Was ist los beim Online-Riesen Zalando? Auslöser der Empörung ist eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Wissenschaftler nahmen die Software „Zonar" unter die Lupe, die seit etwa drei Jahren bei Zalando im Einsatz ist.
Zonar: Digitale Bewertung unter Kollegen
Was macht Zonar, wozu braucht man diese Software? Kurzum: Mit ihr bewerten sich Arbeitskollegen gegenseitig. Wir kennen solche Bewertungen als Kunde von Internetshops – im Fall von Zonar wird aber nicht die Qualität der neuen Schuhe bewertet, sondern die Arbeit des Kollegen gegenüber, nebenan oder auf der anderen Seite des Flurs. Denn im Regelfall werden vor allem Kollegen aus dem alltäglichen Arbeitsumfeld unter die Lupe genommen.
Laut Firmenangaben arbeiten bei Zalando insgesamt rund 14.000 Mitarbeiter – mehr als 5.000 nehmen an Zonar teil.
Was passiert mit den Daten?
Die Beurteilung erfolgt abteilungsübergreifend und über einige Hierarchieebenen hinweg, schreiben die Wissenschaftler. Auf Basis der gesammelten Informationen wird die Belegschaft in drei Gruppen eingeteilt: „Low-, Good- und Top-Performer". Die Einstufung hat im weiteren Verlauf Auswirkungen auf Beförderungschancen sowie mögliche Gehaltserhöhungen.
Das Betriebsklima leidet, der Stress nimmt zu
Nicht nur die Gewerkschaft Verdi kritisiert den Einsatz von Zonar scharf. Auch die Wissenschaftler der Studie, Philipp Staab und Sascha-Christopher Geschke, finden deutliche Worte. Zonar sei „ein Instrument zur Erzeugung und Legitimierung betrieblicher Ungleichheit sowie zur Leistungsvermessung und Kontrolle von Arbeit". Das Betriebsklima leide, der Stress nehme zu. Zalando-Mitarbeiter selbst hätten von einer „360-Grad-Überwachung" und einem einem „System der kompletten Kontrolle" gesprochen.
Zalando weist Vorwürfe zurück
Zalando wies die Vorwürfe in einer schriftlichen Stellungnahme entschieden von sich. Die Studie sei nicht repräsentativ und enthalte „grobe faktische Fehler". Außerdem sei der Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt worden.
Gegenüber der Süddeutschen Zeitung äußerte Personalchefin Astrid Arndt, dass Zonar „kein Instrument der Kontrolle", sondern ein wichtiger Bestandteil des „Talentmanagements" sei. Trotzdem hatte sich Zalando im Vorfeld geweigert, bei der Studie mitzumachen.
Kein Einzelfall
Zalando steht nicht allein da. Beispielsweise Amazon nutzt laut New York Times ein inhaltlich ähnliches Programm namens „Forte Prozess". Es braucht mit zunehmender Digitalisierung aber gar kein Bewertungstool – theoretisch kann jede Eingabe am PC, jede E-Mail und sogar jedes Telefongespräch vom Arbeitgeber überwacht werden.
Strenge Grenzen der Überwachung
Videoüberwachung, Telefonaufzeichnung, Internetüberwachung, Bewertungssoftware – Arbeitgeber haben viele „kreative" Ideen, wenn es darum geht, ihre Mitarbeiter zu kontrollieren.
Einer solchen Kontrolle und Überwachung sind jedoch enge Grenzen gesetzt. Der Arbeitgeber muss das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer beachten, die Vorschriften des Datenschutzes einhalten, und außerdem hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von technischen Einrichtungen, die zur Verhaltens- und Leistungskontrolle bestimmt sind (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Erfasst werden alle technischen Einrichtungen, die Rückschlüsse auf das Verhalten oder die Leistung der betroffenen Arbeitnehmer zulassen. Die technische Möglichkeit reicht dabei schon aus! Programme wie das von Zalando genutzte fallen definitiv unter das Mitbestimmungsrecht.
Keine heimliche Überwachung ohne Anlass
So schob das Bundesarbeitsgericht (kurz BAG) im Jahr 2017 einer Spähsoftware einen Riegel vor; heimliche digitale Überwachung ist bei uns grundsätzlich nicht zulässig (Az.: 2 AZR 681/16). Hintergrund war folgender Fall: Mit Hilfe einer Software zeichnete ein Arbeitgeber heimlich alle Computereingaben seines Arbeitnehmers auf. Unzulässig, entschied das BAG. Denn für eine solch einschneidende Überwachung „ins Blaue hinein" fehle es am konkreten Verdacht einer Straftat. Das BAG urteilte, dass die Betriebsparteien gemäß § 75 BetrVG die Pflicht haben, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer Rechnung zu tragen. Soll dieses Recht durch eine kollektive Regelung eingeschränkt werden, müsse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben.
Weiterlesen: Details zur Entscheidung des BAG vom 27. Juli 2017.
Individuelle und kollektive Vereinbarungen
Denkt der Arbeitgeber an eine Überwachung, sollten die Arbeitnehmer natürlich nicht (!) ohne Weiteres individuelle Einverständniserklärungen unterzeichnen. Auch der Abschluss einer Betriebsvereinbarung will wohl überlegt sein. Wichtig ist dabei, dass die Betriebsvereinbarung eine Einwilligung der Betroffenen nicht automatisch ersetzen kann, vgl. § 51 BDSG und Art. 6 und 7 DGSVO. Sinn machen beispielsweise Vereinbarungen zur privaten Internetnutzung am Arbeitsplatz – so weiß jeder, woran er ist.
Heimlichkeit kann strafbar sein
Wer heimlich schnüffelt und ausspäht, kann sich damit sogar strafbar machen. Nach § 201 StGB kann die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, also z.B. das Mitschneiden von Telefongesprächen ohne Einwilligung des Arbeitnehmers, mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren bestraft werden. Interessant ist dabei auch die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses nach § 206 StGB und das Ausspähen von Daten nach § 202a StGB, z.B. wenn es um die heimliche Kontrolle der Nutzung des Internets geht.
Übrigens: Die Ergebnisse von unzulässig durchgeführten Kontrollen dürfen nicht als Beweismittel gegen den Arbeitnehmer verwendet werden.
Ein Tipp an alle Arbeitgeber
Für ein gesundes Betriebsklima ist Big Brother am Arbeitsplatz sicherlich nicht förderlich. Und wenn sich plötzlich Arbeitnehmer gegenseitig bewerten sollen, ist das sicherlich der Anfang vom Ende des vertrauensvollen Klimas. Wie heißt es so schön? Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Denn ein gesundes Unternehmen braucht ein gesundes, vertrauensvolles Miteinander – ohne Spitzel und ohne Spitzelsoftware.