VW in den Schlagzeilen: Unmittelbar vor Prozessbeginn gegen den ehemaligen VW-Boss Martin Winterkorn wegen der Dieselaffäre spitzt sich die Situation beim Traditions-Autobauer Volkswagen zu. Es seien weitere Einsparungen in Milliardenhöhe notwendig, um zu verhindern, dass die Kernmarke in die Verlustzone gerate, heißt es aus der Arbeitgeberseite. Deutsche Standorte sowie die bis Ende 2029 geltende Beschäftigungssicherung stehen infrage.
Fakt ist: Volkswagen steckt in einer tiefen Krise.
Auch wenn viele das vielleicht schon kommen sahen – der Schock sitzt tief, wie schnell sich der Wind in der ehemals erfolgsverwöhnten Branche dreht. Denn Fakt ist: Volkswagen steckt in einer tiefen Krise.
Sparprogramm sollte die Wende bringen
Volkswagen muss sparen, das ist seit Jahren klar. Ein 2023 vereinbartes Sparprogramm sollte das Ergebnis bis 2026 um zehn Milliarden Euro verbessern. Ziel war es, die Personalkosten in der Verwaltung um 20 Prozent zu senken. Personalabbau sollte per Altersteilzeit und Abfindungen erfolgen – von Abfindungen bis zu maximal 474.000 Euro war im Einzelfall am Schluss die Rede.
Doch der „Gegenwind“ sei deutlich stärker geworden, wird Markenchef Thomas Schäfer zitiert: „Wir müssen deshalb jetzt noch mal nachlegen und die Voraussetzungen schaffen, um langfristig erfolgreich zu sein. Weitere vier Milliarden Euro müssen laut Handelsblatt eingespart werden.
Standortschließung bei VW? Das gab es noch nie in Deutschland.
Stichwort Beschäftigungssicherung
Die Situation heizt den Konflikt zwischen Vorstand, Betriebsrat sowie IG Metall an. Denn: Auch die seit 1994 geltende Beschäftigungssicherung soll gekündigt werden. Mit dieser sind betriebsbedingte Kündigungen bis 2029 ausgeschlossen. Die Begründung aus der Chefetage: Ein Umbau allein durch Altersteilzeit und Abfindungen reiche nicht mehr aus.
Auch das schlug ein wie eine Bombe: Werkschließungen von fahrzeugproduzierenden und Komponenten-Standorten könnten laut Chefetage ohne ein schnelles Gegensteuern nicht mehr ausgeschlossen werden. Standortschließung bei VW? Das gab es noch nie in Deutschland. Neben dem Stammwerk in Wolfsburg unterhält VW Fabriken in Osnabrück, Hannover, Salzgitter, Emden, Braunschweig, Kassel, Zwickau, Chemnitz und Dresden.
Wo liegt der Fehler?
Wie konnte VW so tief in die Misere rutschen? Standortprobleme, Strukturveränderungen und auch Fehlentscheidungen, analysieren Experten die Situation. Konkret gebe es eine zunehmende internationale Konkurrenz, außerdem hätten hohe Energiekosten und ein großer Investitionsbedarf in der Transformation der Autoindustrie zu der aktuellen Lage geführt. Aus Sicht des Vorstands muss die Kernmarke VW jetzt umfassend restrukturiert werden.
„Der Vorstand hat versagt“
Daniela Cavallo, Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG
Daniela Cavallo: „Der Vorstand hat versagt“
Laut Daniela Cavallo, der Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Volkswagen AG, hat der Vorstand versagt. Die Folge sei ein Angriff auf unsere Beschäftigung, Standorte und Tarifverträge. „Damit steht VW selber und somit das Herz des Konzerns infrage.“ Hiergegen würden sie sich erbittert zur Wehr setzen. „Mit uns wird es keine Standortschließungen geben.“ Statt weiterem Sparen („Kaputtsparen“) schlägt sie Investitionen in Produkte, Komplexität, Prozessabläufe und Synergien vor. Hier müsse der Konzernvorstand endlich Verantwortung übernehmen.
IG Metall: „Inakzeptabel“
Auch Thorsten Gröger, IG Metall-Bezirksleiter und Verhandlungsführer für den VW-Haustarifvertrag, kritisiert die Pläne in einer Pressemitteilung scharf: „Der Vorstand hat heute einen unverantwortlichen Plan präsentiert, der die Grundfesten von Volkswagen erschüttert und Arbeitsplätze sowie Standorte massiv bedroht.“ Dieser Kurs sei nicht nur kurzsichtig, sondern hochgefährlich. „Wir werden mit aller Kraft, notfalls im harten Konflikt, für den Erhalt aller Standorte sowie der Jobs unserer Kolleginnen und Kollegen kämpfen!“
Gröger fordert, dass der Vorstand eine nachhaltige Strategie entwickelt, die Volkswagen langfristig wettbewerbsfähig macht und Arbeitsplätze sichert. Hierzu gehörten eine attraktivere Produktpalette, die Reduzierung von Komplexität und die Optimierung von Abläufen. Insbesondere Konzern-CEO Blume stehe in der Verantwortung, sich vor die Beschäftigten zu stellen und eine klare Zukunftsvision zu kommunizieren. Denn: „Die Transformation der Automobilindustrie kann nur mit engagagierten Belegschaften gelingen, niemals gegen sie!“
„Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig genug“
CDU-Chef Friedrich Merz
Wie geht es nun weiter?
Die IG Metall fordert von Volkswagen, die anstehenden Tarifverhandlungen nicht hinauszuzögern und zügig an den Verhandlungstisch zu kommen – schon im September statt erst im Oktober.
Auch die Politik meldet sich zu Wort. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der auch im VW-Aufsichtsrat sitzt, forderte VW auf, Standortschließungen zu vermeiden: „Die Landesregierung wird darauf ein besonderes Augenmerk legen.“
CDU-Chef Friedrich Merz nutzt indes gleich die Gelegenheit für einen Angriff auf die Bundesregierung: Es sei ein wirtschaftspolitischer Weckruf, denn „Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig genug“. Neben der Autoindustrie betreffe das auch die Chemiebranche und den Maschinenbau.
Konkrete Zahlen, wie viele der rund 120.000 Stellen in Deutschland auf der Kippe stehen, nannte VW bisher nicht. Auch zu möglichen Standorten, die geschlossen werden könnten, gibt es noch keine Angaben. Medienberichten zufolge hält der Markenvorstand aber mindestens ein Fahrzeugwerk und eine Komponentenfabrik in Deutschland für entbehrlich. Wo das sein wird? Letztlich dürfte – wenn – dort ein Werk geschlossen werden, wo es politisch am besten durchgesetzt werden kann.
Und die Aussichten sind leider mehr als trübe: Seit Monaten wird ein stetiger Anstieg der Insolvenzen und eine zunehmende Arbeitslosigkeit beobachtet. VW wird wohl nicht der einzige Großkonzern sein, der in absehbarer Zeit in den Schlagzeilen landet. (cbo)