Betriebsbegehungen als Basis: Wie Sie mit sieben Schritten Ihre SBV-Strategie entwickeln
Machen Sie sich ein eigenes Bild von der jeweiligen Arbeitsplatzsituation vor Ort: In großen Betrieben oder im produzierenden Gewerbe sollten Sie – idealerweise mit dem Betriebsarzt, einem Mitglied des Ausschusses für Arbeitssicherheit oder einem Betriebsratskollegen – eine Betriebsbegehung durchführen. In kleineren Betrieben genügt die gezielte Kontaktaufnahme mit den Kollegen. Zusätzlicher Vorteil: Nutzen Sie die Gelegenheit, sich im Unternehmen bekannt zu machen und teilen Sie dabei Ihre Kontaktdaten sowie die Zeiten für Sprechstunden mit.
Schritt eins: Tipps für das erste Kennenlernen bei der Betriebsbegehung
Suchen Sie das Gespräch mit den betreuten Kollegen und stellen Sie offene Fragen: Wie zufrieden sind die Kollegen mit der aktuellen Arbeitsplatzsituation? Gibt es etwas, das sofort und ohne großen Aufwand verändert werden kann (z.B. ein höhenverstellbarer Schreibtisch, der Rückenprobleme lindern würde)? Oder gibt es Maßnahmen, die mehrere Kollegen betreffen und die mittel- oder langfristig umgesetzt werden können (z.B. Umbaumaßnahmen in Produktionsstätten). Mit dem Ergebnis haben Sie gleich einen ersten Baustein für Ihre Strategie gefunden, was Sie als SBV kurz- mittel- und langfristig an der konkreten Arbeitsplatzsituation Ihrer Kollegen verbessern können.
SBV-Tipp!
- Mit dem Verzeichnis des Arbeitgebers verschaffen Sie sich einen schnellen Überblick über die zu betreuenden Kollegen.
- Überlegen Sie, ob Sie die Aussagen zu den individuellen Arbeitsplatzsituationen in eine Schwerbehinderten-Datei einpflegen möchten. Holen Sie sich hierfür die notwendige Einwilligung der Kollegen.
Schritt zwei: Der eigene Blick von außen – Was ist Ihnen bei der Betriebsbegehung oder im Gespräch mit den Kollegen aufgefallen?
Haben sich bei der Betriebsbegehung Bereiche herausgestellt, die Sie als Schwerbehindertenvertreter in Ihrer Amtszeit verbessern möchten?
Beispiele aus der Praxis
- Einige Kollegen haben ihre Erfahrungen während der Gespräche im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) geteilt, und es wurde festgestellt, dass der Ablauf in den Abteilungen uneinheitlich ist. In einigen Gesprächen lief die Kommunikation unglücklich ab. Könnte eine Inklusionsvereinbarung für das BEM-Verfahren hier Verbesserungen bringen? Diese Vereinbarung könnte eine einheitliche Vorgehensweise regeln und verbindliche Schulungsveranstaltungen für Führungskräfte zur verbesserten Kommunikation vorsehen.Es ist aufgefallen, dass übermäßig viele Kollegen mit Behinderungen der Altersgruppe 55 Plus angehören. In Gesprächen wurde deutlich, dass das Thema Rente und die Absicherung im Alter viele beschäftigt. Wäre es hilfreich, regelmäßige Rentenberatungen vor Ort anzubieten? Wie könnte eine solche Organisierung erfolgen?
- Es gab wiederholt Bedenken und Ängste bezüglich der Qualifikation im Bereich Digitalisierung. Für schwerbehinderte Arbeitnehmer stehen Fördermittel der Bundesagentur für Arbeit für Weiterbildungen zur Verfügung. Könnten Sie als Schwerbehindertenvertreter unterstützend wirken, indem Sie Kontakt mit der örtlichen Bundesagentur für Arbeit aufnehmen und das Thema mit einem Gastvortrag auf die Agenda der nächsten Schwerbehindertenversammlung setzen?
Schritt drei: Der Blick auf die Gesamtbetriebs- oder Konzernbetriebsebene
In größeren Unternehmen hilft der Blick „nach oben:“ Nehmen Sie Kontakt zur Gesamt- und Konzern-SBV auf: Werden hier schon Themen verhandelt, die auch für Ihre betriebliche Situation vor Ort nützlich wären? Bringen Sie eigene Vorschläge ein, die für den gesamten Konzern von Interesse sein könnten.
Hierzu ein Beispiel: In Ihrem Betrieb herrscht akuter Nachwuchsmangel. Könnte mit einer gezielten Ausbildung von schwerbehinderten Auszubildenden Abhilfe geschaffen werden?
Schritt vier: Formulieren Sie als SBV aus den Ergebnissen einen Vierjahresplan für Ihre Amtsperiode
Die Politik macht´s vor: Nach den Wahlen werden Koalitionen gebildet, ein Koalitionsvertrag verhandelt und die verabschiedeten Ziele Schritt für Schritt umgesetzt. Auch Sie als Schwerbehindertenvertretung können „mit sich selbst“ eine Art Koalitionsvertrag abschließen. Warum? So haben Sie die Ziele, die Sie in Ihrer Amtszeit erreichen wollen, stets vor Augen und können immer wieder überprüfen, wie weit Sie in der Umsetzung schon gekommen sind. Das klingt anspruchsvoll, doch wenn Sie Schritt für Schritt vorgehen, konkretisieren sich die Ziele wie von selbst.
Aus den Schritten 1 bis 3 haben Sie bereits wichtige Erkenntnisse gewonnen: Wie kann für einzelne Kollegen kurzfristig die Arbeitssituation verbessert werden? Welche Vorhaben möchten Sie als Vertrauensperson im Betrieb anstoßen? Welche Entscheidungen sollten auf Gesamt- oder Konzernbetriebsebene getroffen werden?
SBV-Tipp!
- Formulieren Sie Etappenziele, die sich schnell(er) umsetzen lassen: So entsteht kein Frust und Sie verlieren sich nicht im „großen Ganzen“.
- Setzen Sie im Kalender beispielsweise vierteljährlich Termine für sich, in denen Sie selbstkritisch hinterfragen: Wo stehe ich? Müssen Ziele aufgrund von veränderten betrieblichen Situationen verworfen oder angepasst werden?
- Halten Sie die Ergebnisse Ihrer Arbeit fest; so ergibt sich der Inhalt für Ihren Tätigkeitsbericht auf der Schwerbehindertenversammlung fast von selbst!
Schritt fünf: Verbündete suchen und Störer identifizieren
Denken Sie darüber nach, wer sinnvoll bei der Umsetzung Ihrer Ziele unterstützen könnte. Interne Partner wie Betriebsratskollegen mit speziellen Vorkenntnissen, Mitglieder des Arbeitsschutzausschusses oder externe Partner wie Mitarbeiter der Integrationsämter oder der technischen Dienste stehen Ihnen als kompetente Unterstützung zur Verfügung.
Im Gegenteil: Identifizieren Sie Personen, die möglicherweise bei der Umsetzung Ihrer Ziele hinderlich sein könnten. Gibt es beispielsweise Führungskräfte, die grundsätzliche Vorbehalte gegenüber behinderten Arbeitnehmern haben? Überlegen Sie, welche Unterstützer Sie gewinnen könnten, um eventuelle Widerstände zu überwinden.
Schritt sechs: Eigenen Schulungsbedarf als SBV ermitteln
Grundlagenschulungen sind wichtig, aber bei der Festlegung Ihrer Ziele ist es ebenso entscheidend zu erkennen, wo Ihnen spezielle Fachkenntnisse weiterhelfen könnten. Identifizieren Sie Ihren Schulungsbedarf und werden Sie aktiv.
Schritt sieben: Öffentlichkeitsarbeit und Schwerbehindertenversammlung
Ein weiterer entscheidender Aspekt in Ihrer Strategie ist die Öffentlichkeitsarbeit: Teilen Sie als Schwerbehindertenvertretung Ihre Ziele mit, lassen Sie Ihre Kollegen an Ihrer Arbeit, an Erfolgen sowie Misserfolgen teilhaben. Auf diese Weise werden auch (schwer-)behinderte und gleichgestellte Mitarbeiter zu Verbündeten der SBV und können durch ihre Unterstützung Ihre Arbeit stärken.
Die Inklusionsvereinbarung als wirksames Instrument bei der Umsetzung der Strategie
Das Instrument der Inklusionsvereinbarung ist in § 166 SGB IX geregelt. Mit ihr soll die Integrationsarbeit in den Betrieben bzw. Dienststellen durch die Vereinbarung von klar verständlichen und messbaren Zielen gesteuert und so letztlich die Beschäftigungssituation schwerbehinderter und gleichgestellter Menschen vor Ort verbessert werden.
Grundlegende Ziele einer Inklusionsvereinbarung
- Schaffung von Arbeitsplätzen für behinderte Menschen,
- Sicherung der Beschäftigung behinderter Menschen und
- Förderung der Beschäftigung behinderter Menschen.
Darüber hinaus dienen Inklusionsvereinbarungen allgemein der Sensibilisierung für die Belange behinderter Menschen.
Wichtig: Eine Inklusionsvereinbarung bindet ausschließlich die beteiligten Parteien und gewährt dem einzelnen schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten keinen individuellen, rechtlich durchsetzbaren Anspruch daraus.
Wer sind die Verhandlungspartner?
Auf Antrag der Schwerbehindertenvertretung ist der Arbeitgeber verpflichtet, Verhandlungen über den Abschluss einer Inklusionsvereinbarung aufzunehmen. Sollte im Betrieb oder der Dienststelle keine Schwerbehindertenvertretung existieren, so liegt es in der Verantwortung des Arbeitgebers, die Verhandlungen über eine solche Vereinbarung mit dem Betriebs- oder Personalrat zu führen.
Am Abschluss einer Inklusionsvereinbarung sind der Arbeitgeber, unterstützt durch seinen Inklusionsbeauftragten, die Schwerbehindertenvertretung sowie der Betriebs- oder Personalrat beteiligt.
Der Arbeitgeber oder die Schwerbehindertenvertretung haben die Möglichkeit, das Integrationsamt zu den Verhandlungen einzuladen, jedoch ist eine Beteiligung nicht zwingend vorgeschrieben. Das Integrationsamt übernimmt weder die Verhandlungsführung noch die Ausarbeitung der Inklusionsvereinbarung und wird nicht zum Vertragspartner beim Abschluss der Vereinbarung. Stattdessen berät das Integrationsamt die Beteiligten im Betrieb oder der Dienststelle, etwa bei der Erstellung einer Inklusionsvereinbarung und der Ausgestaltung individueller, auf den Betrieb zugeschnittener Absprachen. Die Aufgabe des Integrationsamts besteht insbesondere darin, darauf hinzuwirken, dass unterschiedliche Auffassungen überwunden werden, und es kann moderierend auf die Verhandlungspartner einwirken.
Wichtig: Öffentliche Arbeitgeber müssen keine Inklusionsvereinbarung abschließen (§ 165 Satz 4 SGB IX), wenn für die Dienststellen entsprechende Regelungen bereits bestehen und durchgeführt werden. "Fürsorgeerlasse" oder "Schwerbehindertenrichtlinien" erfüllen aufgrund ihrer mangelnden konkreten Ausgestaltung nicht die erforderlichen Anforderungen.
Überblick über mögliche Regelungsinhalte
Inklusionsvereinbarungen enthalten Regelungen im Zusammenhang mit der Eingliederung schwerbehinderter Menschen, insbesondere zu:
- Personalplanung,
- Arbeitsplatzgestaltung,
- Gestaltung des Arbeitsumfeldes,
- Arbeitsorganisation,
- Arbeitszeit,
- Berücksichtigung schwerbehinderter Menschen bei der Besetzung freier, freiwerdender oder neuer Stellen,
- anzustrebenden Beschäftigungsquoten (einschließlich eines anzustrebenden Anteils schwerbehinderter Frauen),
- Teilzeitarbeit,
- Ausbildung behinderter Jugendlicher,
- Prävention (betriebliches Eingliederungsmanagement) und Gesundheitsförderung,
- Hinzuziehung des Werks- oder Betriebsarztes sowie
- Durchführungsregeln.
Die möglichen Inhalte für eine Inklusionsvereinbarung sind in § 166 Abs. 2 SGB IX genannt. Die Aufzählung der Regelungsgegenstände ist nicht abschließend. Je nach den örtlichen Erfordernissen können weitere Vereinbarungen zur Eingliederung schwerbehinderter und gleichgestellter Menschen getroffen werden.
Wichtig: Es sind keine gesetzlichen Regelungen vorgesehen, falls keine Einigung erzielt wird. Die Schwerbehindertenvertretung kann lediglich durch ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren den Arbeitgeber dazu auffordern, Verhandlungen aufzunehmen. Es besteht jedoch keine Möglichkeit, den Arbeitgeber gerichtlich zu verpflichten, eine Inklusionsvereinbarung mit einem spezifischen Inhalt abzuschließen.