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Eines der größten Online-Möbelhäuser in Deutschland sah sich gegenüber Wettbewerbern aus dem Ausland benachteiligt und beantragte bei der zuständigen Behörde eine Ausnahmegenehmigung für Sonntagsarbeit. Die lehnte ab, und die Klage auf Bewilligung vor dem Verwaltungsgericht scheiterte ebenfalls.
VG Berlin, Urteil vom 27.04.2023, VG 4 K 311/22
Das Online-Möbelhaus bedient an Sonntagen direkte Kundenanfragen mit deutschsprachigen Kundenservice-Angestellten, die in Callcentern in Polen und Irland beschäftigt sind. Nun wollte es in Sachsen arbeitende Beschäftigte des eigenen Kundenservice ebenfalls am Sonntag beschäftigen. Es berief sich dabei auf die Bewilligungsvorschrift des § 13 Abs. 5 ArbZG, die es ermöglicht, Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit zuzulassen. Dies ist der Fall, wenn u.a. die wöchentlich zulässige Betriebszeit schon weitgehend ausgenutzt ist und trotzdem der Sonntag zusätzlich gebraucht wird, weil die Konkurrenz im Ausland auch an Sonntagen arbeitet. Laut Möbelhaus würde zum Beispiel Amazon aus dem Ausland operieren und den Kundenservice sieben Tage die Woche rund um die Uhr anbieten.
Interessant ist dieser Fall wegen der Argumentation der Klägerin, dem Möbelhaus. Die Klägerin wusste, dass die Ausnahmevorschrift bei ihr eigentlich nicht greift. Denn die Ausnahme vom Verbot der Sonntagsarbeit ist nur möglich, wenn wöchentlich bereits nahezu 144 Stunden gearbeitet wird. Da kam der Kundenservice der Klägerin aber nicht ansatzweise heran. Darum versuchte sich der Möbelhändler mit einer verwegenen Auslegung: Für Dienstleistungsbetriebe ohne Schichtbetrieb könne bei dem Verständnis der weitgehenden Ausschöpfung der Betriebszeit von 144 Wochenstunden, anders als in Produktionsbetrieben, die Ausnahme vom Verbot der Sonntagsarbeit praktisch nie greifen. Schließlich würden die Kunden nachts schlafen und bräuchten dann keinen Kundenservice. Aber sonntags wollten die Kunden shoppen und beraten werden. Da der Gesetzgeber Dienstleister aber sicher nicht benachteiligen wollte, käme es daher nicht auf die Ausschöpfung der gesetzlich zulässigen Wochenbetriebszeit insgesamt, sondern nur auf die betriebswirtschaftlich sinnvolle zulässige Betriebszeit an. Und die sei von der Klägerin schon weitgehend ausgeschöpft.
Das Verwaltungsgericht erteilte der Klage eine deutliche Abfuhr. Etwas vereinfacht ausgedrückt: Könnte der Arbeitgeber den Maßstab selbst bestimmen, an dem sich die weitgehende Ausschöpfung der zulässigen Betriebszeit orientiert, könnte man den behördlichen Bewilligungsvorbehalt zum Schutz der Arbeitnehmer an Sonntagen gleich ganz abschaffen. Das Betriebskonzept eines jeden Betriebes habe sich am Sonn- und Feiertagsschutz auszurichten, aber umgekehrt müsse sich dieser nicht neuen Geschäftsideen unterordnen. Die Verbraucher müssten es verschmerzen, wenn sie sonntags nicht beraten würden, und das Umsatzinteresse der Klägerin genüge in keinem Fall, um Ausnahmen vom Sonn- und Feiertagsschutz zu rechtfertigen. Das Gericht hob besonders hervor, dass der Gesetzgeber mit seinen Bestimmungen zum Regel-Ausnahmeverhältnis für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen grundsätzlich zum Ausdruck gebracht habe, dass typische werktägliche Arbeit an Sonntagen zu ruhen habe. Das Verbot der Sonntagsarbeit besitze sogar Verfassungsrang. Wörtlich: „Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse und ein alltägliches Erwerbsinteresse (Shopping-Interesse) der Verbraucher genügen grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Arbeitsruhe … zu rechtfertigen.“ Damit wies das Gericht die Auslegungsversuche der Klägerin in die Schranken. Es bleibt bei der Anforderung, dass wöchentlich erst bis zu 144 Betriebsstunden ausgeschöpft sein müssen, bevor überhaupt an eine Ausnahmegenehmigung für Sonntagsarbeit zu denken sein kann.
Das grundsätzliche Verbot der Sonntagsarbeit ist für viele Arbeitgeber ein wahrer Dorn im Auge. Wir haben es hier mit einem typischen Fall zu tun, wie durch eine Auslegungsargumentation auf Grund des vermeintlichen Gesetzeszwecks und des vermeintlichen gesetzgeberischen Willens versucht wird, eine an sich klare gesetzliche Regelung auf den Kopf zu stellen. Bemerkenswert sind die entlarvenden Worte des VG Berlin zum „Shopping-Interesse“ der Käufer und dem „Umsatzinteresse“ der Klägerin. Es bedarf schon einer gewissen Tollkühnheit, in einen solchen Rechtsstreit zu gehen, wenn die Anforderung des Gesetzes zur weitgehenden Ausschöpfung der wöchentlichen Betriebszeit so eklatant verfehlt wird wie im vorliegenden Fall. Es schimmerte in der Argumentation der Klägerin eine Ansicht durch, die den Schutz der Sonntagsruhe für antiquiert hält, was das Gericht womöglich dazu veranlasste, umso deutlicher die Bedeutung der gesetzlichen Sonntagsruhe zu unterstreichen. Sollte die Klage auch politisch motiviert gewesen sein (Aufweichung des Verbots der Sonntagsarbeit), ist der Schuss deutlich nach hinten losgegangen. Dieses Urteil dürfte von Arbeitgeberseite wohl selten zitiert werden. Dafür ist es in der Betriebsratsarbeit nützlich, um jede Diskussion um ungeliebte Sonntagsarbeit zu würzen. (mb)