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SBV-Anhörung zur Kündigung: Kopie des Anhörungsschreibens an den Personalrat ist nicht ausreichend

Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist unwirksam. Die Vertrauensperson muss über den Vorgang unterrichtet und ihr muss Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Die Weiterleitung einer Kopie des Schreibens, in dem der Personalrat zur Zustimmung der beabsichtigten Kündigung aufgefordert wird, genügt hierbei nicht.

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 7. März 2023, 5 Sa 127/22

Stand:  20.2.2024
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Das ist passiert

Die Arbeitnehmerin war seit 1. September 2021 bei der Stadt in Vollzeit beschäftigt; ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 war ihr vom Versorgungsamt befristet bis 31.Oktober 2022 zuerkannt worden. Seit dem 1.Dezember 2021 war sie durchgängig arbeitsunfähig erkrankt, die Stadt beantragte am 8. Februar 2022 mit Schreiben an den Personalrat dessen Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung. Die Stadt bezog sich hierbei ausdrücklich auf das Mitbestimmungsrecht des Personalrats bei Kündigungen gem. § 68 Abs. 1 Nr. 2 Personalvertretungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Am gleichen Tag übersandte sie der SBV eine Kopie dieses Schreibens. 

Der Personalrat stimmte der Kündigung in seiner Sitzung am 16.Februar 2022, an der auch die Schwerbehindertenvertretung teilgenommen hatte, nicht zu. Die Stadt kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 21.02.2022 ordentlich zum 31.03.2022. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin stattgegeben. Die Berufung der Stadt vor dem Landesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg, die Revision wurde nicht zugelassen. 

Das entschied das Gericht

Der Arbeitgeber hat nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers, die ohne diese Beteiligung erfolgt, ist nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam.

Die Unterrichtungspflicht umfasst eine ausführliche Schilderung des Sachverhalts und der Gründe, die zur Kündigung geführt haben, soziale und persönliche Daten (Grad der Behinderung, Lebensalter, Beschäftigungsdauer, Unterhaltspflichten) sowie die Schilderung weiterer Umstände, die bei objektiver Betrachtung sich zugunsten des Arbeitnehmers auswirken könnten. Die Richter betonen, dass die Informationen so umfassend sein müssen, dass die SBV damit in die Lage versetzt wird, eine fundierte Stellungnahme abzugeben, ohne nochmals eigene Nachforschungen anstellen zu müssen.

Anhörung bedeutet: Der Vertrauensperson wird Gelegenheit zur Äußerung gegeben, der Arbeitgeber hat sich mit diesen Argumenten auseinanderzusetzen und muss sie erkennbar in seine Entscheidungsfindung einbeziehen bzw. sie zumindest mitbedacht haben.

Eine ordnungsgemäße Anhörung liegt also nur vor, wenn der Arbeitgeber die SBV so umfassend unterrichtet, dass sie in der Lage ist, sich ein umfassendes Bild von der Situation zu machen, um dann mit ihrer eigenen Stellungnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers einwirken zu können.

Nach Ansicht der Richter hat der Arbeitgeber mit der bloßen Weiterleitung der Kopie seine Pflicht nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht erfüllt: Die SBV konnte nicht erkennen, dass damit ihr eigenständiges Beteiligungsverfahren an der Kündigung der Arbeitnehmerin nach dem SGB IX eingeleitet werden sollte; in dem Schreiben wurde explizit nur auf das Mitbestimmungsrecht des Personalrats nach dem Personalvertretungsrecht Bezug genommen. 
Die Kündigung ist wegen der fehlenden Anhörung der Schwerbehindertenvertretung unwirksam.

SBV-Tipp

Unabhängig von der umfassenden Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers sollten Sie als SBV immer das Gespräch mit dem Betroffenen und ggf. dessen Vorgesetzten suchen und sich mit dem Betriebs- oder Personalrat austauschen, um sich ein eigenes Bild von der aktuellen Situation machen. 

Mögliche Aspekte für eine Stellungnahme sind:

  • Genaue Krankheitsdiagnose, Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit, mögliche Hilfsmittel, die Betroffene unterstützen könnten 
  • Berufliche Entwicklung und Persönlichkeit (Zuverlässigkeit, Fortbildungen etc.)
  • Welche Maßnahmen hat der Arbeitgeber unterstützend getroffen bzw. unterlassen (BEM-Verfahren, Umgestaltung der Arbeitsorganisation)?
  • Betriebliche Situation (mögliche Versetzung, ggf. nach Einarbeitung)
  • Persönliche Situation (Familienstand, Alter, Unterhaltspflichten, Chancen auf dem Arbeitsmarkt)

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