„Ich habe Sorge, in Zukunft nicht mehr mitgenommen, sondern abgehängt zu werden.“ So stand es in einer Mail, die uns von einer 39-jährigen Betriebsrätin aus der Nahrungsmittelbranche erreicht hat. Sie steht stellvertretend für viele: Die Befürchtung, zum Teil sogar Angst, auf Grund der rasanten Entwicklung in Sachen digitaler Arbeitswelt und Künstlicher Intelligenz nicht Schritt halten zu können. Nicht selten haben Arbeitnehmer die Sorge, durch eine Maschine oder billige Arbeitskraft ersetzt zu werden, bis hin zum „Worst Case“, sich in einer gespaltenen Gesellschaft wiederzufinden – von Kontrolle und Überwachung ganz zu schweigen.
Entlastung bei körperlicher und unbeliebter Arbeit?
Doch ist die „neue Arbeitswelt“ tatsächlich so furchteinflößend? Immer wieder werden auch positive Stimmen laut, die sich von der Entwicklung erhoffen, bei harter körperlicher oder unbeliebter Arbeit entlastet zu werden, zukünftig weniger arbeiten zu müssen und vereinfachte Arbeitsabläufe zu haben, um nicht zuletzt so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Wunschdenken? Nun, wer hätte vor der Coronapandemie schon gedacht, dass wir uns mittlerweile völlig selbstverständlich über Online-Videokonferenzen austauschen? Was unter anderem flächendeckendes Home-Office in vielen Branchen ermöglicht (obwohl Firmen diesbezüglich gerade wieder zurückrudern).
Das Ergebnis von KI ist nicht Arbeitslosigkeit, sondern Weiterbildung. Die Arbeitsgesellschaft in Gänze erfährt ein Upgrade. Auf den höheren Weiden wächst das grüne Gras.
Journalist Gabor Steingart in seinem Pioneer-Briefing
Das allgegenwärtige „Überthema“ ist derzeit Künstliche Intelligenz. Hier scheiden sich die Geister zwischen „Allheilmittel“ und „Weltuntergang“ noch deutlicher als bei der allgemeinen Digitalisierung. Wie so oft wird auch hier die Wahrheit in der Mitte liegen. Fakt ist laut einer Analyse des Internationalen Währungsfonds, dass 60 Prozent der Beschäftigten in fortgeschrittenen Volkswirtschaften von der KI-Automatisierung betroffen sind. Experten gehen allerdings davon aus, dass viele Arbeiten nicht durch KI-Anwendungen verschwinden, sondern vereinfacht werden – man denke an die automatisierte Spesenabrechnung. So oder so wird an der neuen Basistechnologie künftig kaum jemand vorbeikommen.
Keine Zeit verschwenden!
Umso wichtiger ist, genau jetzt den Anschluss nicht zu verpassen. Und da gilt es für Betriebe, die eigenen Schlüsselkompetenzen zu überdenken und zu überarbeiten: „Es geht hierbei nicht um die dreißigminütige Microsoft-Teams-Schulung“, meint ifb-Bildungsreferent Stephan Sägmüller. „Es braucht richtige Weiterbildung und Qualifizierung.“ Damit hierfür im Betrieb ein Bewusstsein geschaffen wird, sind wiederum Betriebsräte gefragt, schließlich „muss die Belegschaft an die Vision glauben, sie darf nicht einfach von oben übergestülpt werden“, wie er sagt. Deshalb sollten Betriebsräte auch ihre Mitbestimmungs- und Informationsrechte beim Thema Weiterbildung kennen und wahrnehmen, um so die Arbeitsplätze langfristig zu sichern.
ifb-Symposium „Zukunftskompetenzen für den digitalen Wandel“
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Fünf Fragen an ifb-Bildungsreferent und Digitalexperte Stephan Sägmüller
Warum sollten Arbeitnehmer und Betriebsräte trotz aller Ungewissheit in Bezug auf Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz positiv in die Zukunft blicken?
Stephan Sägmüller: Ganz oft in diesem Zusammenhang hört man die Frage: Chance oder Risiko? Und eine klare Antwort gibt es in meinen Augen nicht. Natürlich werden sich Dinge verändern, gleichzeitig ergeben sich daraus auch wieder neue Herausforderungen, Aufgaben und Gelegenheiten. Als Betriebsrat hat man die Möglichkeit, das Spannungsverhältnis aufzulösen zwischen Fortschritt und, dass niemand auf der Strecke bleibt. Ein zentraler Punkt ist in meinen Augen Weiterbildung und Qualifizierung von allen Mitarbeitern!
Weiterbildung lautet also das Zauberwort: Wie könnte die konkret aussehen?
Stephan Sägmüller: Da gibt es keinen Masterplan. Es müssen immer maßgeschneiderte Lösungen für den Betrieb entwickelt werden. Oder noch eine Ebene tiefer: Für die Mitarbeiter. Jeder hat unterschiedliche Stärken. Alle im gleichen Maße zu fördern – etwa bei der Einführung einer Software – kann sinnvoll sein. Gleichzeitig sollte sich jeder individuell weiterbilden können. Das kann wunderbar in einer Betriebsvereinbarung abgebildet werden.
Wie sagt man so schön: Lernen ist eine lebenslange Aufgabe!
Stephan Sägmüller, ifb-Bildungsreferent und Jurist
© ifb
Was sind Deiner Meinung nach die größten Effekte von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz in Bezug auf die Beschäftigung?
Stephan Sägmüller: Hat man früher eine Ausbildung absolviert, kam man mit diesem Know-how und mit der wachsenden Erfahrung ganz gut über die Runden. Das hat sich geändert. Wir sehen ja, in welchem Takt neue Tools entwickelt werden und wie schnell sich Dinge verändern. Hier braucht es künftig die Bereitschaft jedes einzelnen Kollegen, sich weiterzubilden. Auch der Arbeitgeber muss schauen, dass er qualifizierte Mitarbeiter hinsichtlich der Digitalisierung und KI hat, ansonsten ist das ein echter Wettbewerbsnachteil. Wie sagt man so schön: Lernen ist eine lebenslange Aufgabe!
Gibt es Branchen und Berufe, die von dieser rasanten digitalen Entwicklung hauptsächlich betroffen sein werden?
Stephan Sägmüller: Ich würde das ungern auf einzelne Branchen oder Berufe konkretisieren wollen. Natürlich werden sich Bereiche stärker verändern als andere. Gleichzeitig wird es kaum eine Branche geben, die sich im Zuge der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz nicht entwickeln wird.
Wie sollten die nächsten Schritte von Betriebsräten aussehen?
Stephan Sägmüller: Zunächst einmal sollte der Ist-Zustand im Betrieb analysiert sowie die Zukunftskompetenzen, die einem wichtig sind, definiert werden. Und dann: Ein gemeinsames Weiterbildungs- und Qualifizierungskonzept mit dem Arbeitgeber entwickeln. Gerade das sollte auch dem Arbeitgeber wichtig sein. Für Betriebsräte gilt: Bleibt am Ball, bildet Euch fort, holt Euch Ideen und tauscht Euch über Erfolge aus! (tis)
Wie ist das bei Ihnen?
Das Thema Zukunftskompetenzen, Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz treibt Sie als Interessenvertreter gerade um? Oder konnten Sie diesbezüglich mit Ihrem Gremium schon etwas erreichen? Dann lassen Sie es uns wissen – wir freuen uns über Beispiele aus der Praxis.