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Druckzentrum schließt, 200 Beschäftigte freigestellt – Betriebsrat und Verhandlungsführer Harald Hartung im Gespräch
Das muss man sich mal vorstellen: Da kommt man nichtsahnend frühmorgens an seinen Arbeitsplatz und plötzlich sind alle Arbeitsutensilien verschwunden. Noch dazu erfährt man kurz darauf vom Unternehmen, entlassen worden zu sein. Ein Scherz? Nein, bedauerlicherweise die Realität für rund 200 teils langjährig Beschäftigte des Druckzentrums vom Kölner Verlagshaus DuMont. Und nun? „Wir haben den letzten Cent rausgeholt“, sagt Betriebsrat und Verhandlungsführer Harald Hartung.
Das Verlagshaus DuMont schließt seine Kölner Druckerei. Das hat das Unternehmen Anfang Oktober 2023 den Mitarbeitern, die zum Teil weit mehr als 30 Jahre im Unternehmen gearbeitet hatten, auf einer spontanen Mitarbeiterversammlung eröffnet. Damit geht in Köln eine lange Tradition zu Ende, über 400 Jahre wurden hier Zeitungen gedruckt – zum Ende unter anderem der Express, der Kölner Stadtanzeiger und die Kölnische Rundschau. All diese sollen zukünftig in Koblenz von der Rolle laufen.
Und als wäre es nicht bitter genug, erfuhren das die Beschäftigten völlig überraschend, als sie sich eigentlich für die Frühschicht bereit machten – mit sofortiger Wirkung freigestellt! Ein Problem: Die Belegschaft hat laut Betriebsrat ein Durchschnittsalter von rund 57 Jahren, was bei der Suche nach einem neuen Job nicht unbedingt hilfreich ist. Der Vorwurf: Obwohl das Druckzentrum rentabel arbeite, wird die Zeitungsproduktion aus Profitgründen nach Koblenz verlegt. Hätte man da nicht noch das eine oder andere Jahr überbrücken können?
© Betriebsrat DuMont
Von Unternehmensseite heißt es mehreren Medienberichten zufolge, dass es der Plan sei, mittelfristig ein rein digitales Unternehmen zu werden. Daher seien Investitionen in das Druckzentrum nicht nachhaltig. Gegen die Einstellung des Zeitungsdrucks haben die meisten der 200 freigestellten Drucker in den letzten Wochen mehrmals demonstriert. Gespräche zwischen Arbeitnehmervertretern und der Geschäftsleitung laufen und scheinen kurz vor dem Abschluss zu stehen. Der Betriebsrat ist derweil (verständlicherweise) verstimmt, schließlich sollen sie nicht an den Entscheidungen beteiligt, noch nicht einmal informiert worden sein. Ein Rechtsbruch?!
Harald Hartung ist seit mehreren Jahrzehnten in der DuMont-Druckerei beschäftigt. Der Betriebsrat und Verhandlungsführer für den Sozialplan ist vom Vorgehen der Unternehmensführung – milde ausgedrückt – enttäuscht.
Harald Hartung: Es gab am Montag, 2. Oktober, einen Aushang im Druckzentrum von der Geschäftsleitung. Zudem haben wir als Betriebsrat abends eine E-Mail erhalten, dass es nach dem Feiertag ein Gespräch geben soll über die Ausrichtung des Druckzentrums. Da ich auch im Wirtschaftsausschuss sitze, dachte ich nicht, dass es zum Worst Case kommt. Wir hätten schließlich informiert werden müssen. Ein bisschen seltsam war, dass am Abend des Feiertags der Express hätte gedruckt werden müssen. Dass dem nicht so war, wurde mit Software-Updates erklärt. Es sollte einfach keiner im Haus sein! Der Betriebsrat wurde dann am Mittwoch um 8.30 Uhr informiert, also erst eine halbe Stunde vor der Mitarbeiterversammlung. In der Druckbranche rechnet man immer mit was Negativem, etwa Auslagerungen. Als die Geschäftsleitung reinkam, ich den Gesichtsausdruck sah, habe ich zu meinem Kollegen gesagt: „Wir sind im A …“
Harald Hartung: Dass die Druckaufträge rückwirkend zum Ende September nach Koblenz vergeben wurden und wir auf der Stelle freigestellt sind. All das hat nur ein paar Minuten gedauert. Erstaunlich war die Menge an Security im Haus. Warum? Wir haben ein Durchschnittsalter von 57 Jahren, sind alte Leute. Was haben die gedacht, das passiert?
Harald Hartung: Es waren wirklich alle in Schockstarre. Alle drehten sich zu uns um – wir standen als Betriebsrat ganz hinten. Erwachsenen Leuten sind die Tränen über das Gesicht gelaufen. Fast allen wurde sofort die Akkreditierung entzogen, sie sollten Spint und Schreibtisch leeren. Abends gab es dann nochmal die gleiche Veranstaltung für die Kollegen der Nachtschicht. Bis dahin hatte es sich natürlich rumgesprochen.
Harald Hartung: Wir wissen mittlerweile, dass es mindestens seit anderthalb Jahren geplant wurde. Sie haben eine auf solche Fälle spezialisierte Anwaltskanzlei und immer einen Unternehmensberater dabei, der hilft, Medienunternehmen abzuwickeln. Mit denen mussten wir jetzt verhandeln. Im Hintergrund wurde es durch Konzern-Umstrukturierungen so hingedreht, dass das Druckzentrum pleite ist. Der Tenor in den ersten beiden Sitzungen war also: „Es ist nichts zu holen!“ DuMont hat zudem in Kauf genommen, gegen § 106 Betriebsverfassungsgesetz zu verstoßen. Sie haben so getan, als gebe es das Instrumentarium Wirtschaftsausschuss gar nicht und zeitgleich den Betriebsrat mit Alltagssituationen bei Laune gehalten. Dabei haben wir immer wieder gefragt: „Gibt es was, das wir beitragen können? Sagt aber nicht irgendwann, dass die Jobs weg sind.“
Harald Hartung: Ich habe sofort gesagt, wir müssen die Öffentlichkeit informieren. Dazu muss man wissen, dass der Verlegerfamilie ihr guter Ruf sehr wichtig ist. Unfassbar, wer plötzlich an unserer Seite stand: Unter anderem Enthüllungsjournalist Günther Wallraff oder SPD-Politiker Jochen Ott. Dann haben wir Kunst und Kultur ins Boot geholt, etwa Brings oder die Höhner. Alle haben getan, was sie konnten. Beispielsweise entsprechend Veranstaltungen boykottiert oder sogar Werbeverträge aufgelöst.
Harald Hartung: Es hat ein erstes Angebot gegeben, was mehrmals erhöht wurde. Mittlerweile haben wir uns weitestgehend auf einen Sozialplan geeinigt – es hat also funktioniert. Am Ende ist uns von Gewerkschaftsseite bestätigt worden, dass wir eigentlich mit einem „nackten Mann“ verhandelt haben. Es ging also nur über die Öffentlichkeit. Die mediale Gewalt in Köln ist ja auf Seiten des Arbeitgebers, neben Zeitungen auch das Radio. Aber sie haben die Rechnung ohne Social Media gemacht. Viele dachten, wir würden ohne müden Cent aus den Verhandlungen gehen. Daher sind wir stolz, überhaupt einen Sozialplan herausgeholt zu haben.
Harald Hartung: Nein! Ich habe in meinem Leben viele Verhandlungen geführt, halte mich für einen harten Hund – habe im Grunde sogar Spaß daran. Aber wenn Existenzen massiv bedroht sind und dann die ersten Verhandlungsrunden mit solch einer Kälte geführt werden; das ist mir und meinen Kollegen bis in Körperliche gegangen. Dabei haben wir vier, die in den Verhandlungen dabei sind, uns noch gar nicht um die eigenen Belange gekümmert. Hinzu kommt, dass wir alle gerne hier gearbeitet haben. Die meisten haben mit Ende 50 große Probleme, sich nochmal neu zu orientieren. Viele wissen, dass ich nachts lang wach bin, weil ich hier am kreativsten bin. Deshalb bekomme ich viele Anrufe, zum Teil von Kollegen, die alkoholisiert sind und sich vor ihren Familien schämen. Das geht bis zu geäußerten Selbstmordgedanken. All das sind Themen, die ich der Unternehmensseite gerne ins Gesicht brüllen würde. Über solche Einzelschicksale wird schlicht nicht nachgedacht.
Harald Hartung: Ich habe die Gedanken hierzu auf die Zeit nach den Verhandlungen vertagt. Durch die Haustarifverträge und Kündigunsfrist sind die meisten noch bis August 2024 „angestellt“. Wenn ich hier also rausgehe, bin ich 59. Das Arbeitslosengeld für zwei Jahre ist bei vielen von uns höher als wir bei Tätigkeiten verdienen würden, die wir jetzt noch bekämen. In der Druckbranche, in der wir uns jede Menge Know-how angeeignet haben, gibt es schließlich kaum noch was. Dann wäre ich 61, frühestens in Rente kann ich mit 63. Was soll ich also machen? Und das, obwohl ich jahrelang eingezahlt, malocht, geschichtet habe. Darüber habe ich auch mit der Bürgermeisterin gesprochen. Noch bin ich völlig ratlos und verdränge es, weil es einfach zu schmerzhaft ist.
Harald Hartung: Wir haben den letzten Cent rausgeholt. Deshalb erwarten die Kollegen und ich auch nichts mehr, obwohl viele schon seit Generationen mit dem Haus verbunden sind. Es wird der Tag kommen, an dem auch wir als Betriebsrat letztmals hier rausgehen, da wird Wehmut dabei sein. DuMont galt immer als einer der sozialsten Arbeitgeber der Stadt – fast schon Beamtenstatus. Dass es mit so einem Paukenschlag endet, hätte niemand für möglich gehalten. (tis)
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