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Verantwortung und Vergütung: Bereitschaft rund um die Uhr?

Dauerhaft erreichbar? In der Arbeitswelt von heute verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr. Doch rechtlich zählt nur eines: Klarheit. Nur weil jemand verfügbar ist, heißt das noch lange nicht, dass schon Arbeitszeit vorliegt. Vor allem die Anordnung von Bereitschaftsdienst braucht klare Regeln und nachvollziehbare Fakten.

Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 11.04.2025 – See 1 Ca 180/23

Stand:  20.5.2025
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Das ist passiert

Ein Kapitän, angestellt bei einer Reederei, forderte rund 109.000 Euro für mehr als 11.000 Stunden sogenannter Bereitschaftszeit. Der HTV-See beinhaltet für Kapitäne keine pauschale Überstundenvergütung. Das Argument des Klägers: Auch in der dienstfreien Zeit an Bord habe er jederzeit aus Sicherheitsgründen einsatzbereit sein müssen – das belegten interne E-Mails, in denen unter anderem ein absolutes Alkoholverbot auch außerhalb der Dienstzeit gefordert wurde. Für den Kapitän ein klarer Fall: Wer keinen Alkohol in seiner Freizeit trinken darf, muss jederzeit einsatzbereit sein. Diese ständige Bereitschaft sei Arbeitszeit und müsse vergütet werden.

Die Reederei sah das anders. Die Mitarbeiterin, mit der der Kapitän die E-Mail-Korrespondenz geführt hatte, sei ihm gegenüber nicht weisungsbefugt gewesen. Unabhängig davon habe der Kläger in der E-Mail von der Mitarbeiterin keine offizielle Anweisung, sondern nur einen allgemeinen Hinweis auf die Sicherheitsregeln an Bord erhalten.

Kernfrage vor Gericht war: Ist die alkoholfreie Freizeit auf einem Schiff Arbeitszeit, insbesondere vergütungspflichtiger Bereitschaftsdienst?

Das entschied das Gericht

Das Gericht wies die Klage ab. 

Im Mittelpunkt der gerichtlichen Prüfung stand die Frage, ob das Verhalten des Kapitäns an Bord tatsächlich den Voraussetzungen eines vergütungspflichtigen Bereitschaftsdienstes entsprach. Gemäß der ständigen Rechtsprechung (u.a. BAG, Urteil vom 17.04.2019 – 5 AZR 250/18) wird Bereitschaftsdienst im deutschen Arbeitsrecht als eine Form der Arbeitszeit angesehen, bei der der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und bei Bedarf sofort die Arbeit aufzunehmen. Dies kann sowohl innerhalb als auch außerhalb des Betriebs geschehen. Während des Bereitschaftsdienstes darf der Arbeitnehmer ruhen oder sich anderweitig beschäftigen, solange seine Arbeitsleistungen nicht erforderlich sind.

Die zentrale Einschränkung lautet also: In dieser Zeit kann der Arbeitnehmer nicht frei über die Nutzung seiner Zeit verfügen – „Bereitschaftsdienst ist die Zeit wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung“ (BAG, Urteil vom 29.03.2023 – 5 AZR 446/21).

Das Gericht betonte, dass genau dieser Zustand im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen sei. Der Kläger habe keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgelegt, dass er über seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus regelmäßig oder auch nur gelegentlich zur Arbeit herangezogen wurde. Weder habe es feste Anweisungen für Bereitschaftszeiten gegeben, noch sei er nach eigener Darstellung tatsächlich wiederholt außerhalb der regulären Dienstzeit zum Einsatz gekommen.

Auch die E-Mail mit dem Alkoholverbot, die der Kläger als implizite Weisung zur ständigen Einsatzbereitschaft wertete, genügte dem Gericht nicht als Beleg. Aus Sicht der Richter handelte es sich hierbei um eine unternehmensinterne Sicherheitsrichtlinie – nicht um eine arbeitsrechtlich bindende Dienstanweisung. 

Zudem wies das Gericht darauf hin, dass der Hinweis für die Garantie der Sicherheit auf dem Schiff – etwa bei Notfällen wie Bränden, technischen Havarien oder Rettungsaktionen – keine dauerhafte Verfügbarkeitspflicht begründe. Notfälle seien per Definition seltene, unvorhersehbare Ereignisse. Wer als Kapitän in solchen Situationen bereitstehen müsse, sei damit noch lange nicht dauerhaft in Bereitschaft. Es fehle an der ständigen Möglichkeit eines Einsatzes, die den Kern des Bereitschaftsdienstes ausmacht.

Schließlich betonte das Gericht, dass es auch keine stillschweigende Anordnung eines Bereitschaftsdienstes gegeben habe. Ein solcher Fall könnte beispielsweise dann vorliegen, wenn der Kapitän regelmäßig auch außerhalb der regulären Arbeitszeit eingesetzt worden wäre – doch entsprechende Tatsachen hatte der Kläger nicht dargelegt.

Da es weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Anordnung von Bereitschaftsdienst gab, sah das Gericht keinen Anspruch auf Vergütung. Damit stellte sich auch die Frage nicht mehr, ob ein solcher Dienst – hätte er denn vorgelegen – überhaupt zusätzlich zu vergüten wäre. Dahin gestellt bleiben konnte daher auch, ob die Absenderin der E-Mail eine solche Anordnung hätte aussprechen dürfen.
 

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des Gerichts bietet Orientierung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht nur im Bereich der Seefahrt. Im Zentrum steht die Frage: Wann liegt vergütungspflichtiger Bereitschaftsdienst vor – und wann nicht?

Zunächst ist eine klare Anordnung erforderlich. Bereitschaftsdienst muss ausdrücklich oder zumindest konkludent (also durch tatsächliches Verhalten) vom Arbeitgeber angeordnet werden. Weiter gibt es ohne Anweisung keine Vergütung. Ein Notfall-Einsatz ist nicht gleichbedeutend mit Bereitschaftsdienst. Die bloße Möglichkeit, in einem Notfall einspringen zu müssen, reicht nicht aus. Notfälle sind seltene Ausnahmen – keine planbare Arbeitszeit. Ferner ist ein Alkoholverbot nicht automatisch eine Arbeitsanweisung zu einem Bereitschaftsdienst.  Sicherheitsrichtlinien wie ein Alkoholverbot dienen dem Schutz von Besatzung und Passagieren, stellen aber keine arbeitsrechtliche Anordnung von Arbeitszeit dar. Auch dürfen nur weisungsbefugte Personen mit entsprechender Personalverantwortung Arbeitszeiten regeln. Aussagen zur Verfügbarkeit durch nicht weisungsbefugte Mitarbeiter haben keine rechtliche Bindung. Wichtig ist vor allem, dass die Beweislast beim Kläger liegt. Wer als Arbeitnehmer Geld für Bereitschaftsdienst will, muss nachweisen, dass dieser tatsächlich geleistet wurde – etwa durch Dokumentation von Einsätzen oder Arbeitsanweisungen. Und last but not least, Freizeit bleibt Freizeit. Selbst an Bord eines Schiffes ist dienstfreie Zeit nicht automatisch Arbeitszeit – auch wenn bestimmte Regeln gelten. Aber man muss nicht an Bord eines Schiffes arbeiten: wer als Arbeitnehmer ständig freiwillig E-Mails außerhalb seiner Arbeitszeit checkt oder mit Kollegen in seiner Freizeit dienstlich telefoniert, macht dies ohne Vergütungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber. (al)

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