das EU-Recht ergänzt diese Regeln, besonders beim Arbeitsschutz. Es schreibt eigentlich vor, dass Arbeitnehmervertreter Schulungen bekommen müssen. Die Praxis sieht allerdings oft so aus: Häufig werden Schulungen von Gewerkschaften oder staatlichen Stellen angeboten und teilweise auch finanziert. Der Arbeitgeber kann – muss aber nicht – die Kosten für betriebliche Schulungen übernehmen. Eine Freistellung für Schulungen ist grundsätzlich möglich, aber nicht immer umfassend geregelt. Unsere eindeutige, verbindliche gesetzliche Regelung in Deutschland (§ 37 Abs. 6 BetrVG) ist tatsächlich sehr wertvoll!
Zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft – ein deutlicher Unterschied
Ein Blick in die Realität zeigt: Der Organisationsgrad der Arbeitnehmer hängt in Griechenland stark von der Branche ab. Im öffentlichen Dienst ist die gewerkschaftliche Organisation besonders hoch, dafür sorgt die Dachorganisation ADEDY.
In der Privatwirtschaft dagegen sieht es echt mau aus. Laut Eurofound liegt der gewerkschaftliche Organisationsgrad nur bei rund 10 Prozent. Auch Betriebsräte sind außerhalb großer Unternehmen eher eine Seltenheit. Ein Reddit-Nutzer kommentierte das einmal trocken mit den Worten: „Der Privatsektor ist eine gewerkschaftliche Wüste.“ Ein drastisches Bild – aber kein ganz unrealistisches.
In Deutschland sind Arbeitnehmervertreter fest in vielen Aufsichtsräten verankert.
Und auf Vorstandsebene? Fehlanzeige.
In Deutschland sind Arbeitnehmervertreter fest in vielen Aufsichtsräten verankert. Das verdanken wir bei uns dem Mitbestimmungsgesetz. In Griechenland hingegen sucht man diese Form der Mitbestimmung vergeblich – zumindest in der Privatwirtschaft.
Nur in staatseigenen Betrieben ist ein Arbeitnehmervertreter im Vorstand gesetzlich vorgesehen. Doch mit fortschreitender Privatisierung – wie z.B. im Telekommunikationsunternehmen OTE – verschwand auch dieses Mitspracherecht nach und nach von der Bildfläche.
Fazit: Eine Mitbestimmung mit griechischen Klängen
Die Mitbestimmung in Griechenland hat ihren ganz eigenen Rhythmus – und der tanzt oft nach der Musik der Gewerkschaften.
Für deutsche Betriebsräte kann der Blick nach Griechenland trotzdem spannend und lehrreich sein: Er zeigt, wie wichtig klare gesetzliche Regelungen, eine hohe Organisationsquote und gelebte Mitbestimmung im Alltag sind. Und er erinnert daran, dass Mitbestimmung keine Selbstverständlichkeit ist – sondern gepflegt, mit Leben gefüllt und auch verteidigt werden muss. Wie beim Sirtaki – Arm in Arm und die Schritte müssen bei allen passen. (sw)