Liebe Nutzer,
für ein optimales und schnelleres Benutzererlebnis wird als Alternative zum von Ihnen verwendeten Internet Explorer der Browser Microsoft Edge empfohlen. Microsoft stellt den Support für den Internet Explorer aus Sicherheitsgründen zum 15. Juni 2022 ein. Für weitere Informationen können Sie sich auf der Seite von -> Microsoft informieren.
Liebe Grüße,
Ihr ifb-Team
Ist eine Mitarbeiterin dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt, ist grundsätzlich für einen Zweijahreszeitraum eine zur Vertretung befristete Kraft einzustellen, um eine dauerhafte Doppelbesetzung des betreffenden Arbeitsplatzes zu vermeiden. Außerdem muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat alle Gründe mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss herbeigeführt haben.
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 10.01.2024, 3 Sa 74/23
Die Arbeitnehmerin streitet mit der Arbeitgeberin, die im Bereich des Ventilatorenbaus tätig ist, über die Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung.
Die Arbeitnehmerin ist Bilanzbuchhalterin. Seit Anfang Dezember 2021 war sie dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt, nachdem sie kurze Zeit vorher schon mehrfach vorübergehend wegen Erkrankung arbeitsunfähig gewesen ist. Sie wurde zweimal zur Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements eingeladen. Unter anderem mit dem Hinweis auf die noch bestehende Arbeitsunfähigkeit lehnte sie die Einladungen ab.
Die Arbeitgeberin hat den Betriebsrat mit Schreiben vom 4. November 2022 zur beabsichtigten personenbedingten Kündigung angehört. Dieser stimmte der beabsichtigten Kündigung zu. Das Anhörungsschreiben lautet auszugsweise:
„1. *(…). Die Fehlzeiten rechtfertigen die Besorgnis, dass auch zukünftig nicht mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist. (…)
2. Durch den langfristigen Ausfall von Frau H… sind erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen entstanden. Dieses Modell funktioniert so nicht mehr. (…)
Es wurde versucht alle Aufgaben (…) auf andere Mitarbeiter*innen zu verteilen (…). Die Arbeitsabläufe können aus unternehmerischer Sicht nicht mit der gewohnten Sorgfalt ausgeführt werden. Die konstant erhöhte Arbeitslast ist für unsere Mitarbeiter dauerhaft nicht tragbar. Der Arbeitsplatz muss zumindest teilweise ersetzt werden. (…)
Gegen die folgende Kündigung erhob die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage. Sie meint, es bestehe keine negative Prognose. Die sie behandelnden Ärzte hätten ihr gesagt, dass sie sicher bis Oktober 2024 wieder arbeitsfähig sein werde. Eine betriebliche Beeinträchtigung bestritt sie. Dies beziehe sich auch auf die dauerhafte interne Nachbesetzung ihrer Stelle durch Frau C.
Das zuständige Arbeitsgericht hielt die Kündigung für unwirksam. Gegen dieses Urteil hat die Arbeitgeberin Berufung eingelegt.
Die Arbeitgeberin hat hier unter anderem vorgetragen, dass die Mitarbeiterin Frau C. die Tätigkeit der Arbeitnehmerin bereits im Oktober 2022 (vor der Anhörung des Betriebsrats) übernehmen musste. Sie sei seit Januar 2022 in diese Tätigkeit eingearbeitet worden. Für ihre Stelle im Sekretariat sei eine weitere Mitarbeiterin dauerhaft eingestellt worden.
Die Kündigung ist sowohl mangels sozialer Rechtfertigung gemäß § 1 Abs. 1 KSchG als auch aufgrund mangelhafter Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, so das Gericht.
Die Arbeitgeberin habe im Verfahren nicht ausreichend dargelegt, dass die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigt sind.
Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit sei in aller Regel ohne Weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Eine Ungewissheit hinsichtlich der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit stehe einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn jedenfalls in den nächsten 24 Monaten mit einer Genesung nicht gerechnet werden könne.
Die Arbeitgeberin könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass mit einer Genesung der Arbeitnehmerin in den nächsten 24 Monaten ab Zugang der Kündigung nicht gerechnet werden könne. Hierzu würden nämlich konkrete Angaben in der erforderlichen Betriebsratsanhörung zur beabsichtigten Kündigung fehlen.
Der Arbeitgeber müsse dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt hatten. In der Betriebsratsanhörung hieß es lediglich, dass „die Besorgnis bestehe, dass auch zukünftig nicht mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen sei.“ Dies sage aber noch nichts über die spezifische langfristige (24 Monate) Ungewissheit hinsichtlich der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit aus. Die langfristige Ungewissheit sei damit wohl gerade nicht Teil der Kündigungsentscheidung der Arbeitgeberin gewesen.
Im Weiteren mache die Arbeitgeberin in ihrer Begründung erst- und zweitinstanzlich und auch in der Betriebsratsanhörung klar, dass das Vertretungsmodell aus ihrer Sicht schon vor Ausspruch der Kündigung gescheitert sei und deshalb eine andere Lösung angestrebt werde. Das sei die dauerhafte Übernahme der Arbeitstätigkeiten der Arbeitnehmerin durch Frau C., verbunden mit der Kündigung der Arbeitnehmerin. Selbst unterstellt, dass das Vertretungsmodell tatsächlich nicht – mehr – praktikabel sei, rechtfertige dies nicht den Schluss, dass die Arbeitnehmerin dauerhaft durch eine andere Arbeitskraft ersetzt werden müsse.
Der eigentliche Grund für die betrieblichen Beeinträchtigungen sei – nach alldem was die Arbeitgeberin vorträgt – vielmehr die angeblich erforderliche dauerhafte Beschäftigung der Frau C. auf dem Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin. Damit würde eine unbefristete Doppelbesetzung auf einem Arbeitsplatz einhergehen, was in der Tat eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung darstelle.
Eine Kündigung stelle immer die letzte mögliche Maßnahme dar, wenn es keine –zumutbaren – milderen Maßnahmen gibt, um der erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen Herr zu werden (= Grundsatz der Verhältnismäßigkeit/Ultima-Ratio-Prinzip). Gibt es eine weniger einschneidende Möglichkeit als eine Kündigung, muss ein Arbeitgeber diese wählen.
Einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten könne ein Arbeitgeber typischerweise ohne Schwierigkeiten durch Einstellung einer Ersatzkraft mit einem zeitbefristeten Arbeitsverhältnis überbrücken.
Schon unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit wäre es der Arbeitgeberin zuzumuten gewesen, für einen Zweijahreszeitraum eine zur Vertretung befristete Kraft einstellen, um genau die zuvor beschriebene erheblich beeinträchtigende dauerhafte Doppelbesetzung zu vermeiden. Dies mag im Einzelfall arbeitsmarkt- oder aufgabenbedingt nicht in Betracht kommen. Das sei dann aber durch konkrete erfolglose Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt oder konkrete Ausführungen zur Spezifik der geschuldeten Arbeitsleistung zu belegen. Dazu reiche der Vortrag der Arbeitgeberin aber nicht aus. Es sei schon unklar, weshalb sie eine externe befristete Lösung nicht zumindest versucht habe.
Fraglich bleibe auch, weshalb die Mitarbeiterin Frau C. zwingend dauerhaft die Tätigkeiten der Arbeitnehmerin übernehmen muss. Zum Beispiel hätte man entweder Frau C. oder auch der Arbeitnehmerin - nach deren Rückkehr - eine andere Position zuweisen können. Ebenso hätte die ursprüngliche Stelle von Frau C. durch befristete Einstellung für deren Rückkehr freigehalten werden können.
Die Kündigung sei im Übrigen auch unwirksam, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei.
Der Arbeitgeber habe dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Dieser müsse in die Lage versetzt werden, sachgerecht, das heißt gegebenenfalls zugunsten des Arbeitnehmers, auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken. Dazu müsse er die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können.
Nach eigenem Vortrag der Arbeitgeberin war für die betriebliche Beeinträchtigung, welche die Kündigung rechtfertigen sollte, entscheidend, dass die Stelle der Arbeitnehmerin dauerhaft durch Frau C. besetzt werden soll. Denn damit würde die Arbeitsleistung der Arbeitnehmerin überflüssig werden, weshalb ihr gekündigt werden müsse. Die Entscheidung für Frau C. hatte die Arbeitgeberin schon vor Anhörung des Betriebsrats und damit vor Ausspruch der Kündigung getroffen. Genau dieser Vortrag fehle aber in der Betriebsratsanhörung komplett.
Die soziale Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist in drei Stufen zu prüfen. Eine Kündigung ist im Falle einer langanhaltenden Krankheit sozial gerechtfertigt, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt – erste Stufe –, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist – zweite Stufe – und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führt – dritte Stufe. (sf)