Stellenabbau und Standortschließungen – die Meldungen kamen im letzten Sommer in dichter Folge: BASF, Deutsche Bank, Daimler und Ford wollen in den kommenden Jahren jeweils mehrere tausend Stellen im Inland abbauen. Im Oktober kündigte die Continental AG massive Personalreduzierungen an, geplant ist unter anderem die Schließung eines Werks in Bayern. Der Automobilzulieferer Brose will 2.000 Stellen abbauen, der Göppinger Pressenhersteller Schuler 500 Stellen. Und auch der Einzelhandel meldet teilweise massive Probleme, die z.B. bei der Insolvenz der Modekette Gerry Weber, bei der massiven Restrukturierung des Kaufhof oder beim Verkauf der real-Lebensmittelmärkte sichtbar werden.
Jedes zwölfte Industieunternehmen erwartet für die kommenden Monate Kurzarbeit
Konjunktur schwächelt
Deutschland erwirtschaftet massive Handelsbilanzüberschüsse, ist also erheblich vom Export seiner Waren anhängig. Das gilt vor allem für die Automobilindustrie, den Maschinen- und Anlagenbau und die Chemie.
Die Stimmung bei den Managern in produzierenden Unternehmen ist jedoch gedämpft; der Ifo-Geschäftsklimaindex für das Verarbeitende Gewerbe ist im Juli 2019 auf dem niedrigsten Stand seit Jahren gesunken, jedes zwölfte Industrieunternehmen erwartet für die kommenden Monate Kurzarbeit.
Die Schwächephase der Industrie geht dabei über das übliche konjunkturelle Auf und Ab hinaus: Einerseits hat sich bei wichtigen Kunden der deutschen Industrie – unter anderem in China – das Entwicklungstempo deutlich verlangsamt. Und zusätzlich entfaltet die globale Protektionismuswelle eine insbesondere für exportabhängige Unternehmen schädliche Dynamik. Auf diese ohnehin schwächelnde Konjunktur treffen nun in den letzten Wochen zusätzlich die massiven Auswirkungen der Coronakrise.
Digitalisierung wird greifbar
Seit mindestens fünf Jahren wird landauf, landab über Chancen und Risiken der Digitalisierung diskutiert, Unternehmen setzen Projekte in Gang, um Arbeitsprozesse und ganze Geschäftsmodelle aus der analogen in die digitale Welt zu überführen. Dadurch entstehen neue Unternehmen und auch neue Arbeitsplätze in bestehenden Unternehmen. Gleichzeitig wird allerdings immer deutlicher, dass andere Arbeitsplätze entbehrlich werden.
Politische Trendwenden wirken
Neben Konjunktur- und Technologieeinflüssen werden einzelne Branchen durch gesellschaftspolitische Trendwenden in beschleunigte Transformationsprozesse gedrängt. So hat die umweltpolitisch motivierte Dekarbonisierung nicht nur den Kohleausstieg in Deutschland erzwungen, sondern forciert auch das Ende des Verbrennungsmotors. Dadurch werden Automobilhersteller, aber auch Zulieferer wie Bosch oder Continental, zu einem massiven Umbau der Entwicklungs- und Produktionskapazitäten gezwungen.
Interessenvertreter strategisch vorbereiten
Interessenvertreter sollten sich aktiv damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang die drei genannten Treiber (Konjunkturentwicklung, Digitalisierung, gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen) die strategische Ausrichtung und die mittelfristige Kapazitäts- und Personalplanung in ihrem Unternehmen beeinflussen und ob sich hier Krisengefahren abzeichnen.
Zunächst ist dazu vor allem Transparenz über die Managementplanungen gefragt. Dem Wirtschaftsausschuss fällt dabei eine wichtige Rolle zu, um Informationen zur wirtschaftlichen Entwicklung mit dem Arbeitgeber zu beraten und anschließend für den Betriebsrat aufzubereiten.
Zentrale Funktion für den Wirtschaftsausschuss
Der Wirtschaftsausschuss soll die wirtschaftlichen Angelegenheiten mit dem Arbeitgeber beraten und den Betriebsrat dazu unterrichten (vgl. § 106 BetrVG).
Um sich ein umfassendes Bild zur Lage des Unternehmens und zu möglichen strategischen Umbruchszenarien und ihrer Risiken für die Beschäftigten zu machen, sollte der Wirtschaftsausschuss seine Arbeit in drei Schwerpunktbereichen intensivieren:
• In der laufenden Berichterstattung zur Geschäftsentwicklung,
• in der Beratung zu Restrukturierungsprojekten und
• in der Etablierung eines Strategiedialogs.
Laufende Berichterstattung
Zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten nach § 106 Abs. 3 BetrVG gehört unter anderem die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens (z.B. konjunkturelle Entwicklung, Auftragsbestand, Ergebnissituation, Liquidität). Der Wirtschaftsausschuss sollte dazu quartalsweise mit Hilfe eines für den Wirtschaftsausschuss spezifischen, unternehmensbezogenen und aussagefähigen Kennzahlencockpits den aktuellen Status der Geschäftsentwicklung kennen und mit der Geschäftsführung beraten. Exemplarisch seien hier drei Kennzahlenbereiche genannt, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten Krisenhinweise geben.
• Insbesondere strukturell rückläufige Kennzahlen zum Auftragseingang geben frühzeitig Hinweise auf mögliche konjunkturelle Abschwächungen oder auf unternehmensspezifische Absatzprobleme und weisen damit oft bereits weit im Vorfeld auf drohende Krisen hin.
• Anhaltende Rückgänge im operativen Ergebnis (Kennzahlen zum EBIT/ Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit) machen sichtbar, dass das Unternehmen deutlich näher an eine Ergebniskrise herangerückt ist
• Wenn Liquiditäts- und Cashflowkennziffern abnehmenden Finanzierungsspielraum signalisieren, dann ist der Krisenzyklus häufig bereits erheblich fortgeschritten und der Wirtschaftsausschuss sollte intensiv mit dem Management beraten, welche Gegenmaßnahmen die Geschäftsführung kurzfristig ergreifen will, um die wirtschaftliche Lage zu stabilisieren.
Beratung von Restrukturierungsprojekten
An dieser Stelle sind dann häufig Restrukturierungs- und Kostensenkungsprogramme das Mittel der Wahl. Solche Projekte zählen ebenfalls zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten im Sine des § 106 Abs. 3 BetrVG. Hier ist der Wirtschaftsausschuss gefordert, mit dem Management Projektziele, Inhalte und Ergebnisse ausführlich zu beraten.
Der Arbeitgeber hat dabei die Pflicht, den Wirtschaftsausschuss rechtzeitig und umfassend unter Vorlage geeigneter Unterlagen zu unterrichten. Häufig haben die aus solchen Restrukturierungsprojekten abgeleiteten Maßnahmen betriebsändernden Charakter i.S.d. § 111 BetrVG. In solchen Fällen hat die Beratung im Wirtschaftsausschuss vor Information an den Betriebsrat und vor einer Aufnahme von Interessenausgleichsverhandlungen zu erfolgen.
Strategiedialog im Wirtschaftsausschuss
Zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten nach § 106 Abs. 3 BetrVG gehört auch das Produktions- und Investitionsprogramm. Insbesondere das Investitionsprogramm liefert Hinweise auf die vom Management mittel- und langfristig erwarteten Markt- und Wettbewerbsbedingungen. Diese Beratungen sollte der Wirtschaftsausschuss zum Anlass nehmen, um die Geschäftsführung einmal jährlich zu einem Strategiedialog einzuladen. Hier geht es ausschließlich um Szenarien der mittel- und langfristigen Geschäftsentwicklung. Dieser Dialog sollte auch den Rahmen bieten, um intensiv über mögliche Auswirkungen von Konjunkturentwicklung, fortschreitender Digitalisierung und politisch erzwungenen Transformationen im eigenen Unternehmen zu beraten und Auswirkungen für die Beschäftigten abzuleiten.
Grenzen der Wirksamkeit
Der Wirtschaftsausschuss kann eine wichtige Funktion übernehmen, um insbesondere Klarheit über die zu erwartenden Auswirkungen von Krisen und Umbruchszenarien für das Unternehmen und die Beschäftigten zu gewinnen. Diese Klarheit verschafft dem Betriebsrat eine Basis, um sinnvolle Handlungsstrategien für die Mitbestimmung zu entwickeln.
Eine Gewähr für ein „Happy End" aus Sicht der Beschäftigten besteht dabei allerdings nicht. Das bestätigt Dr. Tobias Naegle, der als Betriebsratsvorsitzender unlängst das Insolvenzverfahren des Touristikunternehmens Thomas Cook in Oberursel erlebt hat: „Der Wirtschaftsausschuss war für uns im Vorfeld der Insolvenz ein ausgesprochen wichtiges Gremium, um uns Klarheit über die zunehmend kritische wirtschaftliche Lage zu verschaffen. Es ist aber nicht gelungen, auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse erfolgreich Wege aus der Krise zu implementieren und die Insolvenz - mit allen einschneidenden Folgen für die Beschäftigten – zu verhindern."