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„Der Gesetzgeber lässt Schwerbehindertenvertreter komplett im Regen stehen“

© AdobeStock | sanderforsberg
Stand:  22.5.2023
Lesezeit:  05:00 min
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Volkmar Frenger ist seit 33 Jahren in der SBV – und kämpft für mehr Mitspracherecht, mehr Gehör und mehr Akzeptanz

„Wir fühlen uns vom Gesetzgeber nicht ernst genommen“, sagt Volkmar Frenger, der sich bereits seit über drei Jahrzehnten in der SBV des Erftverbands in Bergheim (Nordrhein-Westfalen) engagiert. Anders als die Politik nimmt Volkmar Frenger kein (Feigen-)Blatt vor den Mund. Und erzählt offen, warum er die Rechte einer hiesigen SBV für einen Witz hält, welche konkreten Verbesserungen er vorschlägt und wieso er sich trotz allem motiviert für Schwerbehinderte und Gleichgestellte einsetzt.

Volkmar Frenger - seit 33 Jahren in der SBV | © Volkmar Frenger

Volkmar Frenger

Volkmar Frenger ist bereits im 42. Jahr beim Erftverband in Bergheim (Nordrhein-Westfalen), leitet dort das Aufgabengebiet „Gebäudemanagement“. Zu seinem Team gehören 23 Kollegen, gemeinsam sind sie zuständig für alle Maßnahmen an und in den Gebäuden – dazu zählen zwölf Gebäude am Verwaltungsstandort sowie elf Miet- und Dienstwohnungen im Verbandsgebiet. Seit 1990 ist er in der Schwerbehindertenvertretung, seit 2000 ist er Vertrauensperson.

Volkmar, Du sagst, die Rechte der Schwerbehindertenvertretungen seien „zahnlos“. Wie meinst Du das?

Volkmar Frenger: Sitze ich im Personalrat und es geht um das Wohl einer schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Person, dann macht es doch Sinn, der Meinung der Schwerbehindertenvertretung ein gewisses Gewicht beizumessen. Und das sollte sich am Ende mit einer Stimmabgabe bemerkbar machen. Die Jugend- und Auszubildendenvertretung etwa hat auch dieses Recht. Unsere Beteiligung hat hingegen lediglich beratenden Charakter. Überall wird uns attestiert, wie wichtig wir sind. Aber wir werden nicht mit einem Werkzeug ausgestattet, um unsere Rechte notfalls auch durchsetzen zu können. Auch nicht, wenn wir zu einer getroffenen Entscheidung unser Veto einlegen. Rechtlich führt dies nur zur einwöchigen Aussetzung der Entscheidung – darüber lacht doch jeder Arbeitgeber.

Über was ärgerst Du Dich in dem Zusammenhang am meisten?

Volkmar Frenger: Wir setzen uns ehrenamtlich für die Belange der Betroffenen ein, teilweise sogar in unserer Freizeit. Selbst wenn wir rechtswidriges Verhalten nachweisen würden, können wir dem nicht wirklich entgegenwirken. Der Gesetzgeber lässt sämtliche Schwerbehindertenvertreter komplett im Regen stehen.

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Diese angebliche Stärkung der SBV ist gelinde gesagt ein Schlag ins Gesicht.

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Dabei ist immer wieder die Rede von einer Stärkung der SBV.

Volkmar Frenger: Diese angebliche Stärkung der SBV ist gelinde gesagt ein Schlag ins Gesicht. Die Freistellung der SBV – jetzt bereits ab 100 betroffenen Mitarbeitern – betrifft nur einen sehr kleinen Teil. Auch der Schulungsanspruch für den Stellvertreter hört sich gut an, hat aber wenig zu tun mit der geforderten Stärkung der SBV. Mit Stärkung meint man allgemein mehr Mitspracherecht, mehr Gehör, mehr Akzeptanz. Für mich wird damit deutlich, dass die Gesetzesnovellierung nur ein „Feigenblatt“ ist.

Du meinst, die Politik kaschiert damit die wirklichen Probleme?

Volkmar Frenger: Genau! Unsere Politik malt tolle soziale Projekte in den Himmel, spricht von Inklusion, inzwischen sogar von Inklusion II. Doch uns schickt man an die Front, wir dürfen uns ständig eine blutige Nase holen. Mit dieser Reaktion auf die Forderung nach einer Stärkung der SBV hat die Politik sprichwörtlich „den Vogel abgeschossen“. Wir fühlen uns nicht ernst genommen! Nach 33 Jahren SBV habe ich sogar kurz überlegt, ob ich die Brocken jetzt hinwerfen soll. Danke für so viel „Unterstützung“!

Das hast Du erfreulicherweise nicht getan. Mit welchen Schwierigkeiten kämpfst Du denn in Deiner tagtäglichen Arbeit?

Volkmar Frenger: Bei uns sind es inzwischen regelmäßig über 60 betroffene Personen, die wir begleiten – eine Menge Arbeit! Selbst wenn wir 99 Personen betreuen würden, würde das zu keiner Freistellung führen. Hierin sehen wir einen großen Mangel. Nach unserer Meinung hätte die Freistellung gestaffelt werden müssen. Beispielsweise bei 50 anerkannten Schwerbehinderten/Gleichgestellten auch 50 Prozent Freistellung, bei 60 Personen 60 Prozent etc. Außerdem bräuchten wir ein Sprachrohr, das anerkannt ist und dem man auf jeden Fall zuhört. Einzelne von uns werden doch nicht wahrgenommen.

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Die meisten finden es toll, wenn gesundheitlich angeschlagene Beschäftigte gar nicht auffallen. Aber positiv bewertet wird dies umgekehrt kaum.

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Du bist im öffentlichen Dienst beschäftigt. Hier sind Mitarbeitergespräche mit Leistungsbeurteilungen tarifvertraglich vorgeschrieben …

Volkmar Frenger: Ja, aber gerade bei diesen Leistungsbeurteilungen werden die Rechte der Schwerbehinderten bzw. Gleichgestellten oft nicht vertreten. Wenn jedoch eine gesundheitlich stark angeschlagene Person dieselbe Leistung erbringt wie ein gesunder Mensch desselben Alters und Geschlechts, dann ist doch der Aufwand, den der schwerbehinderte Mensch betreiben muss, fast immer viel höher einzuschätzen. Diesen Nachteil gilt es auszugleichen. Zwar spricht der Gesetzgeber vom Nachteilsausgleich, kaum ein Vorgesetzter kann allerdings damit etwas anfangen. Die meisten finden es toll, wenn gesundheitlich angeschlagene Beschäftigte gar nicht auffallen. Aber positiv bewertet wird dies umgekehrt kaum.

Was würdest Du Dir konkret vom Bundesbehindertenbeauftragten Jürgen Dusel wünschen?

Volkmar Frenger: Ich würde ihn bitten, dabei zu unterstützen, das SGB IX hinsichtlich unserer Rechtsstellung wesentlich zu stärken. Da wäre zum Beispiel das Stimmrecht im Personalrat. Und bei Rechtsmissbräuchen müssen zwingend Sanktionen folgen. Das fängt bei der fehlenden Beteiligung der SBV an und endet bei vorsätzlichen Vergehen. Bereits bei der Landesbehindertenbeauftragten haben wir angeregt, dass der direkte Draht fehlt. Wir denken, dass vor allem die jeweiligen Beauftragten hieraus einen großen Nutzen ziehen könnten. Man würde unmittelbar erfahren, wo der Schuh drückt. Man könnte aber auch Online-Umfragen starten. Und man könnte einen individuellen Dialog führen. Besser kommen Beauftragte nicht an aktuelle Informationen.

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Wieso erscheint beispielsweise in den meisten Unternehmen die Schwerbehindertenvertretung nicht einmal im Organigramm?

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Wie könnte sonst noch eingegriffen werden, um an der Situation für Schwerbehindertenvertreter im ganzen Land etwas zu verbessern?

Volkmar Frenger: Arbeitgeber, die sich für die Beschäftigung von schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Menschen einsetzen, müssten finanziell mehr unterstützt werden. Die Leistung von schwerbehinderten Menschen müsste mehr kommuniziert werden, in den Medien, aber natürlich auch lokal und auf den Social-Media-Plattformen. Auch die Arbeit der SBV muss mehr gewürdigt werden. Wieso erscheint beispielsweise in den meisten Unternehmen die Schwerbehindertenvertretung nicht einmal im Organigramm?

Du sprichst es an: Unternehmen, die zu wenig schwerbehinderte bzw. gleichgestellte Mitarbeiter beschäftigen, müssen eine Ausgleichsabgabe leisten.

Volkmar Frenger: Das stimmt, aber diese ist meines Erachtens viel zu gering. Sie liegt aktuell gestaffelt zwischen 140 und 360 Euro monatlich für jeden nicht besetzten Arbeitsplatz. Dabei muss man wissen, dass bei mindestens 20 Beschäftigten fünf Prozent schwerbehinderte bzw. gleichgestellte Menschen angestellt sein müssten. Beim Erftverband überschreiten wir diese Pflichtquote bereits seit Jahrzehnten. Damit hat der Erftverband allein in den letzten 20 Jahren rund eine Million Euro weniger Ausgaben gehabt. Auch Arbeitgeber haben also etwas davon. Beschäftigte mit besonders schweren Erkrankungen werden sogar auf bis zu drei Pflichtplätze angerechnet. Darüber hinaus fließen Fördergelder für die Beschaffung von Arbeitsmitteln, um die Arbeit der Betroffenen zu erleichtern.

Du bist seit 33 Jahren in der Schwerbehindertenvertretung – wie kam es eigentlich dazu?

Volkmar Frenger: 1982 bin ich als Beamter von der Stadt Köln zum Erftverband gewechselt. Ich war damals schon erkrankt, erhielt die Diagnose „Morbus Crohn“ aber erst Jahre später. Längst hatte ich bemerkt, dass es viele Vorurteile gegenüber kranken Menschen in der Gesellschaft gibt. Auf einer Wahlveranstaltung im Jahr 1990 wurde ein Vertreter des Vorsitzenden gesucht und niemand wollte sich zur Verfügung stellen – der Klassiker halt. Als dann unsere Vertrauensperson 2000 in den Ruhestand ging, bin ich nachgerückt.

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Die Reaktionen der Betroffenen motivieren mich, weiterzumachen.

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Trotz aller Hindernisse: Was macht Dir dennoch Spaß an der Arbeit in der SBV?

Volkmar Frenger: Mir macht es unglaublich Spaß, Menschen zu helfen, besonders den vermeintlich Schwächeren in der Gesellschaft. Als schwerbehinderter Mensch weiß ich um die Probleme und die Ängste der Betroffenen. Ich weiß, wie es sich anfühlt, auf Ablehnung zu stoßen oder sogar diskriminiert zu werden. Ich weiß aber auch, was es bedeutet, wenn man sich sein ganzes Leben lang diesen schrecklichen gesundheitlichen Einschränkungen stellen muss. Genau diesen Menschen möchte ich eine Stimme geben und helfen, ihr Leben wieder lebenswerter zu gestalten. Die Reaktionen der Betroffenen motivieren mich, weiterzumachen. Das kleine Wörtchen „Danke“ entschädigt für so manche negative berufliche Erfahrung. (tis)

Erftverband

Der Erftverband ist ein Wasserwirtschaftsverband, also eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Hauptaufgabe ist die Abwasserklärung im Verbandsgebiet, das sich von Neuss bis Bad Münstereifel bzw. von der Stadtgrenze Köln bis nach Holland erstreckt. Die insgesamt 40 Kläranlagen werden überwiegend computergesteuert bedient. In Zusammenhang mit dem Braunkohlebergbau beobachtet und erforscht der Verband die Grundwasserverhältnisse in der Niederrheinischen Bucht. Sie sind für die Erft und ihre Nebenflüsse sowie für den Hochwasserschutz in der Region zuständig. Insgesamt beschäftigt der Erftverband aktuell knapp 600 Mitarbeiter.

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