Der Begriff Arbeit 4.0 ist nicht neu. Schon 2015 diskutierten Experten aus Wissenschaft und Praxis im Auftrag der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles über Trends, Handlungsfelder und den Wertewandel der künftigen Arbeitsgesellschaft.
Doch auch heute, also vier Jahre später, kann niemand mit Sicherheit sagen, was in Zukunft passieren wird. Es zeichnen sich allerdings ein paar Megatrends ab, die die Arbeitswelt und die Gesellschaft in den kommenden Jahren voraussichtlich stark beeinflussen werden: Digitalisierung, Globalisierung, demographischer Wandel und kultureller Wertewandel.
Übernehmen Roboter das Ruder?
Die Angst sitzt tief: Übernehmen künftig Roboter unsere Arbeitsplätze? 2013 kamen zwei amerikanische Forscher zu dem Ergebnis, dass 47 % aller Jobs in den USA durch die Automatisierung und Digitalisierung bedroht sind.
Neuere Studien zeichnen ein weniger dramatisches Bild. Zwar lassen sich – theoretisch – heute schon viele Berufe durch Roboter, Computer oder künstliche Intelligenz ersetzen. Ob und wie schnell dies tatsächlich passieren wird, lässt sich jedoch nur schätzen. Auf der anderen Seite werden durch die neuen Technologien viele neue Stellen bzw. neue Berufszweige entstehen. Nach einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung könnten bis 2025 bis zu 1,3 Millionen Arbeitsplätze in Folge der Digitalisierung wegfallen und gleichzeitig 2,1 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen.
Das Problem: Für diese neuen Arbeitsplätze braucht es künftig neue Qualifikationen; also entsprechende Fachkräfte. Gleichzeitig müssen Alternativen für diejenigen geschaffen werden, deren Jobs wegfallen. Das Allheilmittel für diese Problematik ist in der öffentlichen Diskussion um die „Arbeit 4.0"schnell gefunden: Weiterbildung!
Das Allheilmittel: Die Weiterbildung
Kaum ein Wort hört man im Zusammenhang mit der Digitalisierung so häufig. Wer in der Arbeitswelt der Zukunft seinen Platz haben will, muss sich weiterbilden.
Ein großer Teil der Weiterbildung muss direkt in den Betrieben passieren. Und hier kommen die Betriebsräte ins Spiel.
Zunächst geht es um die Beschäftigten, die sich für die Digitalisierung schnell begeistern lassen und gerne bereit sind, auch ganz neue Berufswege einzuschlagen. Die Herausforderung wird sein, auch die mitzunehmen, die sich schwerer tun, ihr gewohntes Arbeitsumfeld zu verlassen und neue Wege zu gehen.
Wer wird weitergebildet? Wie kann Weiterbildung aussehen? Und was passiert mit denen die sich nicht weiterbilden lassen wollen oder können? Bei all diesen Fragen müssen Arbeitnehmervertreter frühzeitig mitdiskutieren und mitbestimmen. Es gilt, die Entstehung einer Schere zwischen „digital" und „analog" in der Belegschaft zu verhindern.
Auch die Regierung hat die wichtige Rolle der Betriebsräte bei der betrieblichen Weiterbildung erkannt und sich im Koalitionsvertrag von 2018 folgendes vorgenommen:
Wir werden das allgemeine Initiativrecht der Betriebsräte für Weiterbildung stärken. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und Betriebsrat haben über Maßnahmen der Berufsbildung zu beraten. Können sich beide nicht verständigen, kann jede Seite einen Moderator anrufen mit dem Ziel, eine Einigung zu erreichen. Ein Einigungszwang besteht nicht.
In den Diskussionen um Klimawandel und Europa scheint dieses mittelfristig nicht weniger wichtige Thema allerdings in Vergessenheit geraten zu sein.
New Work – Schöne neue Arbeitswelt
Digitales Arbeiten ist nicht nur eine rein technische Frage. In der Diskussion um „Arbeiten 4.0" wird auch der kulturelle und gesellschaftliche Wandel immer wichtiger. Der Fachkräftemangel und die Ansprüche einer jungen Generation, die immer weniger an Geld und Status interessiert ist, lässt Unternehmen zunehmend die Gestaltung der Zusammenarbeit und der internen Organisationsstrukturen überdenken.
Unter dem Schlagwort „New Work" wird über die Frage diskutiert, wie Arbeit in Zukunft definiert und organisiert werden soll. Der Begriff geht auf den Sozialpsychologen Frithjof Bergmann zurück, der sich bereits in den Siebzigerjahren Gedanken über die sinnstiftende Funktion von Arbeit machte. Die Arbeit soll laut Bergmann das Mittel sein, mit dem sich der Mensch als Individuum frei entwickeln kann.
Bergmanns Ideen finden in der Welt der „Arbeit 4.0" viele Anhänger. In der Arbeitswelt der Zukunft soll demnach der Mensch mehr im Mittelpunkt stehen. Durch flexible Arbeitszeitgestaltung, Netzwerkorganisation ohne hierarchische Führungsstrukturen, Home-Office oder Co-Working-Spaces versuchen schon heute viele Firmen, ihren Mitarbeitern ein modernes Arbeiten zu ermöglichen. Die Arbeit soll so flexibel wie möglich an die individuelle Lebenssituation angepasst werden können. Die bekannte „Work-Life-Balance" wird ersetzt durch das Trendwort „Work-Life-Blending" (blending = engl. für vermischen), also die Verschmelzung von Arbeit und Privatleben. Die Welt des „New Work" soll durch zunehmende Flexibilisierung menschenfreundlicher werden, die Beschäftigten zur Eigenverantwortung befähigen und deren Stärken fördern.
Braucht eine solche „schöne neue Arbeitswelt", in der die Einzelnen ihre Arbeitsbedingungen selbst und frei bestimmen können, überhaupt noch Mitbestimmung durch das Kollektiv?
Braucht die moderne Arbeitswelt noch Betriebsräte?
Die Verbreitung der Betriebsräte in Deutschland nimmt seit Jahren ab. Während 2010 im Westen noch 44 % der Beschäftigten durch einen Betriebsrat vertreten waren, waren es 2018 nur noch 41 %. Im Osten sank die Zahl von 38 % (2010) auf 35 %. In der boomenden Start-Up Szene und bei den IT-Dienstleistern spielen Betriebsräte kaum eine Rolle.
Die Realität sieht anders aus: Wie jede technische Neuerung zuvor bringt auch die Digitalisierung ihre Schattenseiten mit sich. Die Auflösung der Grenzen zwischen Privat- und Arbeitsleben und die ständige Erreichbarkeit durch den Arbeitgeber erhöht die Gefahr der Selbstausbeutung. Die eigene Organisation der Arbeit kann zudem manchen Arbeitnehmer überfordern. Es besteht die Gefahr der Vereinsamung, weil soziale Kontakte und fachlicher Austausch mit den Kollegen entfallen. Ohne feste Strukturen und Hierarchien entfällt auch die Unterstützung durch Vorgesetze oder das eigene Team.
Auch wenn Schätzungen zufolge rund 60 % der Beschäftigten in Deutschland mittlerweile stark von der Digitalisierung und ihren Auswirkungen betroffen sind, darf nicht vergessen werden, dass nach wie vor ein Drittel der Arbeitnehmer in körperlich anstrengenden Berufen tätig ist, in denen weder flexibles Netzwerkarbeiten noch Home-Office eine Rolle spielen.
Fazit: Neue, alte Rolle des Betriebsrats
Digitalisierung, New Work und Arbeit 4.0 sind nicht nur Zukunftsphantasien aus den Medien. Wir stecken bereits mitten in einer digitalen Transformation, die unsere (Arbeits-)Welt nachhaltig verändern wird.
Auch für Betriebsräte bringt dies einige Herausforderungen mit sich. Einerseits müssen Themen wie Datenschutz und Arbeits- und Gesundheitsschutz mit zunehmender weltweiter Vernetzung neu gedacht werden. Neue Schwerpunktthemen werden die Arbeit der betrieblichen Interessenvertreter in den nächsten Jahren bestimmen: Hierzu gehören Weiterbildung und Beschäftigungssicherung ebenso wie die Frage, wie die Zusammenarbeit in der Zukunft aussehen kann.
Betriebsräte werden in der Arbeitswelt der Zukunft keineswegs überflüssig. Jedoch ändert sich möglicherweise ihre Rolle. Die Digitalisierung muss aktiv bearbeitet werden, damit es am Ende möglichst viele Gewinner gibt. Die Betriebsräte müssen ihren Arbeitgebern dabei handlungsfähige und informierte Gegenüber sein, die sich klar zu den Entwicklungen der digitalen Welt positionieren.
Was soll das mit dem „Vierpunktnull" (4.0)?
Die Bezeichnung „Vierpunktnull" leitet sich aus dem in der Wirtschaft gebräuchlichen Schlagwort „Industrie 4.0" ab. Der Begriff Arbeit 4.0 meint den Wandel der Arbeitswelt durch die Digitalisierung.
Die Vernetzung von Mensch, Maschine und Produkt in Echtzeit über das Internet steht dabei als die „vierte industrielle Revolution" in einer Reihe von technischen Entwicklungssprüngen, die die Arbeitswelt dauerhaft verändert haben: Die erste industriellen Revolution, ausgelöst durch die Erfindung des mechanischen Webstuhls (1785). Die zweite industrielle Revolution, geprägt durch elektrische Energie und die Einführung der Fließbandarbeit (1870). Und schließlich die dritte industrielle Revolution, die Automatisierung der Produktion durch die Einführung von Computern 1960er Jahren.
Schon wieder veraltet?
Auch wenn in Presse, Wirtschaft und Politik heute schon nahezu alles mit dem Label „4.0" bezeichnet wird – kürzlich bewarb ein Seminaranbieter einen Workshop zur Digitalisierung sogar schon mit dem Titel „Resilienz 5.0" ...