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Arbeitgeber und Betriebsrat streiten darüber, ob eine vom Arbeitgeber vorgenommene Kürzung der Bezüge des freigestellten Betriebsratsvorsitzenden eine mitbestimmungspflichtige personelle Einzelmaßnahme (Ein- oder Umgruppierung) nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG darstellt. Das Gericht hat dies verneint, das Urteil ist nicht rechtskräftig.
LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.05.2023, 12 TaBV 1/23
Spätestens seit den öffentlich stark beachteten Strafverfahren gegen Ex-Personalmanager des Volkswagen-Konzerns wegen verbotener Begünstigung des Betriebsrats (§ 119 BetrVG) und dem damit erhobenen Vorwurf der Untreue (§ 266 StGB) ist die Vergütungsfrage für freigestellte Betriebsräte extrem heikel und aufgrund einer möglichen Strafbarkeit für manchen existenzbedrohend.
Im vorliegenden Fall geht es zwar nicht um Millionenbeträge, doch immerhin hat sich auch in dem 500-Mitarbeiter-Betrieb im Laufe der Jahre eine erkleckliche finanzielle Entwicklung bei dem Vorsitzenden des 11er Gremiums eingestellt. Als Schlosser verdiente der Betriebsratsvorsitzende im Zeitpunkt seiner Wahl zum Vorsitzenden im Jahr 2002 brutto rund 4.200,00 Euro monatlich (bereits inklusive „Sonderpauschale“ und „Funktionspauschale“). Knapp 20 Jahre später lag die Vergütung des freigestellten Vorsitzenden bei rund 13.500 Euro monatlich, ein Firmenwagen zur privaten Nutzung inklusive. Dieser steht in dem Betrieb sonst nur dem Vorstand und Prokuristen zu. Vermutlich aufgeschreckt von den Vorgängen bei Volkswagen überprüfte der Arbeitgeber die Bezüge seines Betriebsratsvorsitzenden im letzten Jahr und kürzte diese auf weniger als die Hälfte zusammen und strich den Firmenwagen.
Der Betriebsrat sah sich übergangen und verlangte vom Arbeitgeber, die Zustimmung des Betriebsrats zur Ein- bzw. Umgruppierung des Vorsitzenden einzuholen. Diese hätte der Betriebsrat natürlich niemals erteilt, er trug ausdrücklich vor, die letzte Vergütung des Vorsitzenden vor der Kürzung müsse fortbezahlt werden. Er berief sich auf § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, der personelle Einzelmaßnahmen wie eine Eingruppierung zustimmungspflichtig durch den Betriebsrat macht. Der Arbeitgeber wiederum argumentierte bemerkenswerterweise so, dass er seine eigene langjährige Praxis der Vergütung des Vorsitzenden indirekt als rechtswidrig bezeichnete und gar keine andere Wahl gehabt hätte, als zur Vermeidung einer Strafverfolgung die Bezüge zu kürzen. Auf die Zustimmung des Betriebsrats könne es dabei nicht mehr ankommen.
Das Gericht folgte inhaltlich weder dem Argument des Betriebsrats noch dem des Arbeitgebers. Vielmehr stellte es fest, dass die Kürzung der Bezüge des freigestellten Betriebsratsvorsitzenden keine Ein- oder Umgruppierung gewesen sei, also eine Mitbestimmung nach § 99 BetrVG ausschied. Darum lehnte es den Antrag des Betriebsrats ab.
Um das zu verstehen, muss man sich ein wenig mit dem Wesen einer Freistellung und dem einer Ein- bzw. Umgruppierung auseinandersetzen. Bei einer Ein- bzw. Umgruppierung wird die Tätigkeit eines Mitarbeiters dahingehend bewertet, welche Merkmale einer Entgeltgruppe zutreffen oder auch nicht. Der Betriebsrat hat dabei ein Mitbeurteilungsrecht, weil er die betriebliche Praxis im Blick hat und beurteilen kann, was gleiche oder vergleichbare Fälle im Betrieb ausmachen. Er kann somit der innerbetrieblichen Entgeltgerechtigkeit dienen.
Das Wesen der Freistellung eines Betriebsrats liegt dagegen darin, dass der freigestellte Betriebsrat sich ausschließlich dem Betriebsratsamt widmet und gar nicht mehr in seinem ursprünglichen Beruf im Betrieb arbeitet. Deshalb kann es auch keine Ein- oder Umgruppierung eines freigestellten Betriebsrats geben. Für die Tätigkeit als Betriebsratsvorsitzer gibt es auch keine Entgeltgruppe – darf es nicht einmal geben, weil das Amt schließlich ein Ehrenamt ist. Darum wird die Vergütung von freigestellten Betriebsräten nach § 37 Abs. 4 BetrVG bemessen. Danach ist quasi darauf abzustellen, was der freigestellte Betriebsrat verdienen würde, wäre er nicht freigestellt worden und würde noch im Betrieb arbeiten. Und diese Bewertung ist im Unterschied zur Eingruppierung nicht zustimmungspflichtig. Logisch, dass eine solche „was-wäre-gewesen-wenn“-Betrachtung extrem unscharf ist und zu breiten Interpretationen einlädt, siehe Volkswagen.
Im vorliegenden Fall hat der Arbeitgeber zur Neubestimmung des Gehalts des Betriebsratsvorsitzenden 10 Vergleichsmitarbeiter aus der Produktion des Betriebs bestimmt und daraus eine Durchschnitts-Eingruppierung ermittelt, und diese dann der Bemessung des neuen Gehalts zugrunde gelegt. Ob dies rechtlich einwandfrei ist und die Bezüge des Vorsitzenden damit korrekt gekürzt wurden, ist keine Frage des Gremiums, sondern des individuellen Arbeitsverhältnisses des freigestellten Vorsitzenden.
Das Themenfeld der Betriebsratsvergütung ist ein Trümmerfeld. Will man ernsthaft einen freigestellten Betriebsratsvorsitzenden mit seiner Verantwortung für folgenschwere Entscheidungen mit Wirkung für hunderte, wenn nicht tausende Kollegen genau so bezahlen, wie Kollegen im Betrieb, die diese Verantwortung nicht schultern? Aber wo wird der Bereich der hypothetisch denkbaren „normalen“ beruflichen Entwicklung im Betrieb als Vergleichsmaßstab für den freigestellten Betriebsrat verlassen? So lässt im vorliegenden Fall aufhorchen, dass der Vorsitzende laut unwidersprochenem Vortrag das Angebot seines Arbeitgebers abgelehnt habe, in eine Stabsstelle direkt unterhalb des Vorstands zu wechseln. Ein solches Angebot dürfte ein hypothetischer Vergleichs-Schlosser im Betrieb vermutlich niemals erhalten. Allein das beweist, wie schräg solche Vergleiche am Ende sind.
Wichtig für die Gremienarbeit ist jedoch, sich in diesen Fragen von niemanden instrumentalisieren zu lassen. Es sollte schon zu bedenken geben, wenn der Vorsitzende eines Tages mit einer Dienstlimousine auf dem Parkplatz aufkreuzt. Die Wiederwahlen scheinen ihn in seiner Stellung zwar bestätigt zu haben. Wenn es um das Gehalt des Vorsitzenden geht, sollte sich das Gremium aber dennoch besser bedeckt halten. (mb)