Liebe Nutzer,
für ein optimales und schnelleres Benutzererlebnis wird als Alternative zum von Ihnen verwendeten Internet Explorer der Browser Microsoft Edge empfohlen. Microsoft stellt den Support für den Internet Explorer aus Sicherheitsgründen zum 15. Juni 2022 ein. Für weitere Informationen können Sie sich auf der Seite von -> Microsoft informieren.
Liebe Grüße,
Ihr ifb-Team
Streit über die Höhe angemessener Nachtarbeitszuschläge nach § 6 Abs. 5 ArbZG: Eine Erhöhung des Regelwerts auf 30 % kommt typischerweise bei einer Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit in Betracht.
BAG, Urteil vom 14.12.2022, 10 AZR 531/20
Die Parteien streiten über die Höhe angemessener Nachtarbeitszuschläge. Der Kläger war als Zeitungszusteller in einem Medienunternehmen beschäftigt. Seine Arbeit erbrachte er dauerhaft in der gesetzlichen Nachtzeit. Hierfür erhielt er einen Nachtarbeitszuschlag von 20 % auf seinen Bruttostundenlohn. Zu wenig, fand er, und verlangte ein Zuschlag von insgesamt 30 % - also 10 % mehr - auch für zurückliegende Zeiträume.
In seinem Arbeitsvertrag befand sich allerdings eine typische Ausschlussklausel, wonach alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Frist von drei Monaten geltend gemacht werden müssen. Diese Frist war verstrichen. Gleichzeitig gab es aber eine Betriebsvereinbarung, nach der die Arbeitgeberin in Bezug auf angemessene Nachtarbeitszuschläge auf die Einhaltung von Verfallsfristen verzichtet.
Vor Gericht machte die Arbeitgeberin geltend, der Kläger könne keinen höheren Nachtzuschlag verlangen, weil er nicht weit entfernt von zuhause und nur in den Randstunden der Nachtarbeitszeit gearbeitet habe. Seine Teilhabe am sozialen Leben sei nur gering tangiert gewesen. Zusätzlich führte die Arbeitgeberin ein schweres Argumentationsgeschütz auf: Nicht weniger als das Grundrecht der Pressefreiheit gebiete den Schutz der Arbeitgeberin vor zu hohen Nachtarbeitszuschlägen, zumal die Tageszeitungen ja schon den Mindestlohn der Zusteller verkraften müssten.
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz: Die Arbeitgeberin muss dem Kläger höhere Nachtarbeitszuschläge zahlen.
Der vertragliche Verfallsklausel konnte im vorliegenden Fall nicht greifen, so das Gericht, weil die Betriebsvereinbarung zum Verzicht auf die Verfallseinrede wirksam abgeschlossen und gültig war. Damit kam es tatsächlich auf die Frage der Angemessenheit des Nachtzuschlags nach § 6 Abs. 5 ArbZG an. Das Gericht wies sämtliche Gegenargumente der Arbeitgeberin gegen die Erhöhung des Nachtarbeitszuschlags ab. Weder die eingewendete Leichtigkeit der Tätigkeit noch die geringe Entfernung spielten eine Rolle. Es gehe bei dem Zuschlag um einen Ausgleich für die spezifische Belastung der Nachtarbeit und nicht um die Tätigkeit an sich. Hinsichtlich der Pressefreiheit verwies das Gericht auf eine frühere Rechtsprechung (BAG, Entscheidung vom 10. November 2021, 10 AZR 261/20), nach der die Abwägung zwischen dem Schutz der Pressefreiheit auf der einen und dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten auf der anderen Seite nicht dazu führen dürfe, den Regelwert für die Zuschläge abzusenken. Ein Zuschlag von 25 % sei ohnehin schon nach ständiger Rechtsprechung angemessen. Eine Erhöhung des Regelwerts auf 30 % komme typischerweise bei einer Arbeitsleitung in Dauernachtarbeit in Betracht. Insoweit hatte das BAG an der Auslegung der Vorinstanz zur Angemessenheit nichts auszusetzen. Damit wurde der Klage des Zeitungszustellers vollumfänglich stattgegeben.
Abgesehen davon, dass der Kläger hier höchst erfolgreich einen neuen Regelwert für die Nachtarbeitszuschläge einer ganzen Branche erstritten hat, ist dieses Urteil auch für die Betriebsratsarbeit von Bedeutung. Denn dieses Beispiel zeigt: Ohne die zwischen den Parteien umstrittene Betriebsvereinbarung wäre die Klage ins Leere gelaufen. Die Vereinbarung sagte aus, dass die Arbeitgeberin bezüglich bestimmter Ansprüche auf Zahlung eines angemessenen Nachtzuschlags auf die Einhaltung von Verfallsfristen verzichtet. Damit blieb die Tür geöffnet für die gerichtlichen Auslegungen des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ des § 6 Abs. 5 ArbZG. Das BAG stellte hier noch einmal ausdrücklich fest, dass die Betriebsparteien eine umfassende Kompetenz zur Regelung von Arbeitsbedingungen haben und dass dazu auch Regelungen über Ausschlussfristen zählen. Mit Blick auf die sich ständig fortentwickelnde Rechtsprechung – gerade zu unbestimmten Rechtsbegriffen wie „erforderlich“ oder „angemessen“ – und unter Berücksichtigung der langen Dauer solcher Gerichtsverfahren machen daher Betriebsvereinbarungen zum partiellen Verzicht auf Verfallsklauseln absolut Sinn. (mb)